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Wolf Kampmann - "Zeig mir den Platz an der Sonne"

Worum gehts?

Eins der größten Missverständnisse bezüglich des deutschen Schlagers sei, ihn für piefig und gemütlich zu halten, davon ist Autor Wolf Kampmann überzeugt. Mit "Zeig mir den Platz an der Sonne" tritt er an, um diese Behauptung zu belegen und die schwer angeschlagene Ehre des Genres zu retten. Anhand populärer Gassenhauer, hangelt er sich durch die deutsche Geschichte, untersucht, wie die Lebensumstände der Deutschen ihre favorisierten Lieder formten und, umgekehrt, was besagte Songs über die Zeit, aus der sie jeweils stammen, zu erzählen haben. So entsteht genau, was der Untertitel verspricht: "Eine deutsche Chronik in Schlagern".

Kampmann beginnt, wie sich das gehört, mit ein paar grundlegenden Erörterungen zur Frage, was einen Schlager überhaupt zu einem solchen macht. Anschließend erklärt er seine ganz persönliche Motivation, sich mit dieser seitens "ernsthafter" Musikkritik wahlweise verachteten oder mitleidig belächelten Materie überhaupt zu befassen, dann startet die Zeitmaschine: Es geht um die Anfänge in den Wilden Zwanzigern des letzten Jahrhunderts. Es geht um Liedgut unterm Hakenkreuz, benutzt, je nach Gehalt, als Werkzeug der Propaganda oder des Widerstands. Es geht um Wiederaufbau, Fernweh, Aufbruchstimmung, das Wirtschaftswunder, um Migration, um mal zaghaft anklopfenden, mal kämpferisch die Tür eintretenden Feminismus, ganz allgemein um sexuelle Befreiung, und, und, und.

Kampmann beleuchtet außerdem, welchen Stellenwert Schlager in der DDR innehatte, er nimmt Phänomene wie den ESC unter die Lupe und zeigt Parallelen und Unterschiede zum französischen Chanson auf. Mal schreibt er über deutsche Versionen internationaler Erfolgsnummern, mal über die Rollen von Nina Hagen oder Dieter Thomas Heck in dem ganzen Bumms. Am Ende wissen wir: von wegen engstirnig. Das Themenspekrum des deutschen Schlagers, es war so breit gefächert wie die musikalischen Einflüsse, aus denen sich speiste, bis er dereinst tragisch in den Fluten der Neuen Deutschen Welle ersoffen ist. Was danach wieder aus dem Wasser gekrochen kam, steht glücklicherweise auf einem anderen Blatt.

Dieses Buch, auch wenn es mit seinen Häkelkissen und der gemusterten Tapete auf dem Cover noch so betulich daherkommt, lädt zu einem wahrlich wilden Ritt durch die Zeit ein. Am Ende haben wir uns einmal quer durch die deutsche Geschichte gelauscht und dabei vermutlich mehr darüber gelernt als seinerzeit in der Schule. Wen stört da schon groß, dass der Dozent zuweilen ein bisschen ins Schwafeln gerät?

Wer hats geschrieben?

Wolf Kampmann, Jahrgang 1962 kam in Zwickau zur Welt, er ist ein absolut ernstzunehmender Musikjournalist alter Schule. Selbsternannte Gatekeeper, die ihn zur Strafe für seine Schlager-Obsession zu exkommunizieren versuchen, dürften an seiner gewaltigen Legacy scheitern: Kampmann hat ein Rock-Lexikon überarbeitet und eine Jazz-Enzyklopädie herausgegeben. Er schrieb für Magazine und Zeitungen von Musikexpress und Visions über Jazzthing bis zur Süddeutschen, der FAZ und der Jüdischen Allgemeinen, arbeitete obendrein fürs Radio, und seine Sachkunde wäre absolut verplempert, würde er nicht auch noch unterrichten: Wolf Kampmann lehrt Musik- und Jazzgeschichte an der Hochschule der populären Künste und am Jazz-Institut Berlin. Ihr wollt diesem Mann etwas über Musik erzählen? Na, dann: viel Glück.

Wer solls lesen?

Alle, die zu wissen glauben, dass Schlager lieb- und gehaltlose Scheiße ist, bloß weil sie mal einen lieb- und gehaltlosen Scheiß-Song von Helene Fischer, Andrea Berg oder DJ Ötzi gehört haben. Passt bloß auf, dass euch die Unterkieferknochen nicht allzu hart auf die Füße fallen, das tut weh.

Das beste Zitat:

"Bezeichnenderweise waren es in Deutschland zuerst weibliche Stars, die aufmuckten. Den Anfang machte 1960 Trude Herr mit 'Ich will keine Schokolade'. Zeitgleich huldigte die bereits 29-jährige Caterina Valente mit ihrem Bruder Silvio Francesco unter dem Logo Club Honolulu dem unkaputtbaren 'Itsy Bitsy Teenie Weenie Honolulu-Strand-Bikini'. Losungen wie: "Acht … Neun … Zehn, na was gibt's denn da zu seh'n'' oder 'Eins … Zwei … Drei, na was ist denn schon dabei' müssen 1960 wie ein Frontalangriff auf das puritanische Wirtschaftswunder-Selbstverständnis gewirkt haben. Der ehemalige dänische Kinderstar Gitte hatte die Nase voll von der ganzen Deutschtümelei und wollte 1963 lieber einen Cowboy zum Mann. Das allein wäre ja noch gesellschaftlich tragbar gewesen, hätte sie in dem Song nicht ihren Eltern widersprochen, die für sie einen Nachbarssohn auserwählt hatten, der bei der Deutschen Bahn arbeitete. Zu diesem Zeitpunkt war Gitte 16. Obwohl lustig verpackt, war auch dieser Song eine direkte Kampfansage an die erstarrten Altvorderen."

Wertung: 4/5

Text von Dani Fromm

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