14. November 2005

"Die Nachtclub-Tänzer hatten etwas Schiss vor mir"

Interview geführt von

Die Ex-Moloko-Sängerin Roisin Murphy befindet sich gerade auf großer Solo-Tournee und beweist allen Zweiflern mit Bravour, dass sie durchaus ohne ihren Ex-Kollegen Mark Brydon bestehen kann.Wer bereits eines von Roisin Murphys Konzerten besucht hat, dürfte in der siebenköpfigen Band mit dem Keyboarder und dem Drummer zwei alte Bekannte der Moloko-Zeit entdeckt haben. Neu dabei sind unter anderen ein Trompeter, ein Saxophonist und ein Posaunist. Auch nach ihrer Karriere bei Moloko sieht sich Murphy nicht imstande, an neuen Herausforderungen zu scheitern. Vor ihrem großartigen Konzert in Zürich sprach sie mit laut.de über eine Nachtclub-Party in Moskau, erste Internet-Erfahrungen und ihr neues Leben als Solokünstlerin.

Du bist nun schon eine Weile mit deiner Band solo unterwegs. Was ist für dich der größte Unterschied im Vergleich zu früheren Tourneen?

I'm the boss!

Fühlt sich das gut an?

Ja, aber ich brauchte eine Zeitlang, um mich daran zu gewöhnen. Sätze zu sagen wie "Nein, ich will das und das lieber so und so haben". Das geht nicht von heute auf morgen, so dass ich den Mut dazu erst entwickeln musste. Aber der Band gefällt es so, sie wünschen geradezu, dass ich die Befehlsgeberin bin.

Hast du in der neuen Situation gerade die schönste Zeit deines Lebens als Künstlerin?

Ich habe immer die schönste Zeit im Leben, wenn ich auf Tournee bin. Ich liebe das Auftreten. Die besten Momente meines Lebens hatte ich auf der Bühne. Ich weiß, das klingt komisch, aber ich meine das wirklich so.

Vor dem Hintergrund deines Solodebüts besteht dein aktuelles Liveset aus 10 bis 12 Songs. Erinnert dich das ein wenig an deine Anfänge vor zehn Jahren?

Auf gewisse Weise schon. Aber heute habe ich natürlich viel mehr Erfahrung als damals. Wenn du an dem, was du in den Proben eingeübt hast, weiter hart arbeitest, erlebst du spätestens nach der Hälfte der Tournee das magischste Gefühl der Welt. Und ich denke wir haben in den Proben alles richtig gemacht, das Zusammenspiel der Band betreffend und die Dramaturgie. Es klingt paradox, aber gerade jetzt, da wir uns alle an die Songs gewöhnt haben, entsteht aus ihnen hin und wieder etwas ganz Neues.

Ich finde, die neuen Songs sind in ihrer Ausrichtung etwas ruhiger gehalten als frühere Moloko-Stücke, jedenfalls experimenteller. Ändert sich dadurch etwas an deiner Bühnenshow, musst du zum Beispiel weniger Gas geben?

Ha, von wegen! Das Set ist eines der intensivsten, die ich jemals gespielt habe. Du wirst es heute Abend sehen. Es beinhaltet natürlich melancholische Momente, aber insgesamt ist es deutlich tanzbarer ausgelegt als ruhig.

Es kommen ja sicher vorwiegend Moloko-Fans auf deine Konzerte, wie sind denn die Reaktionen?

Ja, da sind schon sehr viele richtige Fans. Ich habe aber das Gefühl, die Leute sind heute noch enger bei mir, als das früher der Fall war. Sie kennen alle Texte und wissen einfach alles über mich. Ich spreche ja mit vielen, wenn ich nach den Shows am Merchandise-Stand Tourprogramme unterschreibe. Ich habe mir früher nie groß Gedanken darüber gemacht, wie sehr Menschen hinter einem Künstler stehen, das scheint erst jetzt zu mir durch zu kommen. Das hat sicher auch damit zu tun, dass ich jetzt das Internet nutze. Bis vor drei oder vier Monaten hatte ich nicht einmal einen Computer, doch jetzt gehe ich auf meine Seite und spreche mit den Fans. Ich bin sehr dankbar für die Treue der Menschen.

Ich war auch im Forum deiner Seite und habe gesehen, dass du mit dem Nickname "I Am Roisin" eingeloggt bist.

Das ist kein Nickname, sondern die blanke Tatsache (lacht). Als ich das erste Mal im Forum antwortete, glaubten mir die Leute nicht, dass ich es wirklich bin, also musste ich es heraus schreien (schreit): "I AM ROISIN".

"Der ganze Laden war voller Käfige"

Welche Erinnerungen hast du denn an Zürich?

Zurich, oh my god, ich habe allein an diesen Club hier unzählige Erinnerungen. Hier im Dressing Room sind die Wände mit Plakaten verschiedener Shows zutapeziert und ich habe gerade nachgezählt, dass ich heute zum fünften Mal hier spiele. Ich war hier mit "Do You Like My Tight Sweater", "I Am Not A Doctor", "Things To Make And Do" und "Statues".

Dann bist du ja noch nie in einem anderen Zürcher Club aufgetreten.

Nein, zumindest nicht dass ich wüsste. Das Tolle hier ist, dass das Hotel genau nebenan liegt. Nach der Hälfte einer Tournee ist es herrlich, wenn dein Hotelzimmer praktisch neben dem Dressing Room liegt. Du steigst abends einfach aus dem Bett und gehst runter auf die Bühne. Und eine Waschmaschine gibt's auch. Du merkst, wir freuen uns immer, wenn wir hier ankommen.

Ihr habt auch in Moskau gespielt. Wie kam das zustande?

Oh, wir waren da schon dreimal. Es ist großartig. Gott, hatten wir neulich Spaß dort. Wir spielten in einem wunderschönen Nachtclub, dort gab es anschließend eine große Party für uns. Der ganze Laden war voller Käfige und Tanzpodien und irgendwann waren lauter Bandmitglieder auf den Dingern und in den Käfigen. Die Tänzer des Ladens waren ziemlich fertig, da sie nicht fassen konnten, wie gut die Jungs tanzten.

Und du hast dir das alles in Ruhe angeschaut?

Nein, natürlich war ich mittendrin, bei meinen Jungs und den Tänzerinnen aus dem Club. Ich glaube sogar, die hatten etwa Schiss vor mir.

Ist dein Album eigentlich in den USA erschienen?

Nein, nur als Import.

Gibt es dahingehend Pläne?

Nicht mit dieser Platte. Wenn ich das wirklich wollte, dann müsste ich einen weltweiten Deal an Land ziehen und dürfte mich nicht wieder auf diese Lizenzscheiße einlassen. Es gab in der Vergangenheit ständig Stress damit, du musstest immer selbst nachfragen, ob an einer erneuten Lizensierung Interesse bestünde. Ich müsste also bei der nächsten Platte einen internationalen Vertrag unterschreiben. Mal abwarten.

"Ich hatte noch nie dieses Madonna-Feeling"

Gibt es bereits Pläne für ein neues Album?

Sagen wir so: ich weiß nicht, ob die anderen von Plänen wissen ... (lacht)

Hauptsache du kennst sie. Spielt Matthew Herbert darin eine Rolle?

Wahrscheinlich nicht. Verstehe mich richtig: ich würde nie sagen, mit Matthew nicht mehr arbeiten zu wollen. Aber für die nächste Platte gibt es jetzt schon wieder so viele Menschen, mit denen ich mich treffen will, naja okay, immerhin gibt es ein paar wenige, die ich gerne um mich haben würde.

Verrätst du uns einen Namen?

Nein, das bringt Unglück.

Dir ergeht es also ähnlich wie Madonna, die sich ja auch ständig nach neuen Produzenten umsieht. Dieses Mal hat Stuart Price weitgehend die Rolle von Mirwais eingenommen.

Ich kenne ihr Album nicht, und ehrlich gesagt interessiert es mich auch nicht. Ich hatte noch nie dieses Madonna-Feeling. Aber was mich angeht: Ich habe nun mal das Glück, dass gerade Leute aus dem Bereich der elektronischen Musik mit mir arbeiten wollen. Historisch gesehen könnte das vielleicht daran liegen, dass sich bisher noch nicht so viele anständige Singer/Songwriter in diesem Genre ausgetobt haben. Es ist also ein großes Glück, dass die meisten Leute, mit denen ich zusammen arbeiten will, auch mit mir arbeiten wollen.

Das klingt schon sehr präzise. Schweben dir soundtechnisch bereits Ideen vor?

Ich denke ich war eine ganze Weile mit elektronischer Dance Music beschäftigt und wenn ich mal alt und verweifelt bin, kann ich mich immer noch an Lagefeuer-Liedern heran wagen und damit eine Menge Kohle machen (lacht). Aber im Augenblick bin ich nach wie vor von der Idee fasziniert, Popmusik zu kreieren, die - vielleicht - Grenzen überschreitet, die neu und aufregend klingt, modern und eben nicht wie etwas bereits Dagewesenes.

Welche Musik inspiriert dich dabei?

Das ist schwer zu sagen, momentan höre ich gerne Compilations von Magnus, einem Kerl aus Island, der frühe 80er Disco und solches Zeug zusammen mischt. Mein Traum ist, eine Platte aufzunehmen, die diese Naivität und Ausgelassenheit einfängt und gleichzeitig einen Bezug zur Jetztzeit hat.

Ich habe gelesen, dass du nach der Rückkehr der letzten Tournee mit Moloko nach Hause gekommen bist und dich ziemlich allein gefühlt hast, da du ewig lange weg warst und deine Heimat nicht genau definieren konntest. Fürchtest du ein ähnliches Erlebnis nach dieser Tour?

Nein. Ich werde mich gut fühlen, denn ich bin verliebt. Ich spreche täglich mit meinem Freund und habe jetzt auch ein Haus in Irland, in das ich zurück kehren kann. Nach der Tournee spanne ich erst mal ein bisschen aus, dann kommt Weihnachten mit der Familie und dann geht auch die Arbeit wieder los.

Na, freut mich zu hören, dass du den Plan, Kunst zu studieren, anscheinend erst mal verschiebst. 2003 auf dem Southside Festival hattest du uns das als Idee für die Zukunft verraten.

Ja stimmt, aber dafür habe ich nun wirklich gerade überhaupt keine Zeit. Ich glaube, ich bin gerade so sehr wie noch nie mit meiner - verändert ihre Tonlage - Karriere, ich finde gerade kein besseres Wort, beschäftigt, und das bedeutet mir alles einfach sehr viel. Ich habe jetzt als Solokünstlerin eine Vision, und es liegt an mir, sie den Menschen zu überbringen. Irgendwie ist das eine Befreiung.

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