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Konstantin Wecker - "Der Liebe Zuliebe"

Worum gehts?

Alkoholentzug, Selbstkritik, philosophische Gedanken zum Sinn des Lebens, der eigenen Sterblichkeit, politische Kommentare zu Faschismus und Klimakrise, Konstantin Weckers Lebensgeschichte, Abstürze und Höhepunkte und seine Wandlung vom Casanova zum Feministen und von einem nicht allzu frommen Menschsein über die Zwischenstation des Buddhismus zur christlichen Mystik und überhaupt zur Spiritualität. Lange habe der Autor gezögert, dieses Buch zu schreiben, und man merkt es dem Werk an. Es ist ein Springen und Hüpfen zwischen Gedankengängen und Themenkomplexen, die jeweils für sich genommen zu wenig aufgearbeitet sind oder keine 250 Seiten füllen würden. In ihrer Verquirlung miteinander stellen sie aber aber die Zerrissenheit und Selbsttäuschung des Pianisten und Poeten mitfühlbar und nachvollziehbar dar.

Als Essenz des Buchs lässt sich zwischen den Zeilen das schockierte Anerkennen einer jahrzehntelangen Depression und inneren Leere herauslesen. Der Autor macht diese daran fest, mit der Fassade unseres gesellschaftlichen Systems voller Ablenkung(en) sozialisiert worden zu sein und dieses sogar in tiefsten Krisen nie hinterfragt zu haben, als er auf Goldkettchen und fette Autos stand. An diesen Stellen gerät das Buch am stringentesten und erkenntnisreichsten. Vieles wiederholt sich derweil auch. Am meisten haften bleiben die Kapitel über den gescheiterten Versuch des Künstlers, eine Kneipe zu betreiben, und seine Kokain-Sucht, die Ende 1995 aufflog, den anschließenden Gerichtsprozess, seine Inhaftierung und sein ambivalentes Verhältnis zu den Mithäftlingen.

Der Schluss behandelt Konstantin Weckers Wünsche nach utopischem Denken und einem anarchistischen System sowie seine Warnung vor der "Skrupellosigkeit und Dummheit der bürgerlichen Parteien und der Konservativen. (...) Die Faschisten in Österreich lassen grüßen". Auch wenn das Buch sich immer mehr zum Gemischtwarenladen für zig Themen auffächert, bildet den Aufhänger und blassroten Faden doch der Kampf darum, nach 62 Jahren Konsum nun trockener Alkoholiker zu werden. Auslöser war der Aufenthalt in einer buddhistischen Entzugsklinik in Thailand. "In der buddhistischen Tradition gibt es eine Übung, in der man sich vorstellen soll, dass man stirbt - samt Todeszeitpunkt (...) Buddhisten sagen, dass die Triebbefriedigung unglücklich macht", schreibt Wecker.

Wer hats geschrieben?

Der Münchener Singer/Songwriter mit Zweitwohnsitz in der Toskana hat schon mehrere autobiographische Bücher verfasst und nimmt auch auf diese Bezug. Er zitiert eigene Gedichte, Tagebuch-Einträge sowie ein größeres Arsenal an Dichtern und Denkern, Aktivisten und Analytiker, samt Fußnoten und Literaturverzeichnis. Allen voran: Rainer Maria Rilke, Stefan Zweig, Albert Camus, Martin Luther King, ferner: Hannah Arendt, Ingeborg Bachmann, Jürgen Habermas, Michel Foucault, Oscar Wilde, Veronika Kracher sowie das Neue Testament der Bibel.

Der Autor pendelt zwischen Gesellschaftskritik, Selbstkritik und seiner Rolle als einem Geläuterten, zwischen praktischen Fragen und Überlegungen zur eigenen Schuld. Er habe den gesamten Text nur in ein Schreibprogramm diktiert, da er seit drei Jahren weder Klaviertasten noch Stifte und Tastaturen adäquat bedienen könne.

Wer solls lesen?

Wer sich für Zeitgeschichte und Systemkritik interessiert, für Gedankenanstöße, Anekdotisches und Fließtexte mit skizzenhafter Struktur, die immer wieder zerfleddern und eher Collagen aus Ausschnitten mehrerer potenzieller Bücher und Amalgame aus unterschiedlichen Textsorten sind. Wer Konstantin Wecker als Figur spannend findet und seinen Blick auf die Münchner Schickeria, wird in der Mitte des Buchs interessante Kapitel entdecken. Wer sich aktuell Gedanken macht, wie es in Europa mit rechtsextremen Parteien weitergeht, wird am Ende des Buchs bedient.

Das beste Zitat:

Trotz oft trockener Schreibweise gibt es immer wieder brillante Stellen:

"Das Gemeine ist, dass du als Hersteller von Bier, Sekt oder Wein alles alkoholfrei nennen darfst, was bis zu 0,5 % Alkohol hat. Aber selbst diese kleine Menge würde mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Rückfall auslösen. Hinter dem Alkohol steckt eine riesige Wirtschaftsmacht (...) Früher habe ich oft Konzerte gespielt, weil ich wusste: Danach wird gefeiert. Danach gibt es drei Flaschen Wein. Es war die Sucht, die mich getrieben hat."

"Ich war traurig, aber ich wusste nicht, warum."

"Niemand wollte mir glauben, dass es möglich sein kann, über ein Kilo Kokain im Laufe eines Jahres selbst zu konsumieren - und keinen Handel damit zu treiben."

"Mir hat diese kapitalistische, bipolare, eitle Gesellschaft nie wirklich zugesagt, obwohl ich - und das muss ich leider ehrlich zugeben - immer wieder leidenschaftlich in sie eingetaucht bin und mich von ihr anstecken ließ. (...) An vielen Orten, in Einkaufsmärkten, Läden und Restaurants, läuft Musik im Hintergrund (...) viele lassen das Radio permanent laufen, um sich abzulenken. (...) Und das Gedankenkarussell dreht sich angesichts dieser Ablenkungen unaufhörlich in unserem Kopf. Niemals kehrt wirklich Ruhe ein. Wir leben in einer Gesellschaft, in der Ablenkung erstrebenswert scheint."

Wertung: 3/5

Text von Philipp Kause

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