laut.de-Kritik

Die Farbe von Mahagoniholz.

Review von

Es ist nicht lange her, da war diese sich gerade in der Entstehung befindende Chicago-Szene eine der aufregendsten Strömungen im Untergrund-Rap. Symmetrisch zu dem, was vor ein paar Jahren in New York mit der New Era passierte, gab es diesen neuen Schlag an souligen, oldschooligen Lyrikern. Angeführt von Chance The Rapper standen Artists wie Mick Jenkins oder Joey Purp auf einmal im ungeahnten Hipster-Rampenlicht. Und keine Gruppe hätte den Sprung aufs nächste Level so sehr verdient gehabt wie die Pivot Gang - oder in späterer Evolutionsstufe das nie realisierte Ghetto Sage, bei dem Smino und Noname den angehenden Pivot Gang-Superstar Saba auf ein neues Level gehoben hätten.

Wie wir alle wissen, ist dieses neue Level nie gekommen. Chance The Rapper hat "The Big Day" veröffentlicht und die ganze Szene wurde in Sippenhaft genommen. Und trotz ein paar guter Noname-Alben fühlt sich Chicagos Potential heute ein bisschen wie ein uneingelöstes Versprechen an. Und was wurde aus Saba? Tja: Er hat nach ein paar unruhigen Jahren endlich sein Mojo gefunden. Er hat einen der besten Produzenten aller Zeiten an seiner Seite, um sich nun in der eigenen Coolness zu suhlen, dass es okay ist, nie ein Superstar geworden zu sein.

"From The Private Collection" ist ein wunderschön groovendes Stück Boheme-Rap. Rein logisch betrachtet, sollte man meinen, dass diese ganzen Windstadt-Kinder die neue Generation Common oder Kanye sein sollten. Aber es fühlt sich eher so an, als hätten wir es mit einer sehr temporären Reinkarnation der Soulquarian-Rapper um 1990 zu tun.

Ein Haufen Studis und Hipster, die im Spannungsfeld einer der härtesten Städte der Rapwelt ihre eher quirky Identitäten in den Nachbarschaften der Chief Keefs und Lil Durks austarieren. Und jetzt, wo das alles nicht mehr nach Konflikt klingt, nicht mehr nach Oldschool gegen Newschool, nicht mehr guter/schlauer gegen dummer/schlechter Rap ist, entsteht eine Gemütlichkeit und ein Swagger, den man sich wunderbar geben kann.

Fangen wir mit dem Offensichtlichen an: Die Produktion von No ID ist der nackte Wahnsinn. Er schneidert diese unterschwelligen Bebop-Bassläufe und luxuriösen Klavier-Anschläge zu locker-organischen Jazz-Rap-Fusionen zusammen, die Farbpaletten wie mattglänzende Jet-Magazine bilden. Dieses ganze Album hat die Farbe von Mahagoniholz. Besonders beeindrucken Leichtigkeit und Luftigkeit, da ist kein Bassdrum auf 1 und 3-, Snare auf 2 und 4-Gekloppe, jeder Drumbreak federt sich durch organisch geloopte Hats und Toms. Es klingt alles wirklich wunderbar organisch und leichtfüßig, wo schlechtere BoomBap-Produzenten steif und angestrengt klingen würden.

Und Saba? Der fühlt sich pudelwohl. In den besten Momenten rappt er Parts, als würde er Konversationen führen. Er macht das so natürlich, dass es sich die meiste Zeit nicht einmal wirklich aufdrängt, dass wir es mit Thementracks zu tun haben. Aber Saba wird besser, je spezifischer er wird. "Head.Rap" zum Beispiel dreht sich um Dreadlocks, in einem Plauderton, der die Wortverspieltheit und die Gedanken über Selbstliebe und Identität so clever maskiert, dass sich nichts davon auch nur eine Sekunde preachy oder corny anfühlt.

"Acts 1.5" dokumentiert das nächtliche New York, nachdem Saba gerade von einem Industrie-Event nach draußen geschlappt ist, komplett mit einem kleinen Egotrip und einem Höhenflug mit dem, was sein könnte. "Woes Of The World" platziert ihn dann doch wieder in einer Welt des Doomscrollings und trifft eine schöne Balance aus Schwermut und Optimismus. Dazwischen finden sich auch ab und zu mal wirklich clevere Lines, zum Beispiel "Bear with me for a second, please allow me to speak freely / If you see someone always winnin', he not gambling, he's cheatin'" auf "Westside Bound".

Schwache Momente finden sich höchstens dann, wenn der Industrie-Talk ein bisschen zu sehr überhand nimmt. Dann verwässert ein bisschen dieses Gefühl von druckloser Privatsammlung. "How To Impress God" ist zudem ein ziemlich verkopfter Stinker. Saba reiht da einen Haufen Humblebrags aneinander, dass seine Leistungen Gott ja nicht beeindrucken würden, nur um noch mehr anzugeben, wie viele Millionen er schon inspiriert hätte. Das fühlt sich doch zu großspurig an und gibt in der Summe den Vibe, als hätte er "DAMN." ohne jede Spur von Kendricks Zerrissenheit und Intensität nachgebaut.

Das gibt aber nur Abzüge in der B-Note auf einem Album, das der Inbegriff von einem Liebhabertape sein dürfte. "From The Private Collection" ist smooth, glammy, organisch. Klar gibt es hier lyrisch viel zu holen und bestimmt auch den ein oder anderen cleveren Metakommentar zu machen. Aber ganz ehrlich? Das hier ist einfach ein schönes Stück Musik, um es mal an einem sonnigen Nachmittag anzuwerfen und sich besonders sophisticated und jazzy zu fühlen. Und wie auch nicht? Die Kiste wurde am Ende des Tages ja von No ID produziert.

Trackliste

  1. 1. Every Painting Has A Price (feat. BJ The Chicago Kid & Eryn Allen Kane)
  2. 2. Breakdown
  3. 3. Crash (feat. Raphael Saadiq & Kelly Rowland)
  4. 4. Woes Of The World
  5. 5. Stop Playing With Me
  6. 6. Westside Bound Pt. 4 (feat. MFnMelo)
  7. 7. Head.Rap (feat. Madison McFerrin, Ogi & Jordan Ward)
  8. 8. Acts 1.5
  9. 9. Reciprocity (feat. Ibeyi)
  10. 10. Stomping
  11. 11. Big Picture (feat. Ogi)
  12. 12. 30secchop (feat. Joseph Chilliams & Jean Deaux)
  13. 13. How To Impress God
  14. 14. She Called It (feat. Frsh Waters & Tru)
  15. 15. A Few Songs (feat. Love Mansuy, Ogi & Smino)

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4 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 3 Tagen

    für mich ist "How to impress God" ne glatte 10/10.
    Der Rest des Albums größtenteils auch.

  • Vor 3 Tagen

    Ich finde es super langweilig. Eigentlich liebe ich die Beats von NoID wie ein Schwuler einen anderen Mann, aber hier bleibt wenig hängen und kein Beat ist so genial wie auf Summertime 06 oder 4:44. Saba rappt ein bisschen drucklos. Ist jetzt bestimmt kein schlechtes Album, aber ich hatte deutlich mehr erwartet.

  • Vor 3 Tagen

    Liebe alles an diesem Album. Die Beats sind ein absoluter Traum, allein für die Bassline auf 30secchop würde dein Lieblings-Producer seinen Hund essen. Und saba rappt mit einer so unfassbaren Relaxtheit, dass man es fast langweilig finden könnte, bis durch den ganzen laid-back vibe zu einem durchgedrungen ist, was für komplexe pattern und flow-variationen einem da um die Ohren geballert werden.
    Der ganze Vibe erinnert mich extrem angenehm an 2000er DJ Spinna Releases oder Platinum Pied Pipers shit. Und klingt dabei 0 hängengeblieben.
    Klare 4/5 nach 2-3 Durchläufen, könnte aber definitiv noch mehr werden, da steckt noch einiges grower Potential drin, denke ich.