Pain Music
Vor einigen Jahren stolperte man im Internet des öfteren über das bedeutungsschwangere Statement, dass Anfang der letzten Dekade einer der größten Hits auf den Namen "Happy" hörte, wohingegen 2018 Songs wie "SAD!" die Charts dominierten: Das ist eine sehr simple und plakative Gegenüberstellung, die dennoch eine interessante Entwicklung in der populären Musik, aber ganz besonders im Hip Hop der letzten Jahren sehr anschaulich verbildlicht. Der Begriff "Pain Music" gewann in den letzten Monaten und Jahren zunehmend an Relevanz.
Die machen Künstler*innen, die ihre Musik als Ventil nutzen, um ihrem seelischen Schmerz auf besonders evokative Art und Weise Ausdruck zu verleihen. Bezeichnend ist dabei die fast schon theatralische Emotionalität, mit der sie dies tun. Rod Wave, Polo G oder der diesjährige Freshman Morray kommen einem diesbezüglich in den Sinn. Sie machen Musik, der man den Schmerz anhört.
Der amerikanische Journalist Brandon Callender stellt dieser Strömung der Pain Music in einem Essay für das Fader-Magazin nun eine noch jüngere Entwicklung gegenüber, die ähnliche Inhalt weniger bombastisch, aber dafür noch ungeschönter und direkter an den Mann bringt. "Digital Closeness" nennt er das Phänomen, das sich etwa beim Hören des neuen Young Thug-Albums einstellt. Auch die jüngsten Outings von Künstlern wie SahBabii, Vince Staples oder Mick Jenkins funktionieren ihm zufolge auf ähnliche Art und Weise.
Da rappt niemand, der sich in den Mittelpunkt drängen will, niemand, der seinen Fans gut zusprechen will. All diese Alben und ihre Methodik eint eine Intimität, die man erst zu greifen vermag, wenn man auch wirklich zuhört. Wenn Rod Wave in seinem tiefen Timbre darüber weint, wie ungerecht die Welt sei, oder ein Polo G begleitet von cineastischen Crescendos den Zyklus der Gewalt in seiner Heimatstadt nacherzählt, dann fällt es nur zu leicht, nachzuempfinden, was diese Geschichten so tragisch und traurig macht.
Wenn man hingegen Thugga oder Vince Staples zuhört, stellt sich diese Emotionalität beim Hören nicht ein, selbst wenn der Inhalt den jener melodischen Rapper hinsichtlich seiner Tragik oder Melancholie noch bei weitem übersteigt. "They're rapping with their inside voices - loud enough to be understood, but quiet enough to not draw unwanted attention", schreibt Callender. Alben wie "Punk" oder "Vince Staples" sind Zeugnisse eines Schmerzes, der nicht performativ ist, fast wie von selbst scheint er seinen Weg aufs Papier zu finden, einfach, weil er es muss, weil sonst das Fass überzulaufen droht.
Das liegt auch daran, weil dieser Schmerz andauert, er ist lediglich das Symptom völlig anderer und viel größerer Missstände, deren Lösung nicht über Nacht geschehen kann. Cellender formuliert es so: "This is the core of all pain music - there aren't singular moments of distress. The haunting recurring images they rap about become generalized to the point where they're damn near numb to it all." So entstehen unaufgeregte, ehrliche Alben von gemarterten Seelen, die gehört, aber nicht zwangsweise verstanden werden wollen, dafür sind die Erzählungen ohnehin meist zu persönlich.
Vielleicht ist das verstärkte Aufkommen solcher Alben in diesem Jahr reiner Zufall, vielleicht aber auch symptomatisch für die Zeit, in der wir uns befinden. So oder so finde ich diese Entwicklung hochinteressant, weil sie zeigt, dass die neugefundene Verletzlichkeit und Offenheit im Hip Hop nicht in eine Sackgasse führt und Nuancen für ein völlig andere Wahrnehmung sorgen können, auch wenn sie sich musikalisch ähneln. Hier könnt ihr den vollständigen Essay lesen.
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