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Ohje!

Cultural Appropriation, da sagt Fatoni was. Können wir uns vielleicht drauf einigen, dass wir über dieses Thema gar nicht erst zu sprechen brauchen? Ohne kulturelle Aneignung gäbe es schließlich nicht nicht nur keinen deutschen Hip Hop, weil komplett aus den USA abgeschaut, sondern erst gar keinen Hip Hop, und eigentlich auch weder Rock'n'Roll noch Jazz und überhaupt recht wenig spannende Musik und Kultur.

Trotzdem mutet es doch einigermaßen ... naja ... schräg an, wenn jemand mit dem nicht gerade ausländisch klingenden Namen Mareike Greife Kollegen belehrt und sie dabei ganz schön herablassend mit "Liebe Spiegel-Almans" anspricht. Sind Nationalitäten jetzt wieder Kategorien, in denen man sich beschimpft? Dann: ohje.

Der Kommentar bei rap.de arbeitet sich an der Titelstory des Spiegels ab, der die "Faszination Gangsta-Rap" unter die Lupe nimmt und offenbar zu wenig erfreulichen Schlüssen kommt. Ich hab' ihn nicht gelesen, weil sich die Online-Version hinter einer Paywall versteckt. Deswegen werde ich so schnell wohl auch nicht erfahren, warum für eine Auseinandersetzung mit diesem Thema eine Reihe Autor*innen vonnöten ist, so lang wie die Produzenten- und Songwriterliste bei einem durchschnittlichen Mariah Carey-Song.

Egal, Kollegin Greife hat es (hoffentlich) gelesen. Mag sein, dass ihre Kritik inhaltlich berechtigt ist. Tonfall und Haltung finde ich tatsächlich aber überdenkenswert.

"Vor allem das sogenannten Bildungsbürgertum und die feuilletonistische Presse vertreten zum aktuellen Erfolg von Straßenrap recht geschlossen die Meinung, es gehe immer nur um Statussymbole, Gewalt, Frauen und Waffen." Kann ich eigentlich nicht bestätigen. Gerade in den letzten Jahren lese ich in der "feuilletonistischen Presse" mehr und mehr wahnsinnig fundierte Betrachtungen. In meiner Wahrnehmung wird da dem teils wirklich strunzdummen Geseiere mancher Rapper tatsächlich oft eher zu viel Tiefe und Bedeutung unterstellt als zu wenig.

Dass die Berichterstattung oft (nicht immer, natürlich nicht!) erfreulich sachkundig erfolgt, liegt tatsächlich daran, dass in der "feuilletonistischen Presse" zunehmend Menschen schreiben, die sich inzwischen seit Jahren mit der Kultur, über die sie da berichten, auseinandergesetzt haben. (Vielleicht nicht beim Spiegel, aber doch oft genug.)

"Die Armut, in der einige Rapper aufwuchsen und die auf einem Level präsent ist, das vermutlich keiner des 13-köpfigen Teams, das den Spiegel-Artikel verfasst hat, so in Deutschland vermuten würde." Vermutlich nicht, nein. Es bleibt trotzdem bloße Spekulation, aufgrund der Mareike Greife ihren Spiegel-Kolleg*innen das Verständnis abspricht. Offensichtlich weiß sie nichts über die Menschen, über die sie da schreibt. Sie kritisiert aber, dass die angeblich nichts über diejenigen wissen, über die sie schreiben? Weird.

Ganz offenkundig hat Mareike Greife jedenfalls keinen Schimmer von den oft ausgesprochen prekären Verhältnissen, in denen gerade freischaffende Schreiber*innen leben. Sonst würde sie wohl kaum verallgemeinernd von "wohlgenährten Kulturredakteuren" schreiben.

Diese merkwürdige Abgrenzung "wir", die Rap-Szene-Presse, gegen "die", die Mainstream-Medien, Feuilletons und Kulturseiten, könnten sich alle Seiten wirklich endlich abtrainieren. Warum, das hat Kollege Johann Voigt vor gut zwei Jahren schon bei ALL GOOD erklärt. Lest das.

"Das deutsche Feuilleton hat sich nie die Mühe gemacht, Rap als Kunstform zu akzeptieren", ledert auch Thore Barfuss, Ressortleiter für Community & Social bei der Welt, über die Spiegel-Reportage ab.

Wie gesagt: Ich kann das so pauschal nicht bestätigen. Mag sein, dass der beanstandete Spiegel-Artikel scheiße ist. Ziemlich sicher ist er scheiße, davon bin ich nach der Analyse von Antonia Baum überzeugt. Die hat den Text für ÜberMedien seziert - Ach, was: geschlachtet! -, ohne sich als Teil eines ominösen "Wir" über "die" zu erheben, sondern einfach, indem sie seine Fehler zeigt.

Zweifellos habe ich schon unendlich viel Humbug über Hip Hop gelesen. In diversesten Medien, "Mainstream", und "Szene" schenken sich da kaum etwas. (Allerdings beherrschen sie in den Nicht-ausschließlich-Rap-Medien meist besseres Deutsch.)

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