laut.de-Kritik

Sex am Strand im Retro-Weichzeichner.

Review von

"So let's dance in slow motion" – Lana Del Rey gibt die Devise für ihr viertes Album in "Freak" gleich selbst vor. Für den, der das bisherige Schaffen der 30-Jährigen kennt, eigentlich keine große Überraschung. In gewohntem Low-Tempo nuschelt Lana Del Rey sich durch ihre Tracks. Und doch klingt "Honeymoon" erneut ganz anders als seine Vorgänger.

Übersteuerte Gitarrensoli, Tempowechsel, verdrogte Psychedelik – das gab es noch auf "Ultraviolence" zu hören. Kaum Spuren davon finden sich auf "Honeymoon". Die Flitterwochen bestreitet Lana Del Rey wesentlich süßer. Und auch bedeutend ruhiger. Dementsprechend übernehmen schon im Titeltrack Streicher und Klavier das Kommando. Ohne Dissonanzen, ohne Spielereien, einfach harmonisch.

So mäandert "Honeymoon" vor sich hin, manifestiert die Atmosphäre. Zeit, Bilder unter die Filmscore-Kulisse zu legen: "We could cruise to the blues / Wilshire Boulevard if we choose / Or whatever you wanna do / We make the rules".

Erst dann kommt die Songentwicklung an die Reihe. Das hat "Honeymoon" wiederum gemeinsam mit "Ultraviolence": Gefällige Pop-Strukturen sucht man meist vergebens. Die Radiotauglichkeit der "Born To Die"-Tage bleibt Vergangenheit. Beinahe vier Minuten ziehen vorbei, bevor Lana ihr träges Doom-Pop-Gebilde aufbricht. Das Schlagzeug setzt ein, verhaltene Snare-Rolls - "There are guns that blaze around you / There are roses in between my thighs and fire that surrounds you".

Es dauert also nicht lange, bis die Texte die melancholisch angehauchte Idylle an der Oberfläche konterkarieren. In der Liebe darf es weiterhin gerne etwas härter und abhängig zugehen. "I live to love you", haucht sie in "Music To Watch Boys To". "Catch Me If You Can / Workin On My Tan / Salvatore / Dying By The Hand / Of A Foreign Man / Happily", heißt es in "Salvatore". In betörendem Italienisch besingt Lana ihren "cacciatore", entscheidet sich schlussendlich aber doch für "soft ice cream".

Auch popkulturelle Referenzen tummeln sich nach wie vor en masse in den Zeilen der ehemaligen Metaphysik-Studentin. "Hotel California" spielt in "God Knows I Tried", Major Tom stiehlt sich in "Terrence Loves You". Philosophisch wird es im Interlude "Burnt Norton", das T.S. Eliots gleichnamiges Gedicht aufgreift.

Der Grund, warum ich so ausführlich Lyrics zitiere: Zum einen beschreiben sie die unterschiedlichen Inspirationsquellen, die das Album anzapft. Zum anderen steht noch stärker als bisher der Gesang im Mittelpunkt des Geschehens. Agierten früher die Instrumente zumindest zwischenzeitlich selbstbestimmt, kreist nun wirklich alles um Del Reys Stimme. Dabei übernimmt sie weit mehr als nur die Lead-Vocals. Mehrstimmigkeit ist an der Tagesordnung. Im Hintergrund seufzt, lechzt und stöhnt es. "Blackest Day" zum Beispiel klingt dadurch wie Sex am Strand durch den Retro-Erotik-Weichzeichner.

So entsteht eine Art depressiver Beach Boys-Vibe. Denn die Schwermut blitzt immer wieder durch. Während einige Songs keinen Hehl daraus machen ("24": "There's only 24 hours of a day / And half of them you lay awake / With thoughts of murder and carnage"), verkörpern andere den typischen Lana-Zwiespalt. Mit seiner zarten Flötenmelodie und den Cellos verwandelt sich "Music To Watch Boys To" in das musikalische Äquivalent eines Blütenschauers. Nur ob der gerade bei einer Hochzeit runterkommt oder ob sich Lady Del Rey beim Jungsgucken den Goldenen Schuss setzt, bleibt offen.

Generell entpuppt sich der musikalische Teppich als kaum greifbar. Mal unterbricht nichts die Ambient-Atmosphäre. Dann plötzlich tauchen Trip- und Hip-Hop-Beats auf ("High By The Beach"), wie man es teilweise schon von "Born To Die" kennt. Eine hervorragende Melange gelingt "Freak": Leise Rockgitarre im Hintergrund, bedrohliche Streich-Patterns, düstere Elektronik schleppt sich durch den Track. Dazwischen steht Lana plötzlich allein im Raum.

Doch bei aller Kunstfertigkeit lässt sich nicht von der Hand weisen, dass den Songs als solchen die Stärke fehlt. Zu vage bleibt das alles, zu ziellos. Gegen die Durchschlagskraft von "Ultraviolence" verblasst "Honeymoon". Statt Songs transportiert "Honeymoon" eher Stimmungen. Ein wenig mehr Balance zwischen beidem hätte dem Album gut getan.

"High By The Beach" und "Salvatore" zeigen, was möglich gewesen wäre. Deren Hooks bleiben sofort hängen. Mehr Songs dieser Sorte und der Vorwurf fehlender Zielstrebigkeit wäre hinweggefegt. Auch "24" verfällt man sofort. Hier drängt sich die Instrumentalkulisse endlich mehr in den Vordergrund. Das Stück würde einen ausgezeichneten Abspannsong für alte Western oder Heist-Movies abgeben. Das allerdings sind nur drei der insgesamt vierzehn Nummern auf "Honeymoon".

Trotzdem lohnt es, "Honeymoon" mehr als einen Testdurchlauf zu gönnen. Die Songs mögen zwar im Vergleich mit ihrer Vorarbeit den Kürzeren ziehen. Dafür sind die Melodien, die Lana Del Rey diesmal aus ihrer Kehle zaubert, wahrscheinlich die besten ihrer Karriere. Das nachdenkliche, an einen balladesken Asaf Avidan erinnernde "God Knows I Tried", die unwiderstehliche Hook in "High By The Beach", wie sie sich durch "Swan Song" wiegt oder lässig-lasziv räkelt in "Music To Watch Boys To" – "Honeymoon" präsentiert die Sängerin Lana Del Rey in all ihren verehrungswürdigen Facetten.

Trackliste

  1. 1. Honeymoon
  2. 2. Music To Watch Boys To
  3. 3. Terrence Loves You
  4. 4. God Knows I Tried
  5. 5. High By The Beach
  6. 6. Freak
  7. 7. Art Deco
  8. 8. Burnt Norton (Interlude)
  9. 9. Religion
  10. 10. Salvatore
  11. 11. The Blackest Day
  12. 12. 24
  13. 13. Swan Song
  14. 14. Don't Let Me Be Misunderstood

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14 Kommentare mit 27 Antworten

  • Vor 9 Jahren

    findet eigentlich niemand die lyrics schwach? ist mir bei ihren anderen alben nicht so aufgefallen

  • Vor 8 Jahren

    mittlerweile finde ich das ihr bestes Album. Lieder wie "Freak" oder "Salvatore" die am Anfang gar nicht zündeten sind mittlerweile meine Favoriten. Aber auch die anderen Lieder haben keinen grossen Abnutzungseffekt. Denke es wird schwierig für Lana dieses Album zu toppen wenn sie weiter ihren Stil behält.

  • Vor 6 Monaten

    Okayes Album. Ähnlich der Strategie von Lady Gagas dritten Album, Artpop: süß und etwas klebrig, zugleich zurückhaltend und warm in der Klangfarbe - also genau das Gegenteil zum düster angelehnten Vorgänger. Da hat Del Rey’s Management Etwas bei Gaga‘s stibitzt.
    Laut.de gebe ich recht: Honeymoon ist langatmiger als alles zuvor. Gute Lieder: Salvatore, High By The Beach, Freak, die Uptempo-Version zu The Blackest Day, das etwas (zu lahm geratene) Art Deco, Religion geht grad noch so…
    Mir gefällt die unklare, klangliche Ausrichtung des Albums nicht so, das Albumcover ist auch völlig Pop-irrelevant. Viel Ambient, etwas Rockgitarre und 80s-Saxophon, erneut 60s-Anleihen, viel Atmosphäre, Down-Tempo und doch moderner als die bisherigen Del Rey-Platten. Schielt ganz klar mehr in Richtung 70s/80s, denn 50s/60s. Die Videos sind ganz okay…
    Für mich dennoch 4 Sterne wert, weil ich oben gelistete Lieder für Popmusik total akzeptabel finde und die Melodien tatsächlich SCHÖN geworden sind.