Rike van Kleef - "Billige Plätze"

Worum gehts?
Diskussionen über das unausgewogene Geschlechterverhältnis in der Musikbranche landeten früher oder später immer wieder an einem Punkt, an dem sich das begründete Gefühl, FLINTA*-Personen seien im Musikgeschäft massiv unterrepräsentiert, nicht mit validen Zahlen belegen ließ. Schlicht deswegen, weil sie nie jemand erhoben hat. "Dann mach' ich das halt", dachte sich wohl Rike van Kleef. Obwohl es sich gar nicht um einen journalistischen Text, sondern um eine wissenschaftliche Arbeit handelte, wurde sie für ihre Studie zum Thema 2023 mit einem International Music Journalism Award geehrt.
Die Problematik hat die Autorin seither nicht losgelassen. Sie sprach mit zahllosen Akteur*innen aus allen möglichen Bereichen der Branche. Bald stand fest: Der Stoff verlangte nach der Buchform. Voilà: "Billige Plätze" zeigt die Schieflage in ihrem ganzen Ausmaß. Obacht, Warnhinweis: Dieses Buch nervt gewaltig, es macht wütend, müde, frustriert und ergo überhaupt keinen Spaß. Vieles wiederholt sich, und am Ende hat man das Thema wirklich mehr als satt. Der Umstand, dass es dennoch nötig, nein, geradezu unerlässlich ist, dass dieses Buch existiert, macht es nicht besser. Im Gegenteil.
Die Musikbranche gibt sich ja gerne progressiv und fortschrittlich, tatsächlich herrscht aber auch in ihren Strukturen das Patriarchat. Von Gleichberechtigung sind wir weit entfernt. FLINTA* sind nicht nur auf den Bühnen noch immer rar, sondern auch daneben und dahinter. Auf den Chefsesseln sitzen Männer. Der Gender-Pay-Gap ist real. So FLINTA* überhaupt vorkommen, werden sie dramatisch schlechter bezahlt als ihre cis-männlichen Kollegen. Van Kleef berichtet außerdem von ungleich verteilter Care-Arbeit, der Gefahr von sexuellen Übergriffen, fehlender Infrastruktur, und, und, und. Um nicht nur zu lamentieren, sondern einen konstruktiven Beitrag zu leisten, zeigt sie aber auch mögliche Wege aus der Misere auf.
Wer hats geschrieben?
Eine, die das Geschäft aus den unterschiedlichsten Perspektiven kennt: Rike van Kleef arbeitete als Veranstalterin, Bookerin, Promoterin, Moderatorin und Journalistin. Sie ist außerdem Mitbegründerin von fæmm. Die queerfeministische Initiative setzt sich für Geschlechtergerechtigkeit und gegen Diskriminierung in der Musikbranche ein. Nicht zuletzt ist Rike eine beeindruckend engagierte und dabei zauberhaft herzenswarme Person - und sie schuldet mir immer noch ein Interview.
Wer solls lesen?
Wir, die Frauen, Queers, inter-, nonbinären, trans Personen aus der Branche, wissen zwar längst, was in diesem Buch steht. Wir bekommen hier aber noch einmal deutlich vor Augen geführt, wie wichtig Sichtbarkeit, Vernetzung und gegenseitiger Support sind. Die Moral für uns: Wir müssen endlich Seilschaften bilden, wie sie Männer längst haben und nutzen. Vor allem sollten dieses Buch aber Männer lesen. Denen ist oft ja gar nicht bewusst, wo die Hürden überhaupt liegen, die FLINTA* erst mühsam überwinden, umgehen oder aus dem Weg schaffen müssen. Würden mehr Männer kapieren, dass sich Privilegien auch dazu nutzen ließen, um sie abzuschaffen, wäre viel gewonnen. Dass nämlich divers besetzte, gleichberechtigte Teams allen Beteiligten ein angenehmeres Arbeitsumfeld bieten: Auch das lehrt "Billige Plätze".
Das beste Zitat:
"Im Englischen gibt es den Ausspruch 'If you can see it, you can be it'. Wenn gewollt ist, dass Frauen (und andere Geschlechter) wie von der Verfassung vorgesehen gleichberechtigte Teilhabe erfahren, dann müssen Frauen (und andere Geschlechter) sehen, dass diese Möglichkeiten für sie auch gegeben sind. Dafür müssen diese Möglichkeiten zunächst natürlich tatsächlich existieren. Es braucht aber ohne Zweifel auch starke Vorbilder, die diese Möglichkeiten repräsentieren – um nicht nur Nachwuchs-Musiker*innen, sondern auch Entscheidungsträger*innen zu zeigen: Es ist möglich."
Wertung: 4/5
Text von Dani Fromm
Kaufen?
Rike van Kleef - "Billige Plätze"*
Wenn du über diesen Link etwas bei amazon.de bestellst, unterstützt du laut.de mit ein paar Cent. Dankeschön!
Noch keine Kommentare