Stoff genug für einen Roman: Wenn der einzige echte Gangster unter den Rappern aber ins Fabulieren gerät, wirds eng mit der Kredibilität.

Fabuland (dani) - Rapper erzählt Lebensgeschichte: ein so bewährtes Vorgehen, dass es schon als Trend durchgeht. Wieso auch nicht? Die leicht zu beeindruckende Zielgruppe kauft, überteuerte Deluxe-Boxen beweisen das regelmäßig, ohnehin alles, was der Markt so feil bietet. Da Para machen, gerne mit allen Mitteln, in Gangstarap-Kreisen die Hauptmotivation darstellt: nur eine Frage der Zeit, bis die Herren Rap-Ganoven die Räuberpistolen, die sie sonst mehr oder weniger kunstvoll gereimt von sich geben, auch in Buchform verticken.

Jetzt also Xatar. Der hat wenigstens etwas zu berichten. Giwar Hajabi, soviel ist aktenkundig und steht somit außer Zweifel, saß mehrfach hinter Gittern, in den USA, im Irak, in Deutschland, zuletzt wegen eines einigermaßen spektakulären Goldraubs. Entsprechend versucht er sich im Rahmen von "Alles oder nix: Bei uns sagt man, die Welt gehört dir" (riva Verlag, gebundene 224 plus vier Seiten mäßig aussagekräftiger, weil fast sämtlich verpixelter Fotos) in Szene zu setzen: als die einsame Ausnahme, den einzig echten Verbrecher unter lauter Möchtegern-Banditen und Halunken-Darstellern.

Nichts als die Wahrheit?

Xatars Vergangenheit gäbe durchaus genug her, um ein Buch zu füllen, auch ohne allzu viel erfinden zu müssen. Blöd nur, dass schon die abstruse Rahmenhandlung um seine Erinnerungen herum dermaßen unglaubwürdig erscheint, dass von Seite eins an übergroß die Frage im Raum steht: Was stimmt denn nu?

Dass er in einem Verhörzimmer in einem irakischen Gefängnis einem Geheimdienstmitarbeiter seinen Werdegang erzählt, und der sich engelsgeduldig die rührseligen Kindheitsgeschichten vom im Kunstunterricht und beim Sport gemobbten kleinen Giwar anhört, obwohl er doch nur wissen will, was sich jeder fragt (nämlich wo die verdammte Beute abgeblieben ist!), diesen Bären kann Xatar seinen Lesern doch wohl nicht ernsthaft aufbinden und dabei authentisch wirken wollen.

Die gleich mehrfach geschwungene Rede von der "Wahrheit, wie sie hätte sein können", sägt weiter an der Glaubwürdigkeit. Einem fiktiven Werk schadet das Spiel mit verschiedenen Ebenen unterschiedlichen Realitätsgehalts nicht. Einem Xatar, der sich als der einzige wahrhaftige Gangster inmitten lauter Fakes verkaufen will, entzieht das an den Haaren herbei gezogene Konstrukt aus Prolog und Zwischenspielen sein Alleinstellungsmerkmal. Wenn ich schon fingerdick aufs Brot geschmiert bekomme, dass die Story zumindest in Teilen erstunken und erlogen ist: wozu dann das Ganze?

Das ewige Opfer

Immerhin entpuppt sich Xatars Buch ob seiner verschenkten Möglichkeiten als in so vieler Hinsicht ärgerlich, dass man die Lektüre jedenfalls tatsächlich keinen Moment als langweilig empfindet. Giwar Hajabi hatte als Sohn sicherlich traumatisierter kurdischer Flüchtlinge gewiss keinen besonders geschmeidigen Start ins Leben. Die unterschwellige Weinerlichkeit, mit der er sein Abrutschen in kriminelle Kreise auf alle anderen schiebt, nervt allerdings gewaltig.

Sein malerisches Talent? Vom rassistischen Kunstlehrer erstickt. Die Basketballkarriere? Vom rassistischen Trainer beendet. Dem schulischen Erfolg standen, ihr ahnt es, rassistische Mitschüler und Lehrer im Weg. Bei einer Party in der Playboy Mansion hat Xatar eine Frau verdroschen? Da hat wohl jemand Drogen in seinen Drink gekippt. Nur einer trägt nie auch nur anteilig Schuld: der Erzähler selbst.

Genau so als fremdbestimmter Spielball stellt sich Xatar in seiner hervorstechenden Eigenschaft dar, als Verbrecher. Einmal auf die schiefe Bahn geraten, kann er einfach nicht mehr aussteigen, obwohl er, behauptet er jedenfalls, das doch sooo gerne wollte. Man braucht aber ja Geld, um eine nicht-kriminelle Karriere aufzubauen. Logisch, dass man das mit kriminellen Aktivitäten beschaffen muss. Ein richtiger Mann muss seine Familie versorgen. Selbstverständlich über krumme Dinger. Ehrliche Arbeit? Alter! Was für ein abstruser Gedanke! Ein einziges Mal zugeben, dass man die dicke Kohle fürs eigene Prestige, zum persönlichen Vergnügen, schlicht für sich wollte und zu ihrer Beschaffung dann eben den Weg des (vermeintlich) geringsten Widerstands gewählt hat: Man hätte es dem Verfasser zur Abwechslung auch einmal uneingeschränkt abgenommen.

Gott ist groß, wenns gerade passt

So aber untergräbt Xatar munter und permanent seine stetig beschworene Kredibilität. Zum Beispiel berichtet er von einem Racheakt in einem Londoner Casino, wo er als Augenzeuge (und Auslöser) gesehen haben will, wie eine Horde Minderjähriger mit Schwertern Gäste und Angestellte niedermetzelte. Dass ein solcher Überfall so gar keine nachprüfbaren Spuren im Netz hinterlassen haben soll, zumal er dem Buch zufolge "wochenlang das große Thema in allen britischen Zeitungen" war, kommt mir zumindest befremdlich vor.

Genau so fragwürdig erscheint, wenn Xatar nach über zweihundert Seiten voller Dealerei, Hehlerei, Raub, Gewalt und Selbstjustiz eine Seite lang auf geläutert macht, weil er im Gefängnis Thora, Bibel und Koran studiert habe und nun jungen Menschen den rechten Weg weisen will. (Jedenfalls, solange er danach sein Geld zählen und in seinem - ja, ist mir wohl aufgefallen! - natürlich blauen Tresor verstauen kann.) Gott ist groß, an seine und die Gesetze der Menschen halte ich mich aber bloß, wenn es mir gerade in den Kram passt: Derlei Bigotterie kennt man ja von anderen erklärten Ehrenmännern.

Hip Hop bleibt Geschäftsmodell

Um Hip Hop geht es in "Alles oder nichts" bestenfalls äußerst am Rande. Zwar habe ich mir von Xatar keine tiefgreifenden Einblicke ins Rap-Game erwartet. Die völlige Lieblosigkeit, mit der er (zumindest in seinem Buch) die Musik lediglich als Geschäftsmodell statt als mit Herzblut und Passion ausgeübte Kunst beschreibt, überrascht dann aber doch.

Einfallsreich!

Am verladensten fühlte ich mich übrigens, als Xatar über seinen ersten großen Auftritt beim Rheinkultur-Festival schreibt: "Ich überlegte mir eine kleine Choreografie", heißt es da. "Ich würde auf die Bühne kommen und mein Mikrofon beim Rappen fallen lassen. Dann würde ich es aufheben und die Line bringen: 'Mein Mic fällt hin, doch trotzdem seh' ich gut aus.' Alles getimed und sich reimend." Da hat er sich ja mal wirklich was überlegt, der Xatar:

"Eine kleine Choreografie", so originell, dass Big Daddy Kane haargenau dieselbe schon deutlich früher eingefallen ist. Der trug dabei den Mantel auch irgendwie mit mehr Grandezza als Xatar seine Bauchtasche:

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laut.de-Porträt Xatar

"Heute regnet es Kugeln in der Nacht, es wird nie wieder gelacht, ihr habt Xatar sauer gemacht. Ich pack' links mein Schlagring, rechts meine Axt. Ich …

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