laut.de-Kritik

50 Jahre Pop. Kein Ende in Sicht. Mad!

Review von

Sie gehen eigentlich lieber den komplizierten Weg, als Naheliegendes aufzugreifen, aber nach 54 Jahren darf man dann auch mal eine Ausnahme machen. "Mad!" ist ein Titel, der zu sehr vielen Sparks-Alben passen würde, im Prinzip zu allen seit "Lil' Beethoven" (2002). Damals drehten sie ihren Kompositionsstil ein letztes Mal auf links, schufen einen schrägen Mix aus Piano-Pop, Rockgitarre und Neo-Klassik, und wenn es ihnen dann immer noch zu normal klang, legten sie eine Marching Band oder Tribal-Drums drüber. Und doch: Die vom Albumtitel ausgehende Doppelbödigkeit hinsichtlich der Weltpolitik mit speziellem Fokus auf ihre Heimat USA funktioniert in der Post-Biden-Ära so gut wie nie.

Das würde Songwriter Ron Mael so natürlich nie zugeben. Sowohl in Interviews als auch in seinen Songs belässt er es bei Andeutungen, die aber nicht wahnsinnig schwer zu entschlüsseln sind. "Hit Me, Baby" bittet förmlich darum, aus dem Albtraum namens Realität erwachen zu dürfen, gar amtlich gerüttelt und geschlagen zu werden, denn: "I can't believe that this is where it's at." Sie müssen es wissen. Als ihr Debütalbum rauskam, hieß der US-Präsident noch Richard Nixon.

Den Amtierenden darf man im Opener mitlesen. Wohl keine andere Person der Zeitgeschichte verkörpert so sehr die Eigenschaft, kompromisslos und eigensinnig voranzuschreiten: "Got the fuel / Broke the rules / Gonna do things my own way (...) Saw the Pope / Told him 'nope' / Gonna do things my own way". Positives Gegenbeispiel? Die Sparks selbst, seit jeher erfinderisch und auch mal über den Dingen schwebend: "I'm Howard Hughes / In Jordan 2s / Gonna do things my own way."

"Mad" ist nicht nur die Welt im fortschreitenden 21. Jahrhundert, sondern auch der kreative Höhenflug des Geschwisterduos auf diesem 28. Studioalbum. Die Sparks haben schon alles gesehen, daher machen sie, was sie wollen, und das machen sie sehr gut. Nach dem hektisch-monotonen Start, dessen Vibe an den Titeltrack des Vorgängers "The Girl Is Crying In Her Latte" erinnert, schaltet "JanSport Backpack" einen Gang zurück und Sänger Russell breitet seine mit den Jahren kapriolentechnisch zurückgedimmte Stimme in Choralform aus.

Der Text verknüpft den Outdoor-Rucksack mit einem Breakup-Drama, ohne dass der schwerfällige Firmenname irgendwie stört - Ron Mael würde sicherlich auch das Wort Birkenstock noch songdienlich unterbringen. Nach Auskunft der Maels hat sich JanSport übrigens zum Song noch nicht geäußert, "weder mit einer Klage, noch mit einem Werbevertrag." Letzteres würde aber auch nicht mehr verwundern, denn die Welt scheint langsam bereit zu sein für dieses kuriose Non-Hit-Wonder - geliebt von Musikern, ignoriert von Plattenkäufern. Der gute Einfluss darf der erfolgreichen Band-Doku "The Sparks Brothers" (2021) zugeschrieben werden. "The Girl Is Crying In Her Latte" war ihr drittes UK-Top-10-Album in Folge und "Mad!" wird in Kürze nachziehen.

Die Annahme, dieses Tempo im Stile der 70er Jahre würde zu Lasten ihrer Kreativität gehen, ist ein Irrglaube. Ob lynchartige Albtraum-Scores wie "Running Up A Tab At The Hotel For The Fab" oder güldener Pop-Kitsch wie "My Devotion": Wenn die Maels in Form sind, spielen sie in ihrer eigenen Liga. Wenn nicht, liefern sie schwerfällige Nummern wie "Don't Dog It" und "I-405 Rules" ab, die jeweils tolle Parts aufweisen, aber im Gesamtkontext nicht zünden.

"A Long Red Light" ist ein Song über, genau, eine rote Ampel mit exakt einer, sich stetig wiederholenden Songzeile. Eine klassische Sparks-Idee, die aber auch schon mal weitaus besser funktioniert hat ("My Baby's Taking Me Home"). Es schließt direkt an das erwähnte "I-405 Rules" über den kalifornischen Freeway Interstate an und dämpft dessen orchestrales Chaos mit einer meditativen Stimmung, in der man sich an roten Ampeln seltener befindet.

Das bittersüße "Drowned In A Sea Of Tears" ist nicht nur der schönste Song des Albums, sondern ragt auch im Gesamtwerk des Duos (28 Alben!) positiv heraus. Lyrics ganz ohne Ironie, Sarkasmus oder Witz sind dagegen eher Neuland: Russell betrauert eine vermutlich depressive Freundin: "Almost saved her, I was so very near."

In "A Little Bit Of Light Banter", einem Paradestück für das Ende ihrer Konzert-Setlist, verarbeitet Ron das Thema Abschied, indem er Schlaglichter auf die Karriere mit seinem Bruder wirft. Das Geheimnis? Dieselben Interessen ("We may talk about art, music / or movies without guns"), dieselben Abneigungen ("They’re discussing ways to wealth / Rising crime and destiny / It's not for you or me", dieselbe Mentalität ("We're so in harmony"). Dazu passend schlägt der Song mit seinen Glam-Anleihen die Brücke zurück zu den Anfängen.

Im schlageresken Finale "Lord Have Mercy", irgendwo zwischen Beatles, Flaming Lips und ABBA lassen sie dann plötzlich ein lupenreines Gitarrensolo die Luft zerschneiden. Aber das fällt eh nur den älteren Semestern auf. Jetzt werden die Jungen gebraucht, um die Sparks erstmals in ihrer Karriere auf Platz 1 der UK-Charts zu hieven. "Kimono My House" landete 1974 nur auf Platz 4.

Trackliste

  1. 1. Do Things My Own Way
  2. 2. JanSport Backpack
  3. 3. Hit Me, Baby
  4. 4. Running Up A Tab At The Hotel For The Fab
  5. 5. My Devotion
  6. 6. Don't Dog It
  7. 7. In Daylight
  8. 8. I-405 Rules
  9. 9. A Long Red Light
  10. 10. Drowned In A Sea Of Tears
  11. 11. A Little Bit Of Light Banter
  12. 12. Lord Have Mercy

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