Zugelassene Beweismittel
Die Frage bleibt, wieviel Kunst und Konzept künftig überhaupt noch möglich sein wird, sollte die Praxis weiter um sich greifen, (Rap-)Lyrics vor Gericht als Beweismittel heranzuziehen. Julian Brimmers hat sich für Die Zeit mit der Thematik befasst:
"Gunna und Young Thug sind die wohl populärsten, aber beileibe nicht die ersten prominenten Fälle, in denen Raptexte und Social-Media-Postings als Beweismittel in Prozessen angeführt werden", schreibt er da, verweist unter anderem auf Drakeo the Ruler und zitiert den Musikjournalisten-Kollegen Jeff Weiss:
"In Drakeos Fall brachte die Anklage alles an Texten, in denen es irgendwie um Waffen ging, vor Gericht (...) Ich habe noch nie so etwas Voreingenommenes erlebt wie das Vorgehen der Schwarzen Richterin. Zwei Juroren, die schnell klarmachten, dass sie diese Art der Beweisführung für falsch hielten, wurden wegen kleinerer Formfehler ausgetauscht. Drakeos Prozess war der fundamentalste Justizirrtum, den ich je miterlebt habe. Wäre die Geschichte nicht so düster gewesen, man hätte fast lachen müssen."
In den USA und in Großbritannien, wo die Justiz auf diesem Weg die (angeblich) vom UK Drill befeuerte Gewalt einzudämmen versucht, passiert diese Umdeutung vom Kunstprodukt Lyrics in beweiskräftige Tatsachenbehauptungen bereits immer wieder, und auch für Deutschland, "wo jeder globale Raptrend mit einiger Latenzzeit seine Umsetzung findet", erwartet Brimmers eine ähnliche Entwicklung. Das Theater um die Realness oder Nicht-Realness eines Kolja Goldstein deutet er als erste Schritte in einer derartigen Entwicklung.
Hierzulande liegt im Ermessen der zuständigen Richter*innen, ob sie einen Rap-Text als Beweismittel zulassen oder nicht. Sollte sich durchsetzen, dass für bare Münze gilt, was irgendein Rapper (oder einer dieser Country-Dudes, die ja durchaus auch den einen oder anderen Mann in Reno und anderswo auf dem Gewissen haben) in ein Mikrofon blubbert, sieht es wahrlich düster aus für die Freiheit der Kunst.
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