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Judith Holofernes

Wie waren die bisherigen drei Monate im Lockdown? Kreativ oder depressiv?

Judith Holofernes: Am Anfang war an tiefe, kreative Arbeit nicht wirklich zu denken. Das Thema Corona hat mich wahnsinnig belegt, ich war viel zu viel im Internet, viel müde und konnte noch nicht mal konzentriert ein Buch lesen oder einen Podcast hören. Aber inzwischen hab ich eigentlich einen guten Groove gefunden, jetzt lese ich wieder sehr viel und höre nerdige Podcasts, die mich inspirieren. Und ich schreibe selbst viel an autobiografischen Texten für meine Patrons. Es ist schön, durch Patreon so eine 'Semi-Öffentlichkeit' von wohlwollenden Leuten zu haben, und es motiviert mich, dass ich das Gefühl habe, mein kreativer Output hilft, sie gut durch diese Zeit zu bringen. Vor allem mein eigener Podcast war für mich eine schöne Möglichkeit, weiter zu kommunizieren, auch ohne Bühne.

Wie wird dich der Lockdown prägen? Gibt es Erkenntnisse oder Konsequenzen, die sich aus einem viertel Jahr Stubenhocken für dein Business ableiten lassen? Oder hofft man einfach, dass sich die Lage in den kommenden Monaten wieder normalisiert, und es so weitergehen kann wie in den Jahren zuvor?

Mich hat das Ganze natürlich sehr in meinem Schritt raus aus dem konventionellen Musikbusiness und hin zu einem crowd-basierten Modell bestätigt. Ich fühle mich so wohl mit meinen AbonnentInnen, wir haben so viel Spaß! Und natürlich gibt mir ihre Unterstützung ein Gefühl von Sicherheit, das vielen Künstlern jetzt schmerzlich fehlt. Ich habe den Schwerpunkt meines Berufs drastisch in Richtung kreativer Arbeit verschoben, bin viel weniger mit dem Drumherum beschäftigt und viel mehr damit, neue Sachen für meine Patrons zu machen. Ich hoffe, dass diese Krise auch andere Künstler inspiriert, darüber nachzudenken, wie sie leben und arbeiten wollen, und ob es für sie vielleicht innovativere Wege gibt. Es lohnt sich.

Im Juni kann es unter Auflagen wieder erste Konzerte geben. Bist du schon kräftig am Konzerte organisieren?

Nein, ich bin sowieso in einer introvertierteren Phase ... Ich schreibe an etwas, das vielleicht ein autobiografisches Buch wird, dank meiner Patrons brauche ich keinen Vorschuss und keinen Marketingplan und kann mir die Zeit nehmen, vor mich hin zu wurschteln, bis ich weiß, was das wirklich werden soll. Und für danach habe ich schon das erste Patreon-finanzierte musikalische Projekt im Augenwinkel. Ich bin noch für eine Weile beschäftigt!

Rechnen sich überhaupt Konzerte, wenn in nächster Zeit nur noch ein Bruchteil der Leute kommen darf?

Das wird sehr schwierig, vor allem für Leute, die wie ich mit einer großen Besetzung unterwegs sind, und für die Veranstalter. Meine Touren zum Beispiel sind durch die sechsköpfige Band schon immer knapp berechnet, und wenn ein paar Shows nicht so gut besucht sind, ist die gesamte Tourfinanzierung gefährdet. Ich hab keine Ahnung, wie das funktionieren soll, außer für Leute, die alleine mit der Loop-Station unterwegs sind.

Was kann man tun, um sich finanziell über Wasser zu halten? Rächt es sich gerade in der Coronakrise, dass Musik als Kulturgut regelrecht entwertet wurde?

Absolut, für die meisten Künstler wird jetzt sehr sichtbar, auf wie wackeligen Beinen ihre Existenz steht. Glücklicherweise macht die Krise diesen Umstand aber auch für die Fans sehr sichtbar, und es entsteht eine Solidarität, die vorher noch nicht so gefestigt war. Eine gute Zeit, um sich direkt mit seinen Fans zu verbinden und sie um Unterstützung zu bitten, sei es über eine Plattform wie Patreon, die ja eher was von einem Abosystem hat, oder über klassische Crowdfundings oder einen einfachen Spendenbutton. Kate Nash zum Beispiel hat einen Account auf Patreon aufgemacht, nicht für sich selbst, sondern um ihre arbeitslose Crew zu unterstützen.

Wie ist die Situation konkret für dich: Fühlt man sich angesichts gewaltiger Kurzarbeitergeld-Volumina etc. vom Staat im Stich gelassen? Man hat ja das Gefühl, dass Freiberuflern bzw. der Kulturbranche erst zuletzt geholfen wird - oder kommt man auch in den Genuss eines finanziellen Schutzschirms und/oder anderer Hilfen?

Es ist eine Sache, Musikliebhaber dazu zu bewegen, ihre Musiker direkt zu unterstützen. Es ist eine ganz andere Sache, wenn man mit Autokonzernen und Fluglinien um die Aufmerksamkeit von Politikerinnen konkurriert. Für viele Leute ist immer noch nicht klar, wie wichtig die Rolle von Künstlern in einer Gesellschaft ist, und wie viel die meisten von uns für ihren Beruf opfern. Da spielen Neid und unausgelebte Träume mit rein, und ein unausgeprochenes Einverständnis, dass ein echter Künstler gefälligst romantisch im Armenhaus an Syphillis zu verrecken habe. Glücklicherweise gibt es aber auch die Anderen, die Enthusiasten. Das sind die Leute, die mich seit Jahren beim Signieren fragen, was sie denn überhaupt noch machen könnten, um mir Geld zukommen zu lassen, sie hätten überhaupt kein CD-Laufwerk mehr. Für die habe ich mir jetzt ein eigenes Zuhause gebaut.

Judith Holofernes veröffentlichte nach ihrer Zeit mit Wir Sind Helden zwei Soloalben, zuletzt "Ich bin das Chaos" 2017. Im November startete sie ihren Podcast "Salon Holofernes", in dem sie mit Gästen (z.B. Philipp von Deichkind) über das Kunstmachen spricht. Sie ist auf der Plattform Patreon zuhause.

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