Die zweite Single ihres kommenden und fünften Albums "Miss_Anthropocene" gerät zum meditativen Techno-Rave über die Natur der Gewalt.

Hyperweb (ynk) - Grimes scheint endgültig im Cyberpunk-Genre angekommen. Nach der letzten Single "We Appreciate Power" folgt mit "Violence" über acht Monate später ein zweiter Vorbote auf das kommende, fünfte Album "Miss_Anthropocene", das sie via Twitter als ihre Platte über den Klimawandel bezeichnet.

"Violence" folgt strukturell der glatten kybernetischen Ästhetik des Vorgängers, ersetzt die industriellen Nu Metal-Elemente aber mit peitschendem Acid-Techno, den der noch relativ frische Deadmau5-Zögling i_O coproduzierte. Eine Ästhetik, die an vielen Stellen gegenläufig zum Inhalt des Songs steht, die offensichtliche Gegenüberstellung findet man im Visuellen.

Die Ikonografie griechischer Mythen

Grimes adaptiert im Video die Ikonographie griechischer Mythen und kontrastiert die futuristische Geräuschkulisse mit dem Vibe antiker Zivilisation und Dekadenz. Salopp gesagt: ein Bällebad der Glam-Shots in einer Therme, in der sie als Naturgottheit von kriegerischen Nymphen umringt wird. Zusammen mit der Choreographie von Natsuki Miya (die auch im Video zu sehen ist) und einem surrealen Kleid im Stile Björks (von Designer Iris van Herpen) entsteht durchaus ein eigener Look, auch wenn nicht unbedingt viel Action im Video passiert.

Das Gesicht der Apocalypse

Die Idee dahinter: Grimes zieht ihr neues Album als Klima-Musical auf. Da unter dem Schlagwort "Climate Grief" zuletzt viel über Ausbrüche negativer Emotionen gerade bei jungen Menschen geschrieben wurde, soll die Inszenierung als "Miss_Anthropocene" der Apokalypse ein Gesicht geben. "Der Weltuntergang braucht einen Comic-Bösewicht", so stand es sinngemäß in inzwischen gelöschten Instagram-Beiträgen von Grimes, "damit es sich tangibler anfühlt, dagegen anzukämpfen."

In diesem Sinne schlüpft Grimes in die Rolle einer göttlichen Entität, die wortwörtlich unter der Oberfläche einer Ballade eine abusive Beziehung beziehungsweise die Natur der Gewalt verhandelt. "You feed off hurting me, off hurting me", heißt es da und macht deutlich, dass es nicht um eine Liebesbeziehung geht, sondern um eine personifzierte Erde, die mit den Menschen spricht, die ihr Gewalt antun. Doch da Gewalt, wie auch im Video symbolisiert, in der Natur ein zweischneidiges Schwert darstellt, kehrt sich diese um - in Naturgewalt. "You wanna make me bad, pay me back / Said, 'I like it like that', said, 'I like it like that'."

Auch wenn "Violence" gerade im Reverb auf der Stimme seine gewöhnungsbedürftigen Momente und sogar Schwächen hat, birgt der hypnotisch stampfende Groove in Zeiten von Trap und EDM einen interessanten Sound, der ein wenig an eine zeitgemäße Adaption des archetypischen "Crystal Castles" erinnert. Elektronisch, aber dank des treibenden, millimeterpräzisen Rhythmus' trotzdem sehr kohärent zur Energie von "We Appreciate Power". Man darf gespannt sein, wie der Rest des Albums mit diesen Motiven spielen wird.

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