"Ski-bi dibby dib yo da dub dub": Ein liebevoller Comic huldigt dem One-Hit-Wonder der 90er und blickt hinter die Geschichte des Welthits.
Scatland (rnk) - Irgendwann in den seligen MTV-Zeiten passierte es. Ein kleiner Mann mit Hut und beeindruckendem Schnurres schrie jeden Zuschauer an: "I'm the Scatman / Ski-bi dibby dib yo da dub dub". Ein Clip, der irgendwo zwischen Männer-Muskeltypen und softpornöser Eurodance-Ästhetik sogar in der "Alles geht"-Trashsuppe der 90er Jahre auffiel. Ein weiterer Fall für die Akte "One Hit", Unterkategorie "... der angenehmen Sorte". Denn man muss immer wieder über diese hibbelige Figur lachen, die wie eine Comicfigur wild mit den Armen herum fuchtelt und liebevoll grumpy merkwürdige Nonsenstexte reimt.
Ein spaßiger Hit, über Jahre hinaus am Leben erhalten durch Formatradios und 90er-Motto-Partys. Kulturell sogar für so wichtig empfunden, dass er in der mehrfach ausgezeichneten Serie "Master Of None" auftaucht. Okay, nicht wirklich als Song, aber die Hauptfigur Aziz Ansari bekommt sich auf einer Party gar nicht mehr ein darüber, dass er den leibhaftigen Sohn des legendären Scatman trifft. Über die musikalische Leistung des 1999 gestorbenen John Paul Larkin mag man in gehobenen Indie-Kritiker-Sphären die Nase rümpfen, aber der Scatman hat vielen Menschen ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Das war's. Danke für ihre Aufmerksamkeit. Nein, Blödsinn. Seine Story ist um einiges spannender und rührender, wie der Comic des Nürnberger Zeichners Jeff Chi beweist (Zwerchfell Verlag, Taschenbuch, 248 Seiten, 30 Euro).
Lange Zeit litt der Kalifornier unter seiner Stotterei. So beginnt die Graphic Novel "Who's The Scatman" bei einer Preisverleihung in den Neunzigern. Irgendwann steigt eine Figur mit altmodischen Slippern aus einer vorgefahrenen Limousine und gerät bei einem Interview direkt in eine Sprachstörung. Dieses Ereignis schließt nahtlos an das Kapitel über seine Kindheit an, die John als Außenseiter durchlebt. Hilfe durch sein Elternhaus bleibt aus, da sein cholerischer Vater ihn als missratene Strafe Gottes ansieht. Schon hier merkt man, dass hinter dem spaßigen "Ski-bi dibby dib yo da dub dub" eine lange und schwierige Zeit liegt. Die Musik ist das Sprachrohr, das Larkin hilt, eine selbstbewusstere Person zu werden. Die Scat-Technik, improvisiertes Singen von rhythmisch und melodisch aneinandergereihten Silbenfolgen, hilft ihm, mit seiner Beeinträchtigung kreativ umzugehen.
Doch auch die Musikkarriere verläuft lange Zeit ohne Erfolg. Ein Jazz-Album von 1986 findet praktisch keinen Abnehmer, auch wenn Larkin und seine Mitmusiker viel Herzblut in das Projekt legen. Songs wie "The Misfit", eine düstere Beschreibung seines Lebens abseits der Gesellschaft, könnten nicht weiter von dem bekannten Dance-Klopper entfernt sein. Eigentlich wie geschaffen für Comic-Zeichner, die solche Abstiege genüsslich auf viele Seiten strecken, doch Jeff Chi bedient nicht den Voyeurismus und beschäftigt sich lieber mit seiner Rettung durch Musik. Denn nach der Überwindung der Alkoholsucht reist der Pianist um die Welt und spielt als Unterhaltungskünstler auf Kreuzfahrten. Irgendwann sogar mal in Bottrop, wo ein ein windiger Manager dem höflichen und interessierten Scatman schmackhaft macht, dass es gerade einen Markt für Jazz-Eurodance gibt. Ein Tipp, der Larkin den Weg aus der Erfolglosigkeit ebnet.
In einem MTV-Interview erzählt er dem verdutzten Ray Cokes, dass er mit Pop keine Probleme habe, schließlich sei für ihn alles Jazz und alles habe seine Wurzeln dort. Zu diesem Zeitpunkt, im Jahr 1996, ist Scatman in 15 Ländern auf Platz Eins. Als Cokes ihn etwas aufziehen will, reagiert Larkin entgegen seiner sonst ruhigen Natur überraschend wütend (diese Stelle wird später leider rausgeschnitten). Das Konzept seines Albums "Scatland" ist ihm nämlich wichtig. Es ist ein Ort der Fantasie, an dem auch Außenseiter ihre Zuflucht finden. Hier endet die öffentliche Geschichte. Ein paar Hits später ist der Ruhm vorbei, auch wenn die Japaner den Jazz-Popstar etwas verspätet entdecken.
Im Nachgang kommt es noch zu einer Zusammenkunft mit einem Fan und einem wirklich schönen Epilog. In seinen letzten Zügen sagt der Scatman, der nur ein paar Jahre nach seinem Welthit an Krebs verstarb: "Ich hatte die beste Zeit meines Lebens. Ich durfte wahre Schönheit erfahren.". Dank des sehr liebevoll und ohne viel Schnörkel gestalteten Comics von Jeff Chi bekommen wir noch einmal die Möglichkeit, die Person hinter dem Welthit kennen zu lernen. Ein Leben, dass aus einer angeblichen Beeinträchtigung, Schikane und Rückschlägen Inspiration schöpfte. Oder wie Erhard Hennen von der Stotter-Selbsthilfe richtig zusammenfast: Wer Stottern in die eigene Hand nimmt, raubt ihm schon einen Teil der Macht über das eigene Leben.
Abschließend noch ein kleines Interview, das wir mit dem Comic-Künstler Jeff Chi führten:
Danke erst einmal, dass du mir den Scatman wieder zurück gegeben hast. Ich bin Gen X und habe seinen Erfolg mit "Scatman" praktisch live mitbekommen. Ich vermute auch, dass Menschen aus meiner Generation sehr positiv auf die Idee zu dem Buch reagieren.
Jeff Chi: Das beste Beispiel sind meine Verleger! Die waren sofort Feuer und Flamme für das Projekt und haben alles zu 100 Prozent verstanden. Aber auch früher oder später Geborene können zumindest mit dem großen Hit "Scatman" heute noch etwas anfangen.
Ich merke auch, wie ich manche 90er-Hits heute noch leidenschaftlich hasse, aber bei "Scatman" kommt mir sofort ein Lächeln über die Lippen. War Scatman für dich bei deinem Erstkontakt nicht ein schräges One-Hit-Wonder aus einem komischen Jahrzehnt?
Schräg auf jeden Fall, aber darum hat mich der Künstler wahrscheinlich auch nicht mehr losgelassen. Die Musik leidet natürlich unter dem trashigen 90er-Touch, aber ist dann doch so eigen und lustig, dass sie heraussticht – das beweist deine Reaktion ja gut.
Gerade das Ende und die Geschichte mit dem Mädchen hat mich berührt. Ist das wirklich so passiert oder eine fiktive Story?
Die Geschichte ist so wahr erzählt, wie meine Recherche es mir erlaubt hat. Hinzuerfunden ist gar nichts - die Geschichte mit Gina ist also auch wahr. An einigen Stellen habe ich Situationen oder Personen zusammengefasst, damit es als lesenswerte Story funktioniert. Aber der Halbsatz "Basierend auf wahren Ereignissen" kann hier wirklich ernst genommen werden.
Würde dich auch eine Animation des Comics reizen?
Schön fände ich das, vor allem da klassische Zeichentrickanimation ja kaum noch existiert. Ein Comic so animiert wie die Werner-Filme damals, das ist für mich immer noch das Nonplusultra. Vielleicht ist das hier aber auch ein guter Zeitpunkt zu erwähnen: Viele Comic-Künstler*innen werden immer beglückwünscht, wenn ein Werk als Film oder Serie adaptiert wird. Dann hätten sie es "geschafft". Ich vertrete dagegen die Sichtweise: Nein, man hat es als Comic-Zeichner geschafft, wenn man einen erfolgreichen, guten Comic publiziert hat. Das Medium muss nicht erst durch Umwandlung in ein populäreres Medium "aufgewertet" werden.
Könntest du dir zukünftig einen ähnlich popkulturellen Comic vorstellen? Tocotronic haben auch ein paar ihrer Songs an Comic-Künstler weiter gegeben.
Ich mag Geschichten mit realen Menschen, und ich mag Nischen-Geschichten, die so noch nicht erzählt wurden. Die Popkultur ist natürlich voll davon. Mein Kopf kreist auch mindestens einmal im Monat durch die wilde Dotcom-Bubble-EXPO-2000-CeBit-Zeit – das nächste irre Jahrzehnt nach den 90ern. Also ja, Spaß hätte ich. Da dieser Comic aber zu 50 Prozent in meinem Studium entstanden ist und Comiczeichner in Deutschland leider immer noch kein verbreiteter, sicherer Beruf ist, muss ich mal schauen, wann ich die Zeit für ein neues Projekt finde.
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1 Kommentar
Hab für den Vertiefungskurs ein Referat über Sprachstörungen gehalten und u.a. ihn rezitiert etc. Fernab der schrecklichen Musik schon ein Dude mit ner guten Message.