Wahnsinn ohne Methode, Riffs, Suff und Meth-Sucht. Gary Holt prägte mit Exodus den Thrash-Metal, seine Memoiren erklären, warum sie keine Überflieger wurden.
San Pablo, Kalifornien (gbi) - Metallica und Exodus waren in den Achtzigerjahren beide vorne mit dabei, als in der kalifornischen Bay Area ein neuer Musikstil namens Thrash Metal unheilige Gestalt annahm. Dennoch verliefen die Wege dieser Teenager höchst unterschiedlich: Die Mitglieder der einen Band gelangten zu Weltruhm und haben heute finanziell ausgesorgt. Die anderen kamen nie über den Status der Underdogs und ihre beschauliche Szene hinaus – und tanzten den 'Toxic Waltz' immer nahe am Abgrund.
Wieso aus Exodus keine zweiten Metallica wurden, zeigt Gary Holts Autobiographie "A Fabulous Disaster": In dem so schonungslos wie unterhaltsam geschriebenen Rückblick lässt der heute 61-jährige Gitarrist und Bandchef keine Zweifel daran, dass Exodus sich karrieretechnisch gerne selbst im Weg standen. Wenn sie mal nicht einfach Pech hatten.
Das begann schon in der Frühphase: Während die jungen Metallica Gig um Gig die Welt eroberten, kaperten Holt und seine Kumpels die leerstehende Metallica-WG, um dort wilde Partys zu feiern. Wo immer der "tollwütige Haufen" (so Holts liebevolle Bezeichnung) aufschlug, waren Exzess und Chaos programmiert. Diesem Lifestyle blieben sie lange treu, eine klassische Suchtkarriere war die Folge: "You go from being a musician who dabbles in drugs to being a drug addict who dabbles in music." Zu den übelsten Zeiten hatten vier von fünf Bandmitgliedern eine tagesfüllende Sucht zu bewirtschaften. Wäre Holt auf einer Europatournee 2002 nicht der Stoff ausgegangen, wäre er womöglich nie vom Meth weggekommen.
"Summer Of Love" mit Kirk Hammett
Gary Holt kommt 1964 zur Welt und wächst in San Pablo auf, einer rauen "blue-collar"-Gemeinde nahe San Francisco. Als jüngstes von sechs Kindern wird er gerne übersehen, was dem Tunichtgut und Schulabbrecher ganz recht ist.
Einen besonderen Platz im Buch nimmt Kirk Hammett ein, der auch das Vorwort verfasst hat. Er war es schließlich, der den 17-jährigen Gary dazu ermutigte, eine Gitarre in die Hand zu nehmen und bei seiner Band Exodus einzusteigen. Die beiden wurden unzertrennlich: Holt erinnert sich an einen "summer of love", in dem sie regelmäßig Plattenläden, Drogendealer und Liquor Stores abklapperten, um dann vollgedröhnt auf einer Wiese abzuhängen. Als Hammett zu Metallica wechselte, war Holt auf einmal der neue Riffmeister bei Exodus. Und verdammt ready dafür: "In fact, Kirk leaving worked for me: I was happy. I was like 'The band is mine now.'" Und so machten sich Holt und seine Mitstreiter daran, den Sound nach ihren Vorstellungen zu formen: rauer, härter, aggressiver war die Marschrichtung, die vom traditionellen Heavy Metal à la Iron Maiden hin zum Thrash Metal führte.
Gerade die Frühphase der Band war von Irrsinn geprägt, teilweise liest sich das Buch wie ein "Spinal Tap"-Spin-off: Garys erste Begegnung mit Tom Hunting, der bis heute Drummer bei Exodus ist, endet mit einer Verhaftung. Dann ist da die Episode, als die Exodus-Jungs einer anderen Band das Equipment stehlen wollen, weil sie kein Geld für eigenes haben – aber wegen ihres stümperhaften Plans auffliegen.
Und dann ist da natürlich Paul Baloff, der ohne Erfahrung, dafür mit einer Metal-as-fuck-Attitüde als Sänger engagiert wird. Der Ruf des wilden Lockenkopfs ist Legende, auch wenn er auf nur einem Album – dem Debüt "Bonded By Blood" von 1985 – zu hören ist. Holt zeichnet nach, wie Baloff die Konzerte mit seiner Energie aufs nächste Level hob ("He looked like a guy who was destined to destroy") und nach dem Split in der Verwahrlosung versank. Und wie er sich 2002 unverhofft am Sterbebett seines Freundes wiederfand. Doch für Holt wurde Baloffs früher Tod nicht zum Weckruf. Stattdessen hing er nur noch mehr an der Meth-Pfeife: "I didn't wise up. I had crawled into a glass pipe. "
Mäusekacke for Money
An dunklen Episoden mangelt es in dem Buch nicht. Holts Sucht ruinierte seine erste Ehe, mit 36 Jahren musste er wieder bei seinen Eltern einziehen. Auch musikalische Tiefschläge gab es einige, Exodus waren irgendwie immer pleite. Vollgedröhnt, aber mittellos. Als sie 1993 von ihrem Label flogen, schlug Holt sich mit Scheißjobs durch. Wortwörtlich: Bei einem Wohnmobil-Verleiher musste er kiloweise Mäusekacke zusammenkehren. Dass ein Magazin ihn in der "Where are they now?"-Kategorie auflistet, ist die Kirsche obendrauf.
Doch die Geschichte endet natürlich nicht im Jammertal: Holt und seine Bandkollegen finden wieder zusammen, zu Sinnen und erleben seit dem 2004er-Realease "Tempo Of The Damned" ihren wohlverdienten zweiten Frühling. Der bei Konzerten mit zunächst nur gerade zehn zahlenden Besucher*innen allerdings hart erkämpft werden muss.
Thrash-Prominenz an jeder Ecke
Die Lektüre von "A Fabulous Disaster" lohnt sich nicht nur für Exodus-Fans, sondern für Metalheads generell. Alle möglichen Szene-Nasen kreuzen darin Holts Weg. Natürlich auch Slayer: Holt half (und hilft) der befreundeten Band ab 2012 als Gitarrist aus, um den zunächst verletzten, dann verstorbenen Jeff Hanneman zu ersetzen. Hier erhascht die Leserschaft auch einen Blick hinter die Kulissen einer der größten Metalbands überhaupt. Als er plötzlich Business Class fliegt und in luxuriösen Hotels residiert, fasst Holt auch den Vorsatz, die Geschicke von Exodus etwas zu professionalisieren. Ein weiser Entscheid.
Von hochnotpeinlichen Tourstorys über Gitarren-Nerdkram bis zu den zahllosen Wechseln im Line-up Gary Holt lässt in seiner Biografie nichts aus – und ringt selbst den schlimmsten Storys noch eine Pointe ab. Nach diesen knapp 270 Seiten muss man den Saitenschredderer mit dem irren Grinsen einfach mögen. Holt mag clean und trocken geworden sein, der stolzeste Großvater der Welt und ein besserer Ehemann für seine zweite Frau, doch sein musikalischer Anspruch ist der gleiche wie jeher: Er sieht Exodus als verwegene Straßengang, die zerstören und jede andere Band von der Bühne fegen will. Nicht mit Finesse, sondern mit roher Gewalt: "We're not Tom Cruise in Mission: Impossible, we're fucking John Wick." Gut gebrüllt, Straßenköter.
Gary Holt - "A Fabulous Disaster*"
Wenn du über diesen Link etwas bei amazon.de bestellst, unterstützt du laut.de mit ein paar Cent. Dankeschön!
Noch keine Kommentare