Seite 17 von 21

Rainer Von Vielen

Wie waren die bisherigen drei Monate im Lockdown? Kreativ oder depressiv?

Michael Schönmetzer: Definitiv kreativ. Sich über den Lockdown aufzuregen, ist, wie sich am Wetter abzuarbeiten – man hat keinen Einfluss darauf. Und bei aller berechtigter Sorge geht es ja irgendwann auch wieder weiter. Wir versuchen die Zeit fürs Songwriting und Üben zu nutzen und machen Dinge, die sonst immer liegenbleiben: Proberaum aufräumen, Tourbus auf Vordermann bringen oder Rasen sähen. Sehr viel Zeit verbringen wir auch mit den Familien. Und Dank Kita-Lockdown ist da alles dabei: von wunderschön bis sehr anstrengend. Vor kurzem haben wir die Single "Ich bin Systemrelevant" rausgebracht, bei der wir den bayrischen Wirtschaftsminister Aiwanger sampeln. Und die andere Band unseres kleinen Musik-Kollektivs, Orange, bringt mitten in der Krise am 26. Juni ein Livealbum raus – auch ein Zeichen.

Wie wird euch der Lockdown prägen? Gibt es Erkenntnisse oder Konsequenzen, die sich aus einem viertel Jahr Stubenhocken für euer Business ableiten lassen? Oder hofft man einfach, dass sich die Lage in den kommenden Monaten wieder normalisiert, und es so weitergehen kann wie in den Jahren zuvor?

Die Corona-Pandemie wird mit Sicherheit ihre Spuren hinterlassen. Ganz konkret haben wir ein neues Corona-Produkt entwickelt: den Video-Cast. Die Elemente eines Songs, also Gesangs- und instrumentale Spuren werden mit Video-Beiträgen zusammengeführt und erzeugen eine Art Split-Screen-Collage. Verkauft wurde dieses Format auch schon ein paarmal – hier zwei Beispiele: " KulturTräger & Donnerstag im Mai und "Modifizierte Realität".

Im Juni kann es unter Auflagen wieder erste Konzerte geben. Seid ihr schon kräftig am Konzerte organisieren?

Nein – aber ich habe den Markt im Blick. Wir prüfen gerade die Möglichkeiten, aber die Behörden in Bayern wissen zur Zeit noch nicht mal, was sie genehmigen dürfen und was nicht. Derzeit fokussieren wir uns auf ein Special-Streaming-Konzert am 26. Juni - wir entwickeln eine eigens für diesen Event entworfene Show mit Mulitmedia-Komponenten und Wortbeiträgen. Ein Internet-Theaterstück mit Konzert. Wir wollen uns hier klar von der Masse der Streaming-Konzerte absetzen und nicht einfach ein normales Rainer von Vielen-Konzert ohne Publikum runterrotzen.

Auftreten ist für Bands das A und O. Aber rechnen sich überhaupt Konzerte, wenn in nächster Zeit nur noch ein Bruchteil der Leute kommen darf?

In Bayern dürfen Stand Anfang Juni 50 Leute Indoor und 100 Leute Outdoor kommen – alles unter Auflagen, die keiner kennt. Die Abstandsregeln allein werden eine Großzahl der Veranstaltungen nicht möglich machen. Für den kleinen Kellerclub wird die Luft da dünn. Veranstalter mit Open Air-Flächen und State-Money unterstütze Events könnten Alternativen sein.

Was kann man tun, um sich als Musiker*In finanziell über Wasser zu halten? Rächt es sich gerade in der Coronakrise, dass Musik als Kulturgut regelrecht entwertet wurde?

Patentlösungen sind hier schwierig. Die beim Musikmachen erlebten Erkenntnisse lassen sich manchmal in anderen Zusammenhängen anwenden. Ich habe in der Corona-Zeit zum Beispiel Aufträge vom Kulturamt in Kempten oder von einem unserer Netzwerkpartner ATTAC. Eine weitere Möglichkeit könnten Workshops und Unterricht sein. Aber man muss sich nichts vormachen, der Großteil der Einnahmen einer Band kommt aus dem Live-Bereich, und der wird bis zur Verfügbarkeit eines Impfstoffs nicht rund laufen. Vielleicht muss man für diese Zeit auch ganze andere Möglichkeiten des Geldverdienens in Betracht ziehen.

Wie ist die Situation konkret für euch: Fühlt man sich angesichts gewaltiger Kurzarbeitergeld-Volumina etc. vom Staat im Stich gelassen? Man hat ja das Gefühl, dass Freiberuflern bzw. der Kulturbranche erst zuletzt geholfen wird - oder kommt man auch in den Genuss eines finanziellen Schutzschirms und/oder anderer Hilfen?

Die der Kulturbranche zur Verfügung gestellten finanziellen Hilfen sind, verglichen mit anderen Branchen, tatsächlich überschaubar. Wir von Rainer Von Vielen haben die Corona-Soforthilfe des Bundes erhalten. Leider geht diese Soforthilfe an der Realität der Kulturschaffenden vorbei, weil sie keine Mietkosten, Fuhrparkkosten oder andere erwerbsmäßige Aufwendungen haben. Der von Zuhause aus arbeitende Künstler geht in der Regel leer aus, weil keine Lebenshaltungskosten bei diesen Soforthilfen gültig gemacht werden können. Ein schwerer Systemfehler. In Baden-Württemberg dürfen glücklicherweise 1.180 Euro fiktiver Unternehmerlohn pro Monat gesetzt werden, Bayern hat nachgezogen und bewilligt 1.000 Euro Lebenshaltungskosten pro Monat. In beiden Bundesländern jeweils für insgesamt drei Monate. Bei der GVL kann man 250 Euro Corona-Hilfe beantragen, die sehr schnell und unbürokratisch ausgezahlt wird. Zusätzlich kann man sich seine voraussichtlichen Einnahmen bis 2030 schon jetzt auszahlen lassen. Auch bei der GEMA kann man sich sein zukünftigen Einnahmen auszahlen lassen. Es bleibt festzuhalten: Die Kulturbranche wird unzureichend unterstützt. Hier gilt es, politischen Druck zu machen, und da verweise ich gerne auf die vom Verband für Popkultur in Bayern e.V. ins Leben gerufene Aktion: KEIN KULTURSTAAT OHNE KULTUR. Zentrale Forderung hier: Nachhaltige Hilfen für ALLE Beteiligten der Kultur- und Veranstaltungsbranche! Alle Infos an dieser Stelle. Bitte mitmachen!

Rainer Von Vielen bestehen seit 1998 und sind eine Art Bastard Pop-Band aus dem Allgäu. 2017 erschien ihr letztes Album "Überall Chaos".

Seite 17 von 21

Weiterlesen

Noch keine Kommentare