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Prezident

Wie waren die bisherigen drei Monate im Lockdown? Kreativ oder depressiv?

Prezident: Weder noch, ich bespaße meine Tochter den größten Teil des Tages. Ansonsten wurden hier mal Sessions aus dem letzten Jahr fertiggemischt, da mal ein paar Ströphlein geschrieben. Passt schon, hab ja grade erst ein Album rausgebracht.

Was denkst du, wird dich der Lockdown prägen? Gibt es Erkenntnisse oder Konsequenzen, die sich aus einem viertel Jahr Stubenhocken für dein Business ableiten lassen? Oder hofft man einfach, dass sich die Lage in den kommenden Monaten wieder normalisiert, und es so weitergehen kann wie in den Jahren zuvor?

Natürlich geht man davon aus, dass man irgendwann wieder weitermachen kann wie vor 2020. Ich wüsste jetzt auch nicht, was man als Künstler da groß für individuelle Konsequenzen ziehen sollte - Livekonzerte nicht mehr in Clubs vor Menschenmengen spielen, sondern nur noch vor Zehnergrüppchen hinter Scheiben als individuelle Sitzungen zu Psychotherapiepreisen? Meine Kreativität geht da nicht weiter als beim Rest der Branche, und dem sind bis jetzt auch nur Wohnzimmer-, Fortnite- und Autokinokonzerte als Ersatzhandlungen eingefallen.

Im Juni kann es unter Auflagen wieder erste Konzerte geben. Bist du schon kräftig am Konzerte organisieren?

Ich bin froh, wenn meine Gigs ab September nachgeholt werden können. Weiter denke ich aktuell noch nicht.

Auftreten ist für Acts das A und O. Aber rechnen sich überhaupt Konzerte, wenn in nächster Zeit nur noch ein Bruchteil der Leute kommen darf?

Naja, das ist ja nach wie vor Corona simple Mathematik: Kommt halt darauf an, wieviele Leute kommen dürfen (und ob die dann auch kommen und nicht fernbleiben aus Angst), wie viel die zahlen, und was man auf Künstler- und Veranstaltungsseite für Kosten hat. In der 1-MC-1-DJ-Konstellation, in der ich gut funktioniere, sind Aufwand und
Kosten gering und das Plusmachen entsprechend einfach. Mit den Ticketpreisen, die die Leute mittlerweile als selbstverständlich hinnehmen, kann man easy mit 50 Mann auf Null kommen und ab da Gewinn machen. Eine Solotour etwa mit einem Limit von 100 Besuchern pro Gig könnte ich schon spielen, rein rechnerisch. Die spannendere Frage wäre dann die nach Auflagen, die die Atmosphäre trüben. Nehmen wir z.B. an, die Besucherkapazitäten würden drastisch reduziert, dass etwa nur noch 100 Mann in eine 400-Mann-Location dürften und sich dann am besten gleichmäßig im Raum verteilen, bei sowas wäre ich dann raus.

Was kann man tun, um sich als Musiker*In finanziell über Wasser zu halten? Rächt es sich gerade in der Coronakrise, dass Musik als Kulturgut regelrecht entwertet wurde?

Weiß nicht, ob sich diese Entwertungsthese so allgemein halten lässt. Eine Inflation lässt sich sicherlich konstatieren - es wird mehr Musik produziert, mehr Musik konsumiert, und ich würde tippen, dass mehr Musiker denn je von ihrer Musik leben können, Seite an Seite übrigens mit Youtubern, Podcastern, Influencern, Gamern und was der spätkapitalistische Kulturbetrieb sonst so an Berufsblüten hervorgebracht hat in den letzten paar Jahren und Jahrzehnten. Wenn diese Menschen - mich eingeschlossen - wegen Corona oder weswegen auch immer morgen wieder irgendwas Richtiges arbeiten müssen, ist das halt so und auch keine humanitäre oder kulturelle Katastrophe in meinen Augen.

Wie ist die Situation konkret für dich: Fühlt man sich angesichts gewaltiger Kurzarbeitergeld-Volumina etc. vom Staat im Stich gelassen? Man hat ja das Gefühl, dass Freiberuflern bzw. der Kulturbranche erst zuletzt geholfen wird - oder kommt man auch in den Genuss eines finanziellen Schutzschirms und/oder anderer Hilfen?

Also hier in NRW gabs spezielle Hilfen für Künstler, ich hab aber so eine für Selbstständige beantragt und fünf Tage später 9000 Euros Corona
Mula auf dem Konto gehabt, mehr übrigens, als ich gewollt hätte oder bräuchte, aber den Betrag konnte man nicht frei wählen. Mal abwarten,
was ich davon behalten darf, aber wenn meine Ersatztermine stattfinden können, halten sich meine Einbußen in Grenzen. Dann kann NRW die auch zurückhaben meinetwegen und gerne an die Locations weiterleiten.

Der frühere Nischenrapper Prezident aus Wuppertal feierte mit seinem aktuellen Album "Alles ist voll von Göttern" erstmals den Einstieg in die Top 10 der Albumcharts.

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