Lena Kampf, Daniel Drepper - "Row Zero: Gewalt und Machtmissbrauch in der Musikindustrie"
Worum gehts?
Falls jemand glaubte, die geballten Missbrauchsvorwürfe gegen Till Lindemann und das Publik-Werden der hässlichen Maschinerie um ihn herum hätten ein "Beben" in der Musikszene ausgelöst, irgendwelche Konsequenzen für die Beschuldigten nach sich gezogen oder zu verbessertem Schutz potenzieller künftiger Opfer geführt: Träumt weiter. Passiert ist ... genau nichts. Rammstein füllen nach wie vor die größten Hallen. Ungebrochen erscheinen Bildbande, Gedichte, Weihnachtslieder ... war was?
Um so wichtiger bleiben Bücher wie "Row Zero", auch wenn die Lektüre wirklich überhaupt keinen Spaß macht. Das Autor*innengespann nimmt die Causa Rammstein zum Anlass für einen akribisch nachrecherchierten Spaziergang durch die finstersten Abgründen des Unterhaltungsgeschäfts. Wie es dort zugeht, wissen zwar alle längst, die dort jemals zu tun hatten, insbesondere alle Frauen. In ihrer Geballtheit serviert, machen die vielen, vielen unterschiedlichen, und doch so gleich gelagerten Fälle sprachlos, traurig und vor allem stinkwütend.
Wer hats geschrieben?
Zwei der profiliertesten Vertreter*innen des investigativen Journalismus' in Deutschland: Daniel Drepper hat das Recherchenetzwerk Correctiv mitbegründet. Er hätte allein schon dafür einen seiner zahlreichen Preise verdient, dass er die schmierigen Machenschaften von Julian Reichelt an die Öffentlichkeit gebracht hat.
Lena Kampf ist als Leiterin des Ressorts Investigative Recherche bei der Süddeutschen Zeitung in der Materie ebenfalls bestens bewandert: Sie berichtete bereits ausfürlich in #metoo-Kontexten. Diese beiden wissen also genau, was sie tun, und bieten entsprechend solide Recherchearbeit.
Wer solls lesen?
Wer nicht weiß, wie dreckig es im Unterhaltungsgeschäft zugeht (oder sich das "gar nicht vorstellen kann", bla!), bekommt hier die Augen mit dem rostigen Teppichmesser geöffnet. Die meisten dürfte jedoch kaum großartig überraschen, was sich da neben, hinter- und unterhalb der Bühnen so alles abspielt. Für Schock und Verwunderung sorgt allenfalls der Umstand, wie oft es passiert und wie wenig die Täter zu befürchten haben.
Alle, die sich fragen, wie viele Opfer noch unter die Räder kommen sollen, ehe sich vielleicht doch endlich irgendetwas ändert, haben keine Wahl: Sie müssen Bücher wie dieses lesen, um den Zorn am Lodern zu halten. Er bleibt das einzige probate Mittel gegen die Resignation, und irgendwann wird sich genug davon angestaut haben, um den Scheißladen hochzujagen. Ja, die Hoffnung ist ein zähes Biest.
Das beste Zitat:
"In die Tausende muss die Zahl der Frauen mittlerweile gehen, mutmaßt ein Vertrauter Lindemanns bereits vor einigen Jahren in einer Nachricht. Der Sänger habe ein 'Fließband', schreibt eine andere Person aus dem Kreis um Alena Makeeva, er springe von 'Fotze zu Fotze'. Wohl über Jahre läuft dieses Castingsystem. Erst als sich Shelby Lynn mit ihrer Warnung an die Öffentlichkeit wendet, kommt etwas in Bewegung. Für einen kurzen Moment scheint es, gerät das System ins Wanken. Doch schon wenig später ist der Kampf um die Deutungshoheit in vollem Gange."
Wertung: 4,5/5
Text von Dani Fromm
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Lena Kampf, Daniel Drepper - "Row Zero"*
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