Vor dem Barockschloss ziehen die Elektro-Pioniere bei ihrem einzigen Deutschlandkonzert 2023 alle Register: ein audiovisuelles Gesamtkunstwerk.
Karlsruhe (dok) - Als die von der New York Times als "Beatles der elektronischen Tanzmusik" bezeichneten Düsseldorfer Elektronik-Pioniere Kraftwerk im vergangenen März ihre einzige Show in Deutschland 2023 für den 12. August ankündigten, waren die 16.000 Karten für das auf dem Karlsruher Schlossplatz stattfindende Konzert binnen weniger Stunden ausverkauft.
Der enorme Zuspruch verwundert wenig. Versprach die Eingliederung des Konzerts in die seit 2015 in enger Zusammenarbeit mit dem ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe durchgeführten Schlosslichtspiele - zentraler Baustein der Auszeichnung der Stadt als Unesco City of Media Arts - schon im Vorfeld ein Erlebnis, das den meisten als eine ganz besondere Konzerterfahrung wohl für längere Zeit im Gedächtnis bleiben dürfte. Ehrensache, dass sehr viele Fans schon zur Mittagszeit trotz gelegentlicher Regenschauer in Richtung Schlossplatz unterwegs waren und die Innenstadt in ein Gewand aus gespannter Vorfreude kleideten.
Ein Novum in der Geschichte des Schlosses
Kurz nach 21 Uhr bei zunehmender Dunkelheit ist es endlich soweit. Von zarten Projektionen auf die Karlsruher Schlossfassade begleitet, tönt das ausgedehnte Intro bedeutungsschwanger in die Tiefe der Nacht. Und dann verkündet eine Vocoder-Stimme: "Guten Abend. Die Mensch-Maschine Kraftwerk. 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8." Los gehts! Das Publikum begrüßt die roboterhaft stoisch auf dem Balkon des Schlosses stehenden (oder gar schwebenden?) Elektroniker zum Opener "Nummern / Computerwelt" mit tosendem Applaus, während sich die Schlossfassade in ein gigantisches Meer aus grünen Ziffern verwandelt. Dass Kraftwerk den Balkon als Bühne nutzen dürfen, ist nicht nur ein Novum, sondern auch eine große Ehre. Nie zuvor wurde die Erlaubnis für ein solches Vorhaben erteilt.
Das Konzert ist von Beginn an vor allem auch eine beeindruckende Technikdemonstration. Die bereits für die Schlosslichtspiele aufgebauten 16 Hochleistungsbeamer machen aus der 170 Meter breiten Schlossfassade eine Projektionsfläche der Superlative und sorgen für ein immersives audiovisuelles Erlebnis von außerordentlicher Sogwirkung. Zwar bietet die Show an sich nichts Neues und entspricht in weiten Teilen dem bereits seit Jahren performten Programm. Das allerdings stört im Publikum keinen. Denn Kraftwerk selbst verschmelzen zu jeder Zeit mit der unglaublichen Bildgewalt aus ihren Videoclips und filmischen Produktionen, werden Teil von etwas Größerem und schaffen somit ein einzigartiges Gesamtkunstwerk.
Der Sound: vom Feinsten
Doch nicht nur die überwältigende Kraft der Bilder trägt zu diesem Eindruck bei. Auch klangtechnisch ist an diesem Abend unter sicherlich nicht einfachen Outdoor-Bedingungen alles vom Feinsten. Die Synthies flirren glasklar und von satten Bässen getragen durch den Äther. Einziger Wermutstropfen ist die naturbedingt nicht mehr ganz so kraftvoll wirkende Stimme des fast 77-jährigen und einzig verblieben Gründungsmitglieds Ralf Hütter. Dem Publikum ist dies jedoch herzlich egal, es goutiert vor allem Klassiker wie "Die Mensch-Maschine", "Autobahn", "Computer Liebe", "Das Model", "Radioaktivität", "Tour De France", "Trans Europa Express" oder "Die Roboter" mit großer Begeisterung. Der besonderen Stimmung tut auch ein kurzer aber kräftiger Regenguss keinen Abbruch.
Während dem abschließenden "Musique Non-Stop" verlassen Kraftwerk nacheinander die Bühne und verneigen sich vor dem Publikum. Bevor Hütter von der Bühne geht, widmet er die Performance mit der einzigen Ansage des Abends dem "wunderbaren Künstler Peter Weibel", ohne den das Konzert in Karlsruhe wohl nie stattgefunden hätte. Hütter und den am 1. März verstorben, langjährigen künstlerisch-wissenschaftlichen Leiter des ZKM | Karlsruhe verband ein enges freundschaftliches und auch künstlerisches Verhältnis. Kraftwerk spielten bereits 1997 zur Eröffnung des ZKM in den Räumlichkeiten des Hallenbaus und würdigten 2014 das 25-jährige Bestehen der weltweit wichtigen Kulturinstitution für zeitgenössische Medienkunst mit drei Konzerten in den Lichthöfen der ehemaligen Munitionsfabrik.
Zwischen Gestern, Heute und Morgen
Nach fast zweieinhalb Stunden meisterhaft zelebrierter Technophilie neigt sich ein denkwürdiger Konzertabend dem Ende zu, der die Gäste beseelt, glücklich und beschwingt in die Nacht entlässt. Viele sind sich sicher, Zeugen eines musikhistorisch bedeutsamen Ereignisses der Träger des Grammy Lifetime Achievement Award (2014) und Mitgliedern der Rock'n'Roll Hall of Fame (seit 2021) geworden zu sein. Mit ihrem retrofuturistischen zeitlosen Klang zwischen Gestern, Heute und Morgen demonstrieren die 1970 gegründeten Kraftwerk in Karlsruhe eindrucksvoll, warum sie weltweit zu den einflussreichsten und prägendsten Figuren der Populärmusikgeschichte zählen.
Setlist:
- Nummern / Computerwelt
- It's More Fun To Compute / Heimcomputer
- Spacelab
- Ätherwellen / Tango
- Die Mensch-Maschine
- Electric Café
- Autobahn
- Computer Liebe
- Das Model
- Neonlicht
- Geigerzähler / Radioaktivität
- Tour De France 1983 / Prologue / Tour De France Étape 1 / Chrono / Tour De France Étape 2
- Vitamin
- Trans Europa Express / Metall Auf Metall / Abzug
- Die Roboter
- Planet Der Visionen
- Boing Boom Tschak / Techno Pop / Musique Non-Stop
1 Kommentar mit 6 Antworten
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