laut.de-Biographie
Russian Circles
Am 16. Mai 2006 leuchtet ein weiterer heller Stern am instrumentalen Post Rock-Firmament auf, als Russian Circles mit ihrem Debüt "Enter" den musikalischen Horizont erweitern. Bald schießen angesichts des mysteriösen Bandnamens die wildesten Spekulationen ins Kraut, doch des Pudels Kern entpuppt sich als banaler als vermutet.
Erich von Däniken samt seinen abstrusen Fantastereien über kreisförmige Hinterlassenschaften grüner Männchen im Kornfeld scheidet als Vater des Gedankens ebenso aus wie etwaige sportgymnastische Vorlieben für russische Ballettfiguren. Russian Circles bezeichnet schlicht und einfach eine Trainingsform beim Eishockey, mit der zwei Bandmitglieder in sportiven Jugendjahren getriezt wurden.
2004 schließen sich Mike Sullivan (Gitarre), Dave Turncrantz (Drums) und Colin DeKuiper (Bass) in Chicago zu einem wagemutigen Trio zusammen, um in den Territorien der progressiven experimentellen Rockmusik zu wildern. Nach einer selbstbetitelten EP, die besagte drei Herren mit Lizenz zum Headbangen 2005 in rasch vergriffener Auflage über den DIY-Weg veröffentlichen, überzeugen sie mit dem folgenden Longplayer einen erweiterten Kreis von Fans und Kritikern mit ihrer eigenständigen, so atemberaubend dynamischen wie präzisen Spielart von tieftönendem Heavy-Rock.
Um das Frequenzspektrum einzuordnen, in dem Russian Circles vorzugsweise unterwegs sind, sei an dieser Stelle auf die bombastischen Aufnahmen von Isis, Mastodon und Botch verwiesen, die allesamt unter der Obhut von Matt Bayles entstehen. Fett as fett can be. Da überrascht es kaum, dass Mike und Dave bei den Sessions zum zweiten Longplayer "Station" in Seattle ganz auf dessen Qualitäten als Produzent und Tonmeister vertrauen. Zuvor rekrutieren sie mit Ex-Botch und immer noch These Arms Are Snakes-Bassist Brian Cook eine gewinnbringende Verstärkung für den Viersaiter, nachdem DeKuiper ihre Runde verlässt.
Der Perfektionist Bayles tritt ihnen im Studio gehörig in den Arsch und treibt sie mit seinem peniblen Arbeitsethos dazu an, noch fokussierter und songdienlicher an die Sache heranzugehen. "Ich würde behaupten, dass er uns zu besseren Musikern gemacht hat", zeigt sich Gitarrist Sullivan voll des Lobes.
Das Resultat gibt ihm Recht, zumal es noch kompakter und ausgewogener daherkommt als das ungezügelte Debüt. Drummer Dave verzichtet zum Wohl der Songs auf jeden überflüssigen Fill und hämmert die wohl beste Luftschlagzeugplatte seit Songs For The Deaf ein.
Auf der Basis verhältnismäßig linearer, aufgeräumter Strukturen lassen Russian Circles ihre epischen Songs zu derart gewaltigen Riffmonstern anschwellen, dass einem beim Hören glatt die Pferde durchgehen. Mit abgezocktem Gespür für Timing und Tempo schöpfen sie die Bandbreite jedes Instruments voll aus und erzeugen mit scheinbar simplen Mitteln wirkungsvolle Steigerungen und Kontraste.
Beeindruckend, wie ein stoischer Drumbeat, aufgeführt mit John Bonham Gedächtnis-Punch, den gesamten Klangraum ausfüllt, lange bevor voluminös schiebender Bass und sich auftürmende Gitarren diesen in einem Höllenritt sprengen. Entlang von Loops und Breaks addieren und subtrahieren Russian Circles, schichten auf und bremsen aus, dass es nur so kracht: Das physikalische Prinzip von Ursache und Wirkung findet hier seine musikalische Entsprechung.
Dass Russian Circles auch live auf der Bühne für ordentlich Wirbel sorgen, stellt das infernalische Trio auf Tourneen mit Dälek, Red Sparowes, Minus the Bear und Mono hinlänglich unter Beweis. 2007 wurden sie mit der wohl ultimativen Einladung belohnt, bei der sich jeder gestandene Musiker freudigst die Hosen vollmacht. Ob sie schließlich mit eingesauten Beinkleidern in England aufspielen, ist nicht überliefert. Dass sie das Vorprogramm für TOOL mit Bravour meistern, dagegen schon.
Die Chicagoer gebärden sich in der Tat wie ein Bastard aus Mogwai, Kyuss und Mastodon. Beim Aufbau von Steigerungen sind sie mit einer ähnlichen Geduld gesegnet wie die Schotten. Auch für sie gilt: Spannung kommt vor dem Fall. Wenn sie dann Gas geben, dann reichen sie mit schwerem, repetitiven Stonerrock den seligen Wüstensöhnen das Wasser. In Dynamik und Kontrapunktierung gemahnen die Arrangements samt eruptiver Breaks an die tonnenschwere Mammut-Bande.
Fast müßig zu erwähnen, dass man Gesang hier hier keine Sekunde vermisst, vielmehr wäre eine Stimme inmitten dieser musikalischen Stromschnellen hoffnungslos verloren. Das variable Gitarrenspiel Mike Sullivans bietet Angriffsfläche genug, um Melodien en masse zu erhaschen.
So erscheint es nur logisch, dass Russian Circles trotz absolutem Nischensound mit ihrer dritten Platte ihre Popularität noch ausbauen und sich langsam aber sicher zum Post Metal-Thron vorkämpfen. "Geneva" schiebt sich immerhin bis auf Platz 24 der Billboard Heatseeker Charts. Es folgt ein Labelwechsel zu Sargent House, wo unter anderem die Blackgaze-Innovatoren Deafheaven unter Vertrag stehen. Mit denen geht es anlässlich des 2011er-Releases "Empros" auch gleich auf Tour.
Labelintern geht es außerdem auf "Memorial" zu: Die experimentelle Singer/Songwriterin Chelsea Wolfe steuert einen Gastbeitrag im Titelsong bei. Unnötig zu erwähnen, dass sich auch bei Album Nummer fünf und dem 2016 folgenden "Guidance" die Kritiken geradezu überschlagen. Für letzteres zieht sich die Band Converges Kurt Ballou an Land. Der stellt einmal mehr seine Variabilität als Produzent unter Beweis und wird folgerichtig auch für das tonnenschwer klingende 2019er Album "Blood Year" sowie dem folgenden "Gnosis" für den Job an den Reglern verpflichtet.
Sehr zur Freude ihrer Fans, lösen die introvertierten Liveshows der Combo eine ganz eigene Faszination aus. Meist wortlos, wuchtet das Trio eine massive Soundwand auf die Bühne, die in der Regel erst aufbricht, wenn sie selbige wieder verlassen. Obwohl man sich wünscht, dass sie das niemals tun.
1 Kommentar
Titeltrack zum kommenden Album "Memorial" mit Chelsea Wolfe:
http://www.rollingstone.com/music/news/rus…