laut.de-Kritik
Ein Echo aus glorreicher Vergangenheit.
Review von Gil BielerWake up! Sieben Jahre nach "Dictator" holt Daron Malakian sein On-and-Off-Projekt Scars On Broadway wieder aus dem Dornröschenschlaf. "Addicted To The Violence" heißt das neue Album, auf dem der 50-Jährige wiederum den Großteil der Arbeit stemmt: Gitarre und Gesang sind ohnehin sein Metier, dazu hat er die meisten Songs allein komponiert und wirkt auch als Produzent. Dann sind da noch einige Bassspuren, und die zweite Gesangsstimme übernimmt der Chef auch gleich selbst. Dieser One-Man-Approach ist die wohl natürliche Gegenreaktion auf die verkomplizierten Verhältnisse in seiner Hauptband.
Schon kommen wir auf System Of A Down zu sprechen. Das muss sein, immerhin pflanzt Malakian das Album mitten in deren langen Schatten hinein. Der Kalifornier lässt keinerlei Lust darauf erkennen, musikalisch umzusatteln: Wer mit seinem bisherigen Schaffen vertraut ist, wird sich auch hier direkt zuhause fühlen. Und das muss nicht schlecht sein: Malakian hat zur Genüge bewiesen, dass er schmissige Gitarrenriffs und eingängige Gesangmelodien schreiben, Metal, Garagenrock und osteuropäische Folkloreklänge zu einem irren Mix verschmelzen kann.
Das Album klingt über weite Strecken so, als wäre die Zeit 2005 mit dem Doppelschlag "Mezmerize"/"Hypnotize" stehengeblieben. Im eröffnenden "Killing Spree" trägt ein zackiges Riff die Strophen, während Malakian in seiner typisch überdrehten Künstlerpersona die Gewaltfixierung der 'Jugend von heute' beklagt. Gelegentliche Blastbeat-Ausbrüche und Tempowechsel gibt es obendrauf, um das Ganze fresh zu halten. Toller Einstieg, doch ...
... ein Geständnis: So sehr ich es auch versucht habe, es ist mir schlichtweg unmöglich, diese Songs für sich alleinstehend zu bewerten. Stets meldet sich da eine innere Stimme, die unablässig Vergleiche anstellt: "Wie würde das wohl mit Beteiligung der anderen System-Mitglieder klingen? ", nörgelt sie. Uchgh. Als würde sich jemand nach 20 Jahren Pause ernsthaft ein neues Album herbeisehnen. Und als wären auf "Addicted To The Violence" nur Demos versammelt, die noch auf den Input von Serj, Shavo und John warteten.
Natürlich ist das unfair gegenüber dem Scars-Projekt, aber aufgrund der stilistischen Überschneidungen auch schlicht unvermeidbar. Kann denn ein guter Song nicht einfach ein guter Song sein, raunze ich die Stimme genervt an und wende mich wieder dem Album zu. "Satan Hussein" ist als nächstes dran, legt angriffig los und fährt später einen verspielten Beat und Stop-and-go-Riffs auf. Die Hauptattraktion ist aber der mal theatralische, dann alberne Gesang von Malakian. Dass er sich ein Duett mit sich selbst liefert, ruft natürlich wieder diese Stimme auf den Plan:"Welche Parts hätte wohl Serj übernommen?"
Besonders interessant wird das Album immer dann, wenn die Band für einmal etwas Unerwartetes einbringt. Auf dem mitreißenden "Done Me Wrong" versteigt sich der für Keyboards zuständige Orbel Babayan etwa in ein ausuferndes, superquirliges Solo. Ganz nebenbei zerdeppert Drummer Roman Lomtadze mit seinen wuchtigen Toms-Wirbeln so einige Gehirnzellen. Daron hat sich wirklich talentierte Kollegen zur Seite geholt.
Auch das entspannte, melodiöse "You Destroy You" entfernt sich etwas weiter vom Bewährten und klingt, als würde eine Gruppe kalifornischer Surfer in einer griechischen Taverne den Abend ausklingen lassen.
Doch die Déjà-vus überwiegen klar. "Your Lives Burn" klingt mit seinem Schweinegalopp wie die Fortsetzung zu "Kill Rock'n'Roll» vom "Hypnotize"-Album ...
("Da wird ja sogar von einem 'rabbit' gesungen, das kann doch kein Zufall sein!", ereifert sich die Stimme)
... und das zwischen hyperaktiv und relaxed springende "Imposter" kommt einem ebenso wohlig vertraut vor. Ganz so viel Serotonin wie seinerzeit bei "BYOB" wird aber nicht mehr ausgeschüttet. "Watch That Girl" klingt ebenfalls wie Ausschussware einer gewissen anderen Kapelle.
Stark gerät dafür das langsamere, ruhig arrangierte "The Shame Game". Es ist die erste Nummer, die das Tempo rausnimmt und dem Albumfluss eine wohltuende Abwechslung spendiert.
("Klingt wie der lange verzögerte Nachhall von 'Lost In Hollywood', oder?").
Der Titeltrack und phasenweise auch "Watch That Girl" nehmen diese Klangfarbe gegen Schluss des Albums wieder auf. Generell unterstreichen diese Songs, dass Malakian sich genauso auf ruhigere Arrangements versteht und eine Stimmung dem Song zuliebe auch mal durchzieht – es muss nicht immer Hü-und-Hott sein.
Doch mit "Addicted To The Violence" kauft sich die Hörerschaft nicht nur die Stärken des Tausendsassas, sondern auch seine Schwächen. Und die sind vorab lyrischer Natur. Beweismittel A: "Satan Hussein". Der Track kommt leider bemüht quirky daher. Malakians Lyrics waren immer wieder mal dadaistisch-juvenil, doch wenn ("anders als bei System!") ein politisch aufgeladenes Gegengewicht fehlt, leidet die Gesamtwirkung. In diesem Song mühen sich Wortfolgen wie 'Quaaludes, Vicodin, Chinese Cups and Satana' recht rasch ab.
Selbst in ernsthafteren Songs setzt Malakian keine lyrischen Glanzlichter, zumindest bleiben kaum nennenswerte Passagen im Gedächtnis hängen. Dasselbe Schicksal erleiden einige der Songs.
"Addicted To The Violence" ist wahrlich kein mieses Album. Definitiv nicht das schlechteste von Scars On Broadway. Der Longplayer dürfte eine Wohltat für all jene darstellen, die zweimal wöchentlich von neuem SOAD-Material träumen. Andere dürften das Album rasch zur Seite legen.
("... und stattdessen wieder einmal das Original hören, jaja.")
Zu sehr klingt vieles nach Selbstzitat, einem Echo aus der glorreichen Vergangenheit. Die lastet halt denkbar schwer auf allen System-Folgeprojekten. Umso mehr, je weniger stilistische Distanz dazwischenliegt.
1 Kommentar mit einer Antwort
"...osteuropäische Folkloreklänge" ... Ist das euer ernst ? Seit wann gehört Armenien und die gegend zu Osteuropa ? Westasien nennt sich das Gebiet.
Hauptsache Italien.