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Platz 1: Norman Fucking Rockwell (2019)

Bevor ich die poetische Komplexität dieses Meisterwerks herunterbreche und damit zeige, warum "Norman Fucking Rockwell" auf den ersten Platz gehört, ein paar Worte über die musikalische Produktion. Jack Antonoff hat hier ordentlich was geleistet: Musikalische Reduktion, aber emotionaler Maximalismus auf höchstem Niveau. Und trotz der neuen Sounds passt das Album zur bisherigen Klangästhetik Lana del Reys. So werden luftige Arrangements produziert, die den Charakter des Albums unterstützen - es geht nicht mehr um Show, sondern um aufrichtige Gefühle.

Kommen wir zur inhaltlichen Analyse, die mein Ranking hoffentlich auch für "Born To Die"-Verfechter nachvollziehbarer macht. Der Maler Norman Rockwell, nach dem Lana Del Rey ihr fünftes Studioalbum benennt, ist bekannt für seine Darstellungen eines idealisierten Amerikas. "Fucking" ist eine sarkastische Anspielung, der Titel des Albums ist als starke Provokation zu verstehen. "Norman Fucking Rockwell" thematisiert einen emotional realistischen Blick auf Amerika und die Sehnsucht nach dem American Dream sowie der längst geschwundenen Old Glamour Ästhetik, die wir von Lana aus "Born To Die" kennen. Der Titel wirkt auf mich wie eine Aufforderung, genau hinzusehen und zeitgleich wie eine selbstironische Anschuldigung der Realitätsverklärung. Es geht hier um Desillusionierung bestimmter Ideale. Auf so einen ausdrucksstarken Titel muss man erstmal kommen!

"But you're just a man. It's just what you do." Diese Line aus Lana Del Reys Titeltrack löste einen Internettrend aus, in dem Frauen und Queers ihre selten überraschende, aber immer wieder frustrierende Enttäuschung bezüglich des Verhalten männlicher Mitmenschen äußern. Dieser Song ist so relatable, dass sich vermutlich die Hälfte aller Hörer*innen denkt: "Den hätte ich auch schreiben können". Aber wir sind nunmal nicht alle so allumfassend begabt wie Lana. Nur sie schafft es einen vermeintlich absoluten Loser so zu romantisieren, dass er sich nach Kunst anhört. Definitiv eine ihrer Stärken, wie dieses Album deutlich macht!

"How To Disappear" zeigt, dass sich Lana endlich verletzlich zu zeigen traut. Es ist ihr stiller Schrei nach Verbundenheit, während sie sich in emotional unerreichbaren Männern verliert. Sie macht sich klein, um in deren Welten zu passen, aber hinter der Melancholie verbirgt sich ein subtiler Wandel. Am Ende geht es nämlich nicht mehr darum, auf jemanden zu warten - der sich nicht zu ändern bereit ist - sondern sie fordert endlich sich selbst zurück: "I'm always going to be right here", ein stilles Versprechen, sich selbst niemals zu verlieren.

Was das Album aber besonders abhebt, ist die Entwicklung Lanas Verständnis weiblicher Frauenbilder. Auf diesem Album zeigt sie sich reifer und durchdachter. Es finden sich neben der Titelmetapher diverse intertextuelle Referenzen, beispielsweise referiert sie zu Hemmingway in "Hope Is A Dangerous Thing For A Woman Like Me To Have - But I Have It". Was erstmal wie elitäre Angeberei wirkt, hat für mich einen tiefern Sinn. Lana del Rey versucht sich als weibliche Künstlerin in einer Welt zu definieren, die vor Bildern toter Männer trieft. Und das, ohne sich in die passive Opferrolle zuverordnen, in der sie in den letzten Alben festsaß. Thank god, war is over!

Im Gegenteil, sie dreht das bisher porträtierte klassische Frauenbild sogar um, und wird vom Opfer zur Retterin: "You lose your way, just take my hand. You're lost at sea, then I'll command your boat to me again. (...) I'm Your man" ("Mariners Apartment Complex"). Indem sie mit ihrem eigenen Image als ehemals passiver Frau spielt, zeigt sie sich selbstironisch und reflektiert. Die "Soppy-Girl-Era" ist mit dieser LP also zu großen Stücken beendet. Melancholie bleibt, aber diesmal ohne Selbstmitleid. Ihre Trauer ist nicht länger flach oder performativ wie in "Summertime Sadness", sondern aufrichtig und komplex. Zwar erlaubt sich Lana der zerplatzten Illusion amerikanischer Ideale und klassischer Rollenbilder hinterher zu trauern, gesteht sich die Absurdität dessen aber ein. Das wurde auch mal Zeit.

Das Herzstück des Albums ist der Song "Venice Bitch". Mit neuneinhalb Minuten geht er definitiv über die Normlänge hinaus. Der Mythos Amerika findet auch mit diesem Song sein Ende. "Fear Fun, fear love. Fresh out of fucks, forever." Lana hat endlich genug von platonischer Romantik. Es ist eine Hommage an Jugend und Verfall. Die Ballade löst sich in einen endlos langen Refrain auf, bis sich das Instrumental in apokalyptische Gitarrenklänge verwandelt. Den Song in voller Länge, mit guten Kopfhörern anzuhören kommt einer spirituellen Erfahrung nahe.

Dass Lana Del Rey Literaturwissenschaft studiert hat, zeigt sich immer wieder in ihrem lyrischen Talent. Aber "Norman Fucking Rockwell" ist der Beweis, dass sie nicht nur poetisch, sondern auch verdammt schlau ist. Es zeigt ebenfalls ihre persönliche, aber auch musikalische Weiterentwicklung, indem das Album die besten Eigenschaften ihrer bisherigen Alben kombiniert: die Romantik von "Born To Die", die Melancholie von "Ultraviolence" und die kinematische Kuration von "Honeymoon". Ich lege dieses Album all denjenigen ans Herz, die bereit sind, es an einem Stück zu hören, und allen anderen empfehle ich, es wenigstens zu versuchen.

Highlights: "Venice Bitch", "Love Song", "Cinnamon Girl"

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Norman Fucking Rockwell*

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