laut.de-Biographie
Sofie
Selten, dass eine Künstlerin ihr Debütalbum am Ende der Zwanziger veröffentlicht und man dennoch kaum weiß, womit man beginnen soll. Um so einen Fall — und das ist im positivsten Sinne zu verstehen — handelt es sich bei Sofie Fatouretchi. Anders wäre es wohl kaum zu erklären, wieso Sofies in einer Wiener Altbauwohnung entstandenes Debüt über Stones Throw Records erscheint, einem der einflussreichsten Avantgarde-Labels im Hip Hop.
Doch der Reihe nach. Sofie kommt Anfang der 90er im kalifornischen Palo Alto als Tochter einer Österreicherin und eines Iraners zur Welt. Dort, wo heute jungen Programmierern das Silicon Valley-Selbstverständnis indoktriniert wird, erlebt Sofie ihre ersten Kindheitsjahre. Nach dem sechsten Lebensjahr zieht die Familie ins nördlich der Küstenlinie gelegene Seattle, mit zwölf quer über den Atlantik in die österreichische Heimat der Mutter nach Wien. Obwohl Sofie den Haushalt als nicht explizit musikalisch beschreibt, beginnt sie schon in Kindertagen, Violine und Bratsche zu lernen und etwas Klavier zu spielen.
Anstatt nach ihrem Schulabschluss in Wien in der Musikbranche Fuß zu fassen, sammelt Sofie erste Arbeitserfahrung bei großen Software-Unternehmen in Wien. Das öffentlich einsehbare LinkedIn-Profil liest sich bis zu diesem Zeitpunkt wie der wahr gewordene Bewerbertraum jeder HR-Abteilung. Doch, und ab hier wird die Geschichte erst richtig interessant, zwischen 2011 und 2012 ereignet sich ein Bruch, sowohl räumlich als auch inhaltlich. Sofie wagt den Schritt zurück nach Kalifornien — diesmal allerdings alleine. Und statt in den auf Hochglanz polierten Arbeitswelten des Silicon Valley abzuhängen, sucht Sofie den Platz zwischen den verstaubten Plattenschränken bei Stones Throw Records für ein Praktikum. Dort macht sie sich neben Labelhead Chris Manak aka Peanut Butter Wolf als Digital Manager und A&R so gut, dass das Label ihr nach einem Jahr einen festen Job anbietet.
In der Folge arbeitet Sofie eng mit Künstlern zusammen und ist maßgeblich darin involviert, spätere Sound-Koryphäen wie Mndsgn oder Knxwledge in der Musikwelt zu etablieren. Währenddessen betreut Sofie auch die Geschicke von Boiler Room in den USA respektive Los Angeles und übernimmt dort sowohl die Creative Direction als auch das Booking. Und als wäre die Arbeit hinter den Kulissen nur als Sprungbrett gedacht, sucht Sofie zu dieser Zeit auch den vorsichtigen Weg in die erste Reihe. Auf einer Stones Throw Party legt sie das erste Mal eigene Musik vor fremden Menschen auf. Schon bald darauf bekommt sie bei NTS Radio aus London — eine der Independent Radio-Instanzen schlechthin — eine eigene monatliche Show. Ab 2014 spielt sie dort im SOS Radio mit ausgewählten Gästen wie Iman Omari oder Wandl Skurriles, Tanzbares und Entlegenes zwischen Synth Pop, Art Rock und Soul aus der eigenen Platten- und Kassettenkiste.
Wenig verwunderlich, dass sie daraus auch bei Stones Throw, wo die Früherkennung von künftig Einflussreichem zum Markenkern gehört, die logische Konsequenz ziehen: Sofie kompiliert Ende 2016 das Album "Sofie’s SOS Tape" und stellt dort ihre kuratorischen Fähigkeiten einmal mehr unter Beweis. Neben den üblichen Stones Throw-Verdächtigen bekommen auch zahlreiche No Names eine Plattform auf den 24 Songs, die irgendwo zwischen Sample-Skizzen und abgefahrenen FlyLo-Neo Soul schweben. Auf zwei der Produktionen wirkt Sofie neben Mndsgn selbst mit. Eine davon, "Abeja", bringt es wenige Jahre später alleine bei Spotify auf zweistellige Millionenklicks. Schätzungsweise lässt sich das auf die etwas in Verruf geratene Beats To Study & Chill To-Ästhetik des Songs zurückführen, in deren zigfachen Playlists er sicher häufig auftauchen dürfte.
Ende der Zehnerjahre zieht Sofie nach kurzen Stationen in New York und London und einer Trennung zurück nach Wien. Dort beginnt sie ein Kunststudium und setzt sich intensiv mit der eigenen Musikalität auseinander. Es entstehen Texte und erste Skizzen, die sie komplett selbst einspielt — angefangen bei eingängigen Basslines, MIDI-Drums und Klaviernoten. Für die finalen Aufnahmen nutzt sie zwar die Stones Throw-Infrastruktur in Los Angeles, an der DIY-Herangehensweise ändert das wenig. Abgesehen von wenigen Ausnahmen sind alle Instrumente und Songs auf ihrem Debütalbum selbst eingespielt und produziert. "Cult Survivor" erscheint schließlich im Sommer 2020 und zeigt eine Musikerin, die sich scheinbar leichtfüßig vom eingespielten Stones Throw-Bummtschak emanzipiert.
Trotzdem urteilt Sofie: "I wouldn't consider myself a singer". Als Liebling des Feuilletons und der Mode, der progressiven Plattenläden, Kunstgalerien und von Instagram, als NTS- und ORF FM4-Resident und Violinistin der Wiener Akademische Philharmonie hat sie damit auch unzweifelhaft recht. Sofie nennt das: "planting lots seeds in different areas and seeing what develops.". Das kann man definitiv so machen. Gerade dann, wenn sich eine Pflanze prächtiger als die andere entwickelt: Kompromisslose Multidisziplinarität.
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