Die neue Spex ist da. Große Feuilleton-Klagegesänge begleiteten zur Jahreswende den Umzug der Diskurspop-Institution von Köln nach Berlin, der keiner war, weil die bisherige Redaktion geschlossen zurücktrat. Ein kompletter Neustart also, geblieben ist allein der Name. Wir haben uns das neue Heft angesehen.
Berlin (rai) - "Ich sag's mal so: Ganz alte Spex war - arrogante Typen machen tolles Heft. Spex jetzt - nette Typen machen nettes Heft. Spex morgen - doofe Typen machen doofes Heft in doofer Stadt." Outrogirl brachte die herrschende Meinung im spex.de-Forum auf den Punkt. Abgesang und böse Wünsche begleiteten den Umbruch derart heftig und einhellig, dass man der neuen Spex schon wieder sehr wohlwollend entgegen sah. Seit heute liegt das neue Heft, die März/April-Ausgabe, am Kiosk.
Bereits die Coverthemen legen Zeugnis ab von der enormen Verunsicherung, die in den neuen Spex-Räumen in Berlin-Kreuzberg angesichts des großen Feuilleton-Massakers geherrscht haben muss: Maximo Park, LCD Soundsystem, Blumfeld, Mark E. Smith. Mutloser geht kaum. Begrüßt wird die Leserschaft von einem Editorial, das sich in Besinnungsaufsatzlänge an den Ikonen der alten Spex - Diedrichsen, Terkessidis, Holert & Co. - abarbeitet, ohne wirklich auf den Punkt zu kommen. Verkrampft as fuck.
Wer nicht hier schon eingenickt ist, wundert sich noch kurz, dass der in der ersten Person gehaltene Text mit "Die Redaktion" (Ich, die Redaktion!) unterzeichnet ist, freut sich dann aber auf den nächsten Seiten über ein zwar gänzlich unmarkantes, jedoch angenehm aufgeräumtes, lesefreundliches Layout. War auch nicht immer so.
Die Liste der Autoren liest sich lustig: Max Dax, Robert Defcon, Sandra Bollocks - mehr Mut zur Albernheit? Ein paar alte Bekannte tauchen auf: Online-Redakteur Walter Wacht ist mit nach Berlin gezogen, Ex-Herausgeberin Jutta Koether verwertet ihr '91er-Interview mit Martin Kippenberger zweit. An Stephan Szillus' ausführlichem Einblick in die Houstoner Hiphop-Szene ist zum Glück nur die Headline doof, David Lynchs "Twin Peaks" wird anlässlich der endlich auf DVD erscheinenden zweiten Staffel angemessen gewürdigt, die Modestrecke von eher peinlichen Kafka-Adaptionen begleitet.
Insgesamt vielleicht eine handvoll interessante Texte, wirklich innovative Formate oder Rubriken Fehlanzeige. In "Vorspiel für Pole" werden Stefan Betke aka Pole distinktive Musikstücke vorgespielt, auf dass der Mann sie erkenne und kommentiere. Keine wirklich taufrische Idee und zu allem Überfluss nur als launige Fortsetzung der exakt gleichen Geschichte in der letzten De:Bug ("Musik hören mit ... Pole") lesbar.
Der Rezensions-Teil am Ende ist dramatisch eingedampft, dafür optisch aufgewertet, die Kolumnen wie Data Pop, Motherboard oder Wasteland - zuletzt mitunter das Lesenswerteste im ganzen Heft - sind mit ihren Autoren wohl für immer verschwunden. Ein Jammer ohnegleichen.
Einen erstaunlich guten Stand scheint das Blatt derweil bei den Werbekunden zu genießen. Gefühlte 30 Anzeigenseiten großer Markenartikler und der gesamten verbliebenen Musikindustrie nötigen Respekt ab, angesichts einer verkauften Auflage von zuletzt gerade mal 15.000 Exemplaren.
Fazit: Wer ernsthaft zeitgemäße, immer wieder überraschende, in Inhalt und Form originelle Auseinandersetzung mit Popkultur und den sie umgebenden Lebensaspekten sucht, wird - das aber schon seit Längerem - lieber zur De:Bug greifen. Wie sich die neue, zweimonatliche Viereurofuffzich-Spex von ambitionierten Umsonstblättchen wie dem Intro und den etablierten Rockismusorganen Musikexpress, Rolling Stone oder Visions abheben will, bleibt nach Lektüre der Erstausgabe unklar.
Liebes Outrogirl, es kommt noch schlimmer: Spex ab sofort - egale Typen machen egales Heft. Die Stadt ist übrigens total ok.
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