laut.de-Kritik

Eine glaubt noch an die Dancefloors.

Review von

Manche Leute sind einfach zu cool. Amaarae zum Beispiel: Aufgewachsen in Ghana und den USA hat sie die letzten Jahre ihres Lebens auf den Dancefloors von New York, Accra, Miami und Sao Paolo verbracht. Ihre Musik ist gleichermaßen eine Feldstudie darüber, an wie vielen Enden der Welt die Diaspora der schwarzen Musikgeschichte ihre Spuren hinterlassen hat. Und doch nutzt sie ihren Status als interkultureller Dancefloor-Souverän, um ein sehr kunstvolles Selbstportrait zu schaffen. Ihr drittes Album "Black Star" ist ihr bisher bestes: Es ist tausend Genres gleichzeitig, vielschichtig, tanzbar und ernstlich sexy.

Die erste große Stärke dieses Albums liegt darin, wie wenig es sich in die Karten gucken lässt. An "Black Star" ist nichts Erklärbäriges, nichts forciert Positives. Eher nimmt sich das Album konstant vor, Hörer und Hörerinnen wie absolut unkultivierte Lappen fühlen zu lassen, so wenig, wie man diese Performerin durchschauen kann. Dabei sagt sie stellenweise ja selbst, dass sie durch so viele Genres gehen wird, dass es eigentlich nur noch Pop sein könnte. So wie alle Farben gleichzeitig keine Farbe mehr ergeben.

Aber es macht doch sowohl Spaß als auch Erfurcht, sich die reine Registertiefe dieses Albums anzuhören. In den einen Momenten bekommen wir House-Synthesizer, so tief und minimal, dass sie von Berlin bis Warschau zu Hause sein könnten. Dann rüttelt immer wieder Baile Funk durch. Wir kriegen perkussive Madness, die von einem von vielen der afrikanischen Electronica-Subgenres inspiriert sein könnten, die in den letzten Jahren durch die Decke gegangen sind. Immer mal wieder gibt es auch einen Hauch von Classiness, zum Beispiel, wenn Charlie Wilson ein bisschen Motown-Style-R'n'B-Gesang für das Finale von "Dream Scenario" hergibt. Und auch das klassische ghanaische Genre des Highlife findet immer wieder in den Zwischentönen statt, während Amaarae stimmlich wie thematisch eher in den futuristischen Hyperpop gehört.

Es passiert also sehr viel hier. Wie kommt das in einzelnen Songs durch? "Starkilla" ist der erste Track, der wirklich die volle Breitseite gibt. Mit einem exzellenten Globetrotter-Refrain von Fashionista-Superstar Bree Runway steigert Amaarae sich in einen hedonistischen Tobsuchtsanfall. "Ketamine, coke, and molly / Ketamine, coke, and molly / Ketamine, coke, and molly / Ketamine, coke, and molly / I'm 'bout to serve somebody" wiederholt sie wieder und wieder, clever unscharf lassend, ob wir gerade Euphorie oder Verzweiflung hören.

Generell hat "Black Star" ein faszinierendes Händchen dafür, gleichzeitig eisblockkalt zu klingen und doch rasend manisch zu sein. Nichts bringt das besser auf den Punkt als Naomi Campbell, die mit einer ehernen Moderation und ein paar Adlibs zum ultimativen Aura-Farmen vorbeigekommen ist. "Kiss Me Thru The Phone Pt 2" trifft Online-Freundin PinkPantheress zu einer horny Neuauflage des klassischen Soulja Boy-Tracks, die aber ein bisschen mehr in die digitale Melancholie von Hannah Diamonds "Hi" gewälzt wurde.

"B2B" ist gleichzeitig eine cineastisch wertvolle Hymne auf die queere Sluttiness, gebrochen nur durch die großartige Wahl, den Track kein bisschen positiv oder euphorisch zu gestalten. Im Gegenteil: Die Royalität und das Alles-Haben-Können macht Amaarae scheinbar vor allem launisch und unausgeglichen - was die Energie des Tracks, der locker in den kommenden Jahren Berlin beherrschen wird, nicht ein Mü weniger sexy macht.

Als absolutes Highlight der zweiten Hälfte kristallisiert sich "Fineshyt" heraus, der mit dem gediegenen 2011-Sound der klassischste Pop-Tune des Albums ist. Aber auch hier finden sich wieder diese Ausschnitte von überraschend komplexen Beziehungsdynamiken in den Lyrics, wo sie Versatzstück für Versatzstück zu einer sticky Hook nach der anderen verwertet werden.

Es gab lange kein Album mehr, das Nachtleben so interessant hat wirken lassen. Und hier ist das Wort 'interessant' bewusst über 'schön' oder 'wichtig' gewählt. "Black Star" wehrt sich mit Händen und Füßen dagegen, ein politisches Statement-Album zu sein. Dieses Album ist auf seine Art hyper-individualistisch, grantig und vom eigenen Fame gelangweilt. Und doch glaubt das Album im Kern so vehement, dass in den Weiten der globalen Unterwelten, irgendwo auf dem Dancefloor, irgendeine transzendentale Menschheit zu ergründen liegt. Und wenn jemand in der Lage scheint, diese Höhen und Tiefen zu verstehen, dann muss es wohl Amaarae sein. Wir uncoolen Lappen können ihre Findings nur unwürdig aus der Ferne bestaunen.

Trackliste

  1. 1. Stuck Up
  2. 2. Starkilla (feat. Amaarae, Bree Runway & Starkillers)
  3. 3. Ms60 (feat. Naomi Campbell)
  4. 4. Kiss Me Thru The Phone Pt 2 (feat. PinkPantheress)
  5. 5. B2B
  6. 6. She Is My Drug
  7. 7. Girlie-Pop!
  8. 8. S.M.O.
  9. 9. Fineshyt
  10. 10. Dove Cameron
  11. 11. Dream Scenario (feat. Charlie Wilson)
  12. 12. 100DRUM (feat. Zacari)
  13. 13. Free The Youth

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