Mit seiner alkoholabhängigen Mutter hat Gimma einst einen absurden Rap-Track veröffentlicht. Es ist einer der wenigen heiteren gemeinsamen Momente, an die sich der Schweizer Rapper erinnert.
Chur (gbi) - Die Beziehung des Schweizer Rappers Gimma zu seiner Mutter wird von ihrer Trinksucht überschattet. In seinem Buch "Abschiede von Mutter" berichtet Gian-Marco Schmid, wie der Alkohol eine ganze Familie zerstören kann.
"Alkohol und die Kneipe waren meiner Mutter wichtiger als wir. (...) Sie sprach es sogar einmal in meiner Gegenwart aus, sternhagelvoll an ihrem Küchentisch sitzend, rauchend mit einer Körperhaltung wie eine verbeulte Leberwurst. Sie bestätigte: 'Ja, diese Leute und die Kneipe sind mir wichtiger.'"
Wenn ein Elternteil stirbt, spült das jede Menge Erinnerungen hoch. Das war auch bei Gian-Marco Schmid so, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Gimma. Als ihn im November 2023 der Anruf ereilt, dass seine Mutter gestorben sei, überrascht ihn das so gar nicht. Über Jahre hinweg hätten er und seine Schwester sich auf diesen Moment vorbereiten können, schreibt der Schweizer Rapper in seinem neuesten Buch. Die Sucht habe längst das Steuer über das Schicksal ihrer Mutter übernommen, und wohin die Fahrt führte, schien klar. Das erklärt den Titel des Buches: "Abschiede von Mutter". Im Plural.
Das Verhältnis zu ihr war so zerrüttet, dass beide Kinder nicht an ihre Beerdigung gingen. Ein unmissverständliches Statement, findet der heute 44-Jährige, und urteilt: "Sie hatte meine Liebe nie verdient."
Darf der das?
Dass Gimmas Kindheit nicht von Minne und Wohlklang geprägt war, hat der Rapper aus der Alpenstadt Chur in seinen Songs genauso dargelegt wie in Buchform. Aufwachsen in sozialer Verwahrlosung, und das in der stinkreichen Schweiz – seine sogenannte Semi-Autobiografie "Hinter dera Maska isches Dunkel" wirbelte 2015 einigen Staub auf im kleinen Nachbarland. Auch das Echo auf "Abschiede von Mutter" ist nun groß.
'Darf ein Sohn so über seine Mutter schreiben?', fragt etwa die Zeitschrift Beobachter, nicht eben als Magazin für Hip-Hop-Kultur bekannt. Gimma hat da keine Bedenken. Der als Skandal-Rapper bekannt gewordene Bündner will mit dem Buch nicht schockieren, sondern aufzeigen, was Alkoholsucht mit einem Menschen und mit einer ganzen Familie anrichten kann. Und natürlich die so aufwühlende wie prägende Beziehung zu seiner Erzeugerin verarbeiten.
Schmid widmet diesem Erinnern knappe 100 Seiten, eine allzu voyeuristisch-detaillierte Ausschlachtung sämtlicher Vorkommnisse ist damit ohnehin schon vom Tisch. Er zeichnet vielmehr die groben Linien nach, die zu den zerrütteten Familienverhältnissen geführt haben. Und er gibt sich auch Mühe, die positiven Seite von Theres Schmid in Erinnerung zu rufen. Dass er ihre glücklichsten Jahre nicht miterleben konnte, schmerze ihn, denn die spielten sich vor seiner Zeit ab. "(...) dein Fenster zum Glück war nur kurz offen und du hast es nicht gemerkt. Du hattest die Familie, mich, uns. Aber du wolltest dein wildes Leben zurück, das von vor uns. Das vor unserem Vater. Das ohne Familie".
Schmid berichtet von übler Manipulation des ganzen Umfelds, mit der seine Mutter ihre Sucht und deren Folgen kaschiert und gerechtfertigt habe. Die Kinder wuchsen in dem Glauben auf, dass es der Ärger mit ihnen gewesen sei, der ihre Mutter zur Flasche greifen habe lassen. Und im Glauben, ihr Vater sei ein schrecklicher Mensch gewesen, das Scheitern der Ehe allein seine Schuld. Als Kind habe er die Kunst erlernt, möglichst geräuschlos säckeweise Altglas zu entsorgen, ohne sich etwas dabei zu denken. Als Jugendlicher sei er skeptisch geworden. Im Erwachsenenalter dämmerte ihm dann erst, wie tief der Alkoholismus sich in die Seele seiner Mutter gefressen habe. Dass ihm ein guter Teil der Wahrheit vorenthalten worden sei: der Vater sei zwar 'anstrengend' gewesen, doch die Mutter 'eine tickende Zeitbombe', die sie alle traumatisiert habe.
Alimente für den Suff verprasst
Im Buch erinnert er sich an zwielichtige Gestalten, die 'Co-Abhängigen und obdachlosen Säufer', die seine Mutter mit nach Hause gebracht habe. Ausflüge an den Platzspitz, den Zürcher Drogen-Hotspot. An bissige Hunde, einen Todesfall auf der Mansarde und Autofahrten im Vollrausch und unter Medikamenteneinfluss, an Bedrohungen von Polizisten und peinliche Anrufe bei seinen Arbeitgebern. Die Kinderunterhaltszahlungen seien für den nächsten Suff verprasst worden.
Mit 33 Jahren stellte er sie zur Rede, schrie sie am Telefon an, "dass jahrelange Lügen unser Leben manipuliert hatten, ich ihretwegen meinen Vater verstossen hatte, aus Scham Tanten und Onkel nicht mehr sehen wollte". Es sei genug gewesen "mit den Anrufen von der Polizei, mit der Vormundschaftsbehörde und mit den Kliniken". Für ihn sei dieser emotionale Ausbruch einschneidend gewesen, sie dagegen habe die Erinnerung daran noch am selben Abend 'gelöscht'. Die letzten zehn Jahre hatte er keinen Kontakt mehr zu ihr.
Als positiven Nebeneffekt dieser toxischen Beziehung nennt Schmid, dass er früh habe lernen müssen, selbstständig zu funktionieren. Und ohne die fehlende Unterstützung seiner Mutter hätte er womöglich auch nie seine DIY-Attitüde entwickelt, die ihm den frühen Einstieg in die Musik erlaubt habe.
Als Eminem Anfang der Nullerjahre dank öffentlichen Abrechnungen mit seiner Mutter Erfolge einfährt, beginnt auch Gimma, in seinen Tracks auf die zerrütteten Familienverhältnisse einzugehen. Für einen besonders gelungenen Coup hält er es im Rückblick, einen Track mit seiner Mutter zu realisieren, der sich um seine Mutter dreht: "Mini Mä rappt besser als du" vom Album "Wiissa Müll". "Der Song schlug in der Szene ein wie eine Bombe, kurze Zeit hofften wir sogar, meine Mutter würde imstande sein, ihn mit uns zu performen. Aber Alkohol." Auch bei ihm.
Denn bekanntermaßen ist auch der Sohnemann kein Kind von Keuschheit, die Suchtveranlagung zählt er zum elterlichen Vermächtnis. Als er mit der Musik erstmals gutes Geld verdient, investiert er das in Alkohol und Drogen. Auch seiner Mutter habe er immer wieder Geld zugesteckt und im Gegenzug ausgehandelt, dass sie sich Hilfe hole. Doch stattdessen habe sie sich "ein paar Monate Wohlstand in der Kneipe" geleistet. Dass der verstrahlte Sohnemann kein besonders überzeugender Vertreter der abstinenten Lebensweise war, liegt auf der Hand: "Mein Wort galt nichts. Ich war selbst mein eigenes Problem."
Harter Stoff
Die Volksdroge Alkohol; das Unglück, das im biederen Familienmodell schlummern kann, die Frage, wie weit jemand gehen sollte, um suchtkranken Angehörigen zu helfen: In "Abschiede von Mutter" rührt Gian-Marco Schmid an große Themen, was die Lektüre auch für jene interessant machen könnte, die sich wenig für seine Musik interessieren.
Die Abrechnung ist ungeschönt, harter Stoff. Doch trotz aller emotionaler Verhärtung bemüht er sich um ein paar versöhnliche Töne. Schönes findet ebenso Platz wie Restaurantbesuche oder gemeinsame Ferien. Oder eine Szene, wie seine Mutter am Schreibtisch sitzend eine Liste von Anrufen in Windeseile abwickelt. Auch wenn sie da kaum nüchtern gewesen sein dürfte, brennt sich dieser Anblick dem kleinen Gian-Marco ein: "Ich liebe diesen Moment mir ihr als Heldin", gesteht Schmid. In den guten Zeiten war da halt schon Liebe. Aber eben: Alkohol.
Kurzer Disclaimer: Der Autor dieser Zeilen ist Gimma seit der Jugend freundschaftlich verbunden.
Gian-Marco 'Gimma' Schmid "Abschiede Von Mutter"*
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