Ohne einen Plan B: Die Amerikaner liefern ein perfektes Gesamtkunstwerk aus Klang, Licht und Intimität.
Berlin (dp) - Arena-Shows genießen meist den Ruf, routiniert und glatt daherzukommen, aber 21 Pilots schaffen es auch 2025 noch, das Publikum in den großen Hallen abzuholen. Gestern verwandeln sie die Uber Arena in Berlin für über zwei Stunden in ein pulsierendes, vibrierendes Gesamtkunstwerk aus Klang, Licht und Intimität.
Starkult, aber in süß
Schon der erste Track "Overcompensate" setzt ein energetisches Statement: Tyler Joseph, noch voll maskiert, schießt wie eine gespannte Feder über die Bühne, Josh Duns Drumset donnert mit der gewohnten Präzision. Auf einmal wirkt die riesige Bühne gar nicht mehr zu groß für das Duo. Die Amerikaner starten, wie sie weitermachen: ohne Verschnaufpause, ohne falschen Ton, ohne Plan B.
Mit Klassikern wie "Holding On To You" und dem neuen Track "Vignette" pendeln die beiden zwischen Alt und Neu, zwischen Nostalgie und Moderne. Dann kommt "Car Radio" – und die bereits angeheizten Fans rasten vollkommen aus. Die Fanbase von 21 Pilots ist durchaus erwähnenswert. Loyal bis zum Schluss, fantasievoll gekleidet, textsicher sowieso und ausgestattet mit Schildern, bunten Handyaufklebern (für die Smartphone-Taschenlampe) und jeder Menge Freude an der Musik. Starkult, aber in süß.
Nähe und Ekstase
Auch die Band ist sich durchaus bewusst, was sie an ihren Anhänger:innen hat: Bei "The Judge" läuft im Hintergrund ein Clip, der Fans beim Anstehen vor der Arena zeigt – eine subtile Liebeserklärung an die Community. Im Refrain bricht die Halle in kollektiven Jubel aus. "The Craving (Jenna's Version)" berührt mit seiner Intimität, "Tear In My Heart" bringt die Masse zum Tanzen. Sitzplätze gibt es an diesem Abend in Berlin nur auf dem Papier.
Die erste Überraschung des Abends folgt mit dem B-Stage-Block: Auf einer kleinen Bühne mitten im Publikum spielt das Duo eine reduzierte, beinahe private Session mit "Mullbery Street" und "The Line". Es ist dieser Wechsel von Bombast und Unmittelbarkeit, der 21 Pilots so einzigartig macht. Und ihre Message: Du bist nicht allein!
Der Soundtrack einer Generation
Dramatisch wird es beim Switch zurück von der B- zur Hauptbühne: Sänger Taylor wird von einem Fackelträger zurück zur Mainstage geleitet, die bereits mit dystopischen Elementen bestückt ist. Im Anschluss wird die Bühne illuminiert, und während die Bühne brennt und raucht und Feuerwerk explodiert, entlädt sich "Navigating". Überhaupt beginnt nun der feurige Teil, man meint fast, es sei Silvester, so sehr wird auf der Bühne geböllert. Was für eine Show, das muss man dem Duo lassen!
Das sieht das Berliner Publikum genauso und kriegt sich überhaupt nicht mehr ein. Gut, dass nun ein wenig Ruhe einkehrt. Aber auch Grusel, denn auf der Leinwand sind Totenköpfe und Geier zu sehen. Diese Pause dauert aber nicht lange, schon bei "Guns For Hands" springen und tanzen wieder alle. Jeder Beat trifft ins Zentrum, jede Zeile sitzt. Besonders "Ride" entfaltet eine fast hymnische Wirkung: Tausende Arme oben, ein Rhythmus, ein Gefühl.
Im Konfettiregen
"Jumpsuit", "Stressed Out", "Trees" – das letzte Drittel des Abends gleicht einem musikalischen Feuerwerk. Als Tyler während "Trees" die große Trommel in die Menge bringt und gemeinsam mit dem Publikum im Konfettiregen spielt, entsteht dieser magische Moment, für den Livemusik gemacht ist: echt, laut, unvergesslich.
Joseph bahnt sich erneut seinen Weg durch die Halle. Die Fannähe, die vor allem er sucht, muss man aushalten können: Kein Schritt durch die Menge verstreicht ohne sehnsüchtige Hände, die nach seinem Körper greifen. Aber auch Drummer Dun verkauft sich gut. Erst zeigt er sein "Berlin"-Shirt, dessen er sich aber recht schnell entledigt und den Rest des Sets mit gestähltem Oberkörper absolviert. Das Auge hört hier nun mal mit.
Als Sympathiefaktor wird ein Junge auf die B-Bühne geholt, der den Refrain des Überhits "Ride" unterstützen soll, und das gut meistert! Seine Rockstarkarriere in der Uber Arena zu starten, ist jedenfalls nicht schlecht. Ob Kinder generell auf Konzerte gehören? Die Autorin meint: Nein!
Mittendrin statt nur dabei
Beim letzten Song des regulären Sets wird es dann noch mal besinnlich. Rücken an Rücken performt das Duo gefühlvoll "Paladin Strait", bevor Joshua auf einem Brett, getragen von den Fans in den ersten Reihen, im Publikum auftrommelt. Gewagt! Man kann die Wucht, die durch das Schlagzeugspiel auf die Arme der Fans einwirkt, nur erahnen. Mit "Paladin Strait" schlagen Tyler und Josh den Bogen zurück zum neuen Album – eingestreute Snippets von "Bandito" oder später "Midwest Indigo" verknüpfen Band-Vergangenheit und -Zukunft mühelos. Und dann, als man denkt, es könne nicht intensiver kommen, beginnt der Zugabeblock.
Eine der Zugaben heißt folgerichtig "Stressed Out", und die Uber Arena verwandelt sich in einen Chor. Zum Schluss gibt es die Band durch zwei kleine Bühnen im Moshpit wirklich mittendrin statt nur dabei. "Trees" ist das Lied, mit dem 21 Pilots ihre Konzerte immer beenden. Der Song beschreibt den Dialog zwischen Gott und einem Mann, der sich schweigend und angsterfüllt angesichts seines bevorstehenden Todes in den Bäumen versteckt. Mit diesem Rausschmeißer, mit großen Trommeln im Konfettiregen performt, endet ein Konzert, das sich trotz der Hallengröße überraschend intim angefühlt hat. 26 Songs, über zwei Stunden Show, zufriedene Fans. Vielleicht braucht es keine 21 Piloten, um den Adler zu landen, aber die Beiden hier machen das schon verdammt gut.
Fotos und Text: Désirée Pezzetta.
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