laut.de-Kritik
Glamrock, Falsett, Breaks und dieser berühmte Zweifingerbart.
Review von Michael Schuh"Du musst dir vorstellen, dass die nächste Platte jemanden erreicht, der von deiner Karriere nichts weiß. Also musst du alles sagen, was du vielleicht auch 1974 schon gesagt hast, aber jetzt in einer modernen Art und Weise", so Sparks-Sänger Russell Mael im Jahr 2017. Er muss es wissen, denn 1974 erschien "Kimono My House", bis heute das Referenzwerk seiner Band.
Auch wenn im September 2017 das 23. Studioalbum der kalifornischen Band in den Läden liegt, dürfte es heute so leicht sein wie 2007 oder 1987, Menschen zu finden, der nichts von der Karriere dieser Kultband wissen. Doch die Sparks haben durchgehalten und werden gefeiert von Künstlern wie Faith No More, Ramones, Red Hot Chili Peppers, The Dirtbombs, Depeche Mode, Björk, Morrissey, Siouxsie Sioux, Jimmy Somerville und Rita Mitsouko, oder um auch mal etwas jüngere Menschen zu nennen: Franz Ferdinand.
Die Welt war eine andere, als die Sparks erstmals für Furore sorgten. 1974 hört man in ihrer Heimat Soul, Funk, Soulfunk, Boogie-Rock, Bubblegum-Pop, die Bay City Rollers, Elton John und die Steve Miller Band. Glamrock dagegen, das als Reaktion auf alles Genannte, vor allem aber auf den bierernsten Bombastrock von Bands wie Pink Floyd und Genesis entstandene Zerrbild mit Fantasiefrisuren, High-Heels und dekadenter Androgynität, hält Großbritannien in Atem.
Die Sparks wissen: Sie müssen da hin. Vorreiter David Bowie hatte seinen Ziggy Stardust da zwar schon zu Grabe getragen und veröffentlicht zeitgleich zu "Kimono My House" das Zitatwerk "Diamond Dogs". Doch von Bowie sind die damals gute fünf Jahre erfolglos durch Los Angeles tingelnden Brüder Ron und Russel Mael Lichtjahre entfernt. Zwei Alben unter dem Namen Halfnelson versauerten in den Plattenläden, und als sich mit Island Records auf der Basis ihrer 1972er-Europatour doch noch ein Label für einen Vertrag erbarmt, prangt im April 1974 auf der Rückseite der Single "This Town Ain't Big Enough For Both Of Us" in großen Lettern der Satz: "From the first album". Eine visionäre Lüge: "Kimono My House" ist der erhoffte Neustart in allen Belangen.
Angeführt von "This Town Ain't Big Enough For Both Of Us", das seltsamerweise eine Hitsingle wird, obwohl ein Strophe-/Refrain-Muster nur rudimentär erkennbar ist, rast Russell als junger Oktaven-Pfau frontal in einen wahnwitzigen Songbeginn, der folgerichtig mit Gewehrsalven endet. Von den selbst für damalige Zeiten irrwitzigen Lyrics ganz zu schweigen: "Zoo time is she and you time / the mammals are your favourite type and you want her tonight / heartbeat, increasing heartbeat / you hear the thunder of stampeding rhinos / elephants and tacky tigers / this town ain't big enough for both of us / and it ain't me who's gonna leave". Russell wurde auch immer wieder für eine japanische Sängerin (!) gehalten, wozu das giftgrüne Geisha-Cover seinen Teil beigetragen haben mag, aber auch sein scher dechiffrierbarer Gesangsstil.
Der Song beinhaltet zahlreiche Aspekte, mit denen man die Sparks seither assoziiert: Stürmische Gitarren, die immer wieder auf krude Breaks stoßen, pointierte Bassläufe und manisches Pianohämmern. Zusammen mit Russells durchgedrehtem Falsett liegt hier eine Mixtur vor, für die ein Publikum scheinbar erst herangezüchtet werden muss. Doch Großbritannien empfängt die Maels mit offenen Armen und es kommt zu einem legendären "Top Of The Pops"-Auftritt im April 1974, der die Band über Nacht national bekannt macht. Neben Sunnyboy Russell mit wallenden Engellocken sitzt eine bieder anmutende Gestalt mit regungsloser Miene am Keyboard, Oberhemd, Krawatte, pomadisiertes Haar. Die kompletten zweieinhalb Minuten stiert Ron mal debil, mal furchteinflößend in die Kamera und sein Zweifingerbart lässt einen gewissen John Lennon vor dem heimischen TV-Gerät entsetzt ausrufen: "Christ, Hitler is on the telly!" Rons Charlie Chaplin-Hommage ging also ganz schön daneben.
Nun standen Kopfstimmen und operettenhafte Arrangements im Rock'n'Roll jenes Jahres noch hoch im Kurs - das zweite Queen-Album wurde im Königreich ebenfalls dick abgefeiert - doch die verkünstelte Schrägheit, mit der die Sparks ihren Avantgarde-Hardrock pimpten, sollte auf lange Sicht zu provokativ für den Mainstream ausfallen. Dank Twitter können heutzutage ja die kompliziertesten Sachverhalte auf ein Mindestmaß verknappt werden, manchmal auch sehr böse, wie in diesem allerdings nicht völlig unnachvollziehbaren Tweet: "Queen: Sparks for cunts." Klar ist aber auch, dass einen Song wie "Here In Heaven" (oder den Schluss von "Equator"!) wohl wirklich nur ein Mercury fehlerfrei durchsingen könnte. Ok, oder Mike Patton, der 1997 für das Sparks-Coveralbum "Plagiarism" den Song "Something For The Girl With Everything" als One-Take einkreischte, obwohl er ihn vorher gar nicht kannte, wie Chef-Songwriter Ron einmal genüsslich ausplauderte.
Der symphonische Donnerhall in Songs wie "Thank God It's Not Christmas" findet sich auch bei Faith No More wieder. Gleichzeitig auch ein Musterbeispiel für den Sarkasmus und Humor in Rons Texten, handelt der Song doch von jemandem, der sich freut, dass nicht Weihnachten ist, ist dies doch der einzige Tag im Jahr, an dem er bei seiner Frau zuhause bleiben muss. "Talent Is An Asset" handelt von Albert Einsteins Kindheit aus der Perspektive seiner Eltern ("Talent is an asset / and little Albert has it").
Der Albumstart mit "This Town ...", dem nicht minder furiosen "Amateur Hour" und dem Narzissmus-Walzer "Falling In Love With Myself Again" sind schon eine Klasse für sich. "Kimono My House" hält dieses Level jedoch. Im spanisch-französischen Sprachversuch "Hasta Mañana, Monsieur" findet dann der Albumtitel Eingang in den Text, "Talent Is An Asset" klingt wie T.Rex auf Speed und im Fade-Out des lässigen Motz-Boogies "Complaints" zeigt Gitarrist Adrian Fisher, dass er wie auch die Kollegen Martin Gordon (Bass) und Dinky Diamond (Drums) recht fähige Handlanger für die Mael-Brüder waren.
Noch im selben Jahr erschien "Propaganda" (5/5), ebenfalls von Spencer Davis Group-Basser Muff Winwood produziert, 1975 dann das maßlose, von Tony Visconti veredelte "Indiscreet" (4/5). Sie bilden das bockstarke Sparks-Triptychon ihrer Glam-Phase. Danach wurde es ruhiger um das Duo, bis die Maels 1979 inmitten der "Disco Sucks"-Bewegung Giorgio Moroder verpflichten, um ein Disco-Album ("No. 1 In Heaven") aufzunehmen. Sie probierten sich auch an Westcoast-Pop ("Introducing Sparks") oder New Wave ("Angst In My Pants") aus, machten also wenig anders als etwa ein David Bowie, doch nicht einmal als 1994 hierzulande der Sparks-Song "When Do I Get To Sing 'My Way'" zu ihrem "Let's Dance" wird, profitiert das Duo längerfristig davon.
Es bleiben Lobeshymnen devoter Fans, wie die des jungen Fans Alex Kapranos 2004: "Ich könnte mir kein Leben ohne sie vorstellen." Elf Jahre später durfte er mit seinen Idolen als FFS sogar ein Album aufnehmen.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
5 Kommentare mit 6 Antworten
Jaaaaa endlich die Sparks, die Mael Brüder sind einfach die Abwechslungsreichste Pop Band auf Erden.....PUNKT!
Mein Geheimfavorit ist und bleibt "Angst in my Pants" mein
Einstieg in Sachen Sparks anno 1982. Aber ganz klar "Kimono my house" hat die knackigen Hits("Amateur hour" !!!!)
Und jetzt dann irgendwann noch einen 80er Klassiker zum Beispiel "the Gun Club"("Miami" wäre da meine erste Wahl) und Alles ist gut....
"Miami" halte ich für einen echt guten Vorschlag. Ist auch nach knapp 35 Jahren immer noch eine tolle Platte.
Alleine wegen "Mother of earth"...
Hatte an anderer Stelle glaube ich auch schon mal den Stein für "Miami" gefordert und unterstütze daher den Antrag.
Wirklich schwer, sich zwischen dieser Platte oder dem Nachfolger "Propaganda" zu entscheiden. Würde "Kimono My House" vielleicht knapp den Vorzug geben. Bin aber echt dankbar, dass diese Band endlich einen Meilenstein bekommen hat.
Die nach der "Propaganda", nämlich "Indiscreet" ist mein Liebling. Aber die Früh- und die aktuelle Spätphase der Band sind definitiv die Bringer!
Dieser Kommentar wurde vor 7 Jahren durch den Autor entfernt.
Folgendes Szenario in der Redaktion. Dani hört gerade die neue Scooter und die Nummer "In Rave We Trust" und bittet kurz Michel dazu, mal über Kopfhörer reinzuhören. Michel sagt: "Klasse! Das ist doch "Amateur Hour" von den Sparks, da muss ein Meilenstein her". Gesagt, getan. Also müsste ich H.P. Baxxter ebenso dankbar für diesen Text sein.
Soll ich jetzt in Scooter reinhören oder was genau bezweckt dein Kommentar?
Dachte, das hättest du schon getan.
Außerdem könnte die Scooter-Version ("In Rave We Trust") was für die Kolumne sein.
Erst das seltsame Cover hat mich auf dieses Album aufmerksam gemacht und das schräge Bild der zwei Geishas steht auch für die Musik: Bunter Glam-Pop-Rock, wie Queen mit Tollwut.
Schön, dass die Sparks mit einem Meilenstein bedacht werden. Big Star kommt hoffentlich bald auch mal dran.