22. Mai 2025

"Mit der Zeit wird man gieriger"

Interview geführt von

28 Studioalben in 54 Jahren? Mad! Und genauso nennen die Sparks deshalb auch ihr neues Werk, das morgen erscheint.

Morgen erscheint mit "Mad!" das dritte neue Sparks-Studioalbum in fünf Jahren. Die Zeit, als Ron und Russell Mael als Glamrock-Sensation gefeiert wurden, ist mittlerweile über 50 Jahre her. Man darf daher sagen: Das Brüderpaar hat sämtliche Moden im Popgeschäft gesehen und überlebt und ist selbst im sechsten Karrierejahrzehnt von kreativer Stagnation weit entfernt. Ihre zuletzt wieder gestiegene Popularität kosten die Sparks auch dieses Jahr wieder auf einer großen Tournee aus (unter anderem in Köln und Berlin).

Auch darüber wollen wir mit Songwriter Ron Mael sprechen, den wir im Videocall in seiner Heimat Los Angeles erreichen. Es ist 9 Uhr Ortszeit, Rons Haar wie immer sauber zurückgekämmt, der Clark-Gable-Bart noch schmaler als ohnehin. Während bei seinem Bruder vor zwei Jahren ein "Kimono My House"-Poster von 1974 die Wand zierte, sitzt der 79-Jährige vor einem Bücherregal, auf dem Glasvitrinen mit verschiedenen Asics- und Nike-Sneakers zu sehen sind. Ich trage meinen Sparks-Pulli, um die gewünschte und sogleich folgende Bemerkung aus dem Munde des Meisters zu erhalten: "Wunderschönes Outfit."

Ron, Anfang des Jahres wüteten schlimme Waldbrände in und um Los Angeles. Über Social Media habt ihr eure Fans wissen lassen, dass es euch gut geht. Wie sehr wart ihr von den Bränden betroffen?

Ich wohne in West L.A., Russell dagegen in einem der Canyons, da sah es eine Weile brenzlig aus, aber er hat Glück gehabt. Es war eine aufregende Zeit. Für eine Nacht musste er in einem Hotel übernachten, weil man das Tempo des Feuers nicht genau einschätzen konnte. Aber Pacific Palisades, die Gegend, in der wir aufgewachsen sind, ist komplett zerstört worden.

Und euer Studio?

Das Studio war davon zum Glück nicht betroffen. Das erste, was Russell bei der Evakuierung mitgenommen hat, waren die Computer. Die Musik hätte also in jedem Fall überlebt.

Viele Menschen haben ihr Haus und sämtliches Hab und Gut verloren. Hat dich das Ausmaß der Katastrophe nachdenklich werden lassen, was die Wahl deiner Heimat betrifft?

Eigentlich nicht. Die Angst vor Erdbeben ist vielleicht noch größer. Daran hat man sich gewöhnt. Man muss immer alles ins Verhältnis setzen: Wir haben schließlich auch das Wetter und das Meer.

Die Sparks haben sich in all den Jahren den Ruf erworben, als Band ihr eigenes Ding durchzuziehen, "doing things their own way". Wie kam es, dass du nun nach 50 Jahren mit "Do Things My Own Way" einen Song darüber geschrieben hast?

Ich fand, es passt zu unserer Logik und als eine Art Manifesto kommt es nach 50 Jahren besser, als wenn man es ganz am Anfang veröffentlicht hätte. So arbeiten wir eben.

War der Song der Türöffner für "Mad!"?

Ich glaube, es war tatsächlich der erste Song, wobei sich das Album stilistisch dann eher in eine andere Richtung entwickelt hat. Aber es war ein guter Start für uns: Wir wollten ein kompromissbereites Album machen, auf dem auch die langsameren Songs sehr direkt klingen.

Ein Text, der auf "Mad!" heraussticht, ist "Jansport Backpack", ein Song über die bekannten Rucksäcke der Marke Jansport. Wie kamst du darauf?

Wenn wir auf Tournee sind, gehe ich gerne spazieren. Irgendwann ist mir aufgefallen, dass erstaunlich viele geschmackvoll gekleidete, junge Frauen diesen Rucksack tragen. Früher war ein Jansport-Rucksack einfach nur ein praktisches Utensil. Aber mittlerweile ist er fast schon zu einem Fashion-Statement geworden. Ich habe mir Gedanken gemacht, ob man das in einen Song übertragen kann und kam auf diese Geschichte eines Paars, das sich trennt. Er schaut ihr hinterher, als sie ihn verlässt, ist das letzte Bild, das er von ihr hat, eben der Rucksack von Jansport auf ihrem Rücken.

War es schwer, diesen seltsamen Namen in einen Text einzubetten?

Ich mag wirklich den Klang dieser Worte, deshalb wurde es am Ende auch der Songtitel: "Jansport Backpack". Es hat gepasst. Viele Leute schreiben Texte oder wählen Songtitel, die keinerlei Aufmerksamkeit erregen. Das finde ich langweilig. Der Text als Ganzes muss dann natürlich auch einen guten Flow haben.

"Sparks-Fans sind offen für Neues"

Toll jedenfalls, dass dieses 28. Album nun erscheint. Ich hätte mir auch vorstellen können, dass ihr nach der schönen Doku "The Sparks Brothers", dem Album "The Girl Is Crying In Her Latte" und der langen Welttournee einen Schlussstrich zieht.

Und da sind wir wieder! Ehrlich gesagt haben uns die von dir aufgezählten Dinge eher motiviert, noch mehr zu machen und zu sehen, wie weit wir uns selbst antreiben können. Der Film und der Soundtrack zu "Annette" hat enorm viele Menschen auf uns aufmerksam gemacht. Und uns interessieren diesen neuen Leute, die sich jetzt durch unseren großen Katalog durchhören. Es ist inspirierend, dass wir so etwas an diesem Punkt in unserer Karriere noch erleben dürfen.

Wie lief dieses Mal der Aufnahmeprozess ab?

Das Schreiben und Aufnehmen hat etwa ein Jahr gedauert. Bevor Russell sein Homestudio hatte - ich schätze wir haben dort mittlerweile acht Platten aufgenommen - habe ich in der Regel einen Song mitgebracht, den wir dann mit der Band geübt haben. Danach sind wir in ein teures Aufnahmestudio, wo man naturgemäß wenig Zeit für Experimente hat, weil die Zeit knapp ist. Heute genießen wir dank Russells Studio die Freiheit, gleichzeitig schreiben und aufnehmen zu können. Wir haben mehr Möglichkeiten als früher.

Wie sieht ein normaler Sparks-Arbeitstag aus?

Es tut uns gut, täglich zu arbeiten. Wenn wir loslegen, sind wir sehr auf die Arbeit fokussiert. Ab und an legen wir mal einen Tag Pause ein. Aber wir sitzen jetzt nicht 18 Stunden am Stück aufeinander, sonst könnten wir den Enthusiasmus nicht nutzen, den frühe Morgenstunden manchmal mit sich bringen. Wir kommen wahrscheinlich so auf sechs Stunden Arbeit am Tag.

Russell sagte im Interview vor zwei Jahren, dass sich Bands in eurem Alter oft wiederholen oder faul würden. So dass es euch als Sparks besonders wichtig ist, euch mit jedem Album neu herauszufordern. Könntest du diese Herausforderung im Bezug auf "Mad!" beschreiben?

In gewisser Weise wird es immer schwieriger, weil wir wirklich schon viele Alben aufgenommen und darauf verschiedene Soundelemente ausprobiert haben. Wir wissen natürlich, dass egal was wir anfassen, das Ergebnis immer eine Art Sparks-Stempel tragen wird. Auf der neuen Platte trifft man sicher auf bekannte Elemente, aber im weiteren Sinne fühlt es sich aus meiner Sicht neu an.

Ich erkenne auf "Mad!" schon die Band, die die letzten zwei bis drei Alben aufgenommen hat.

Wir haben das Glück, dass Sparks-Fans offen sind für Neues. Sie wollen herausgefordert werden. Wohingegen man bei anderen Bands beobachten kann, dass sich Fans entsetzt abwenden, wenn die Musik der neuen Platte plötzlich ganz anders klingt.

Gibt es denn Sparks-Songs, die dir heute peinlich sind?

Eigentlich nicht. Im Jahr 2007 haben wir in London all unsere Alben bis zu diesem Zeitpunkt hintereinander aufgeführt. 21 Alben an 21 Abenden. Deshalb mussten wir jeden einzelnen Song unseres Back-Katalogs üben plus einige B-Seiten. Wenn du diese Songs aus dem Kontext der Zeit, in der sie entstanden sind, herausnimmst und sie in relativ kurzer Zeit hintereinander spielst, dann findest du auch Gefallen an Songs, die du rückblickend vielleicht als weniger gelungen betrachtet hast. Ich kann natürlich nur für uns sprechen. Das alte Material hat sich gut angefühlt.

Das klingt jetzt trotzdem, als habe dich diese Erkenntnis ein wenig überrascht.

Ja. Manche Platten kamen im Erscheinungsjahr weniger gut weg als andere. Heute fühlt es sich anders an. Wir versuchen zum Beispiel immer, unsere Tour-Setlist abwechslungsreich zu gestalten und so gut wie jede Periode abzubilden. Dieses Jahr sind auch wieder einige Songs reingerutscht, die wir schon sehr lange nicht mehr live gespielt haben. Manche Songs müssen wir natürlich bringen und die machen auch Spaß. Genau wie ein paar Stücke vom neuen Album. Wir haben da mittlerweile eine große Auswahl.

Hattet ihr über eine Kollabo auf dem neuen Album nachgedacht?

Nein, nicht auf dem Album. Aber wer weiß was die Zukunft bringt. The Last Dinner Party haben eine tolle Version von "This Town Ain't Big Enough For Both Of Us" gemacht. Wenn man eine Kooperation eingeht, muss es ein gemeinsames Grundverständnis darüber geben, wie Popmusik klingen sollte.

"Das erste Album ist immer etwas Besonderes"

Musikfans lieben Rankings. Ich höre mich für einen Artikel gerade durch euer komplettes Oeuvre durch und bin fasziniert von vielen großartigen Songs, die leider oft nicht die Öffentlichkeit erreichten, die sie verdienten. Welche eurer Alben sind dir besonders ans Herz gewachsen?

Ich kann an einzelne Platten keine qualitativen Maßstäbe anlegen, aber es gibt natürlich welche, die für uns als Band sehr wichtig gewesen sind. Zum Beispiel weil wir eine neue musikalische Richtung eingeschlagen haben. Unser allererstes Album, das noch unter dem Namen Halfnelson erschien, machten wir mit Todd Rundgren. Das erste Album ist immer etwas Besonderes. Damals dachten wir, wir hätten alles geschafft. Ein Album mit unserer Musik, fantastisch, mehr brauchen wir gar nicht. Aber wie es nunmal so ist: Mit der Zeit wird man gieriger.

Für "Kimono My House" holte uns Island Records 1974 nach Großbritannien. Das war das erste Mal, das unsere Musik ein großes Publikum erreichte. Ein anderes wichtiges Album für Sparks war "No. 1 In Heaven", unser erstes elektronisches Album, das wir 1978 mit Giorgio Moroder aufgenommen haben. Dem Maestro über die Schultern schauen zu dürfen, war eine tolle Erfahrung. Die Platte öffnete uns die Augen, was mit diesem Instrumentarium alles möglich ist. Sie hatte auch eine Art Signalwirkung für andere Künstler, indem wir zeigten, dass eine Band nicht zwangsläufig aus vier Typen mit Gitarren bestehen muss. Anfang des Jahrtausends hatten wir das Gefühl, uns vom traditionellen Songschema entfernen zu müssen.

Aus künstlerischer Sicht war das Album "Lil' Beethoven" daher für uns ein Befreiungsschlag, das einen neuen Weg für uns eröffnete. Das heißt nicht, dass diese vier Alben auch musikalisch zu meinen Vorlieben zählen, aber sie waren für die Band sehr wichtig.

Wir sprachen über die 21 Konzerte zu jedem eurer 21 Alben im Jahr 2007. Von welchem Künstler würdest du dir als Musik-Fan so eine Aktion wünschen?

Ehrlich gesagt will man das niemandem zumuten. Ich bin froh, dass wir es damals durchgezogen haben, denn es war sehr schwierig. Ich will nicht arrogant klingen, aber ich glaube nicht, dass es viele Bands mit so vielen Alben gibt, bei denen man wirklich alle nochmal hören will. Ich mag sehr viele Bands, aber wenn ich eine nennen sollte, die 21 gute Alben veröffentlicht hat, müsste ich eine Weile nachdenken.

Wir Europäer schauen angesichts des Ukraine-Kriegs mit bangen Blicken nach Amerika ...

Damit seid ihr nicht allein.

Wie ist dein Blick auf die Situation als Amerikaner, der schon in Russland und womöglich in der Ukraine aufgetreten ist?

Als wir damals in Russland aufgetreten sind, herrschte große Aufbruchsstimmung. Es ist traurig, wie sich die Dinge seither entwickelt haben. Wir würden sehr gerne wieder ein Konzert in Russland geben, schon aus rein egoistischen Motiven. Wir waren damals in Moskau, Sankt Petersburg und in den baltischen Staaten. In der Ukraine haben wir noch nie gespielt, aber ich kann die Sichtweise der Leute dort verstehen. Amerika hat sich in eine bisweilen rätselhafte Richtung entwickelt, um es mal milde auszudrücken.

Ich werde nicht sagen, was ich wirklich denke, aber insgesamt ist die Lage sehr rätselhaft. Ich hoffe einfach, dass sich die Dinge schnellstmöglich ändern, weil in unserem Land gerade wesentliche Veränderungen vonstatten gehen, die 250 Jahre lang Bestand hatten. Und ich gehe davon aus, dass es eine Weile dauern wird, um alles zu reparieren.

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