laut.de-Kritik
Ein musikalisches Paradies, eine mystische Reise in unentdeckte Klangoasen.
Review von Kai Kopp"Truth is a relative thing" (Die Wahrheit ist relativ). Mit dieser Textzeile leitet die norwegische Ausnahme-Sängerin Sidsel Endresen "Out Here, In There" ein. Die Wahrheit ist: seit ich ihre Stimme zum ersten Mal hören durfte, bin ich ihr verfallen. Von jeder neuen Veröffentlichung erwarte ich ein musikalisches Paradies, eine mystische Reise in unentdeckte Klangoasen. Und wiederholt werde ich nicht enttäuscht. Die zerbrechliche Intimität ihres experimentierfreudigen Gesangsstiles und die Nacktheit der Kompositionen und Interpretationen sorgen abermals für magische Momente.
"Out Here, In There" knüpft direkt an die beiden Alben "Nightsong" und "Duplex Ride" an, die sie zusammen mit ihrem Duo-Partner Bugge Wesseltoft in den 90er Jahren einspielte. Ihre damals strikte Produktionsmaxime - keine Overdubs - geben die beiden dieses Mal zugunsten einer sensiblen Mehrspurigkeit auf. Es entsteht trotzdem der typisch gläserne Minimalismus, der ihrer Musik stets zu eigen ist.
Unbeschreiblich ist ihr musikalisches Universum, wie die zahlreichen vergeblichen Versuche belegen: "Radikal und mutig, lyrisch und aufregend. Das ist pure Magie, die so intensiv intim ist, dass sie dem Hörer die Tränen in die Augen treibt" schreibt beispielsweise der amerikanische 'Rolling Stone' über "Duplex Ride". Um mich dem Versuch einer Beschreibung zu nähern, befrage ich meine Phrasen-Dresch-Maschine, und erhalte "balladesken Minimal-Experimentalismus" als erstaunlich treffende Antwort.
Balladesk, weil die beiden immer dann, wenn sich der musikalisch greifbare Horizont in Luft aufzulösen beginnt, ein "konkretes" Arrangement von unglaublicher Schönheit anschließen. Dieses dient als sicherer Hafen, von dem aus sie das nächste filigrane Hörabenteuer starten. Die ausgefeilte Klangästhetik, in der keine überflüssige Note den Verlauf strapaziert, spannt dabei den roten Faden zwischen den stilistisch weit voneinander entfernten Stücken.
Poetische Spoken Word-Passagen, wild gezupfte Klaviersaiten ("Survival Techniques 1+2") und ambiente Klanglandschaften ("Voices") gehen dabei eine seltsam komplexe Verbindung mit diversen Electronic-Grooves ("Out Here, In There") und Soulharmonien ("Try") ein. Das sieht auch Sidsel Endresen so: "Complexity is always so confusing" (Komplexität ist immer so verwirrend) singt sie im Verlauf ihrer aufregenden Reise. Nicht allen Zeitgenossen liegt diese eigenwillige Ganzheit zwischen Lied und Experiment. Muss sie aber auch nicht, denn musikalische Präferenzen sind wie die Wahrheit ... relativ.
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