laut.de-Biographie
Les Rita Mitsouko
Die Wege von Catherine Ringer und Fredéric Chichin kreuzen sich erstmals im Frühjahr 1979 bei einer Musikrevue in Paris. Bis zu diesem Zeitpunkt verlaufen ihre Biographien ziemlich unterschiedlich. Die 1957 geborene Catherine, aufgewachsen im Pariser Vorort Suresnes, ist Tochter zweier Künstler und tritt bereits früh in deren Fußstapfen: mit acht als Kindermannequin für Modezeitschriften und im Teenageralter als Komödiantin, Sängerin und Tänzerin. Außerdem spielt sie in einigen Theaterstücken von Brecht mit und leiht ihre Stimme diversen Zeichentrickfilmen.
Fred Chichin, Jahrgang 1954, stammt aus Vichy in der Auvergne. Sein Vater ist Anhänger der Nouvelle Vague-Bewegung und Gründer der Zeitschrift "Mirroir du cinéma". Begeistert schleppt er Fred zu sämtlichen Vorpremieren mit, doch der Sohn interessiert sich mehr für alte Western. Zudem fesseln ihn die Beatles, die Stones und später Jimi Hendrix. Mit 16 verlässt er die Schule und trampt singend durch Amsterdam, London und Marokko. Erste Banderfahrungen sammelt er in den Bands Taxi Girl (mit Mirwais), Fassbinder und Gazoline.
Kurz nach dem Absitzen einer längeren Gefängnisstrafe wegen Drogenbesitzes trifft er auf Catherine. Die beiden mögen sich auf Anhieb, wagen erste Kompositionsversuche und entscheiden sich für den Namen Rita Mitsouko. Rita zollt angeblich Rita Hayworth Tribut, der großen Hollywood-Actrice, die in den 50ern vor allem als Tänzerin eine neue Karriere erlebt. Mitsouko (japanisch: mystisch) ist ein Parfumname. Das Duo tritt Ende 1980 u.a. im Pariser Punkschuppen Gibus erstmals auf.
1982 ergattern die beiden einen Vertrag bei Virgin, es erscheinen einige Singles, doch erst die aus dem selbstbetitelten Debütalbum ausgekoppelte zweite Single "Marcia Baila" sollte 1985 zum Sommerhit werden. Die Platte entsteht in der deutschen Pampa mit Produzent und Klangkünstler Conny Plank (Neu!, Krupps, Eurythmics). Mit ihrer kruden Mischung aus verspieltem Synthesizer-Pop mit Gitarreneinschlag und der durchdringenden Stimme Catherines werden sie in Frankreich zur Avantgarde-Kultband und Deutschland sollte schon bald ihr zweitgrößter Markt werden.
Vor allem der Videoclip zu "Marcia Baila" sorgt mit der Kostümierung von Gaultier und Mugler für Aufsehen. Das Outfit der Kunstinteressierten wechselt auch live von Show zu Show. Die Gruppe erntet europaweite Reaktionen, tritt im Vorprogramm der Smiths auf und verweigert konsequent die Verwendung ihrer Songs für die Werbung. Ritas zweites Album wird von Tony Visconti (Bowie, T.Rex) produziert, den das schrille Duo ebenfalls begeistert: "Diese Franzosen haben das Zeug, ihren englischen Kollegen das Wasser abzugraben." Mit den Singles "Andy" und "C'est comme ca" prescht das Duo auch in den Staaten in die Hitlisten und spielt einige Abende im New Yorker Ritz.
Dort treffen sie auch ihre Idole von den Sparks. Das nicht minder ungewöhnliche Brüderpaar schreibt Rita Mitsouko den Hit "Singing In The Shower" auf den Leib, der 1988 erscheint. Für den in London gedrehten Videoclip engagiert man Regisseur Tim Pope (The Cure). Geplante Kooperationen für das Album "Marc & Robert" mit Boy George und Michael Hutchence scheitern. Dafür hält sich hartnäckig das Gerücht, dass die Scheibe nach Rita Mitsoukos Idolen Robert Smith und Marc Almond benannt ist.
Nach einer Tour durch Amerika und Stationen in Bombay und Moskau zieht sich das Duo 1988 zurück. Für viele Fans und Musikkritiker ist damit die innovativste Phase der Band passé. 1990 erscheint ein Remix-Album und auf "Système D", dem Ergebnis eines über Jahre angedachten Konzepts, ist ein Gastauftritt von Iggy Pop enthalten. Noch einmal schlagen die Wellen höher, als der Clip zu "Y'a d'la haine" von MTV zum Video des Jahres 1994 gewählt wird. Auch zum Kultfilm "Die Liebenden von Pont Neuf" steuern sie den Titelsong bei.
1996 folgt das Live-Album "Acoustique", die Aufnahme einer Nacht im Pariser Opus Café. Auch privat ist das Duo ein Paar und genießt das zurückgezogene Leben mit drei Kindern. Dennoch erscheint im Jahr 2000 ein neues Rita Mitsouko-Studioalbum, das keine Hinwendung auf moderne Elekronikklänge aufweist, sondern sich mit Anleihen aus 70er Disco, 80er Pop und französischen Chansons wieder sämtlichen Kategorisierungen entzieht. Auf "Cool Frénésie" singt erstmals auch der Pariser Punkrock-Veteran Jean Neplin einige Zeilen mit Catherine ("Dis-Moi Des Mots").
Neplin spielte um 1976 mit Fred in der Formation Fassbinder. Die Songs "Alors C'est Quoi" und "Jam" schreibt das Duo gemeinsam mit Youth von Killing Joke. Dem Album folgt eine ausgedehnte Frankreich-Tournee, die sich auf die Schweiz, Belgien und Kanada ausweitet. Von Jean William Thoury erscheint das Buch "Les Rita Mitsouko, c'est (toujours) comme ça".
Nach einer DVD-Veröffentlichung des Rita-Kurzauftritts während eines Johnny Hallyday-Konzerts unter dem Eiffelturm, erscheint im September 2002 mit "La Femme Trombone" ein weiteres Studioalbum, das wiederum alle Stärken des Duos bündelt, ohne Vergangenes zu wiederholen. Eine große Ehre wird Ringer und Chichin 2003 zuteil: das renommierte 'Orchestre Lamoureux' tritt mit dem Angebot auf sie zu, gemeinsam ein Live-Album aufzunehmen. Das 1881 gegründete Orchester ist aufgrund von Kollaborationen mit Künstlern wie Claude Debussy und Maurice Ravel ("Bolero") längst französisches Kulturerbe.
Mit dem Titel "En Concert Avec L'Orchestre Lamoureux" liegt das Ergebnis dieser ungewöhnlichen Zusammenarbeit im März 2004 in den Läden. Den Musikern bereitete die Aktion offensichtlich derart Freude, dass am 14. und 15. April 2004 zwei weitere Konzerte auf den Bühnen des Cirque d'Hiver, direkt an den Pariser Champs-Elyssées, angesetzt werden. 2006 schreiben sie die Musik für "Noces de l'Enfant-Roi", eine Musical-Komödie von Alfredo Arias.
Im Mai 2007 endet die lange Ruhe um das Duo mit der Veröffentlichung eines weiteren Studioalbums. In Deutschland hat sich derweil ein Labelwechsel vollzogen. Der neuen Plattenfirma Warner gelingt es darüberhinaus, die Band endlich auch wieder für Livetermine zu engagieren. Die Band absolviert Shows im Berliner Postbahnhof und im Kölner Prime Club. Das neue Album heißt "Variéty" und beinhaltet seit langem mal wieder eine Kooperation mit einem internationalen Star: Für den Song "Terminal Beauty" konnte das Duo System Of A Down-Frontmann Serj Tankian als Duettpartner gewinnen.
Am 28. November 2007 vermeldet das französische Label Because den Tod von Fred Chichin. Er stirbt im Alter von 53 Jahren in einem Pariser Spital an einer aggressiven Krebserkrankung, die erst zwei Monate zuvor diagnostiziert wurde (seit 2002 litt er zudem an Hepatitis C). Les Rita Mitsouko sind zu der Zeit in Europa live unterwegs. Immer wieder müssen in Folge der Erkrankung Konzerte gecancelt werden, so in München, Zürich oder Frankfurt. Zuletzt bestreitet Catherine die Gigs im Londoner Scala und im Pariser L'Olympia auf ausdrücklichen Wunsch ihres Partners alleine.
Catherine trauert, ohne sich zurückzuziehen. Schon 2008 geht sie auf die "Catherine Ringer sings Les Rita Mitsouko and more" benannte Tournee und ehrt damit die gemeinsame künstlerische Zeit mit ihrem Partner. Ein erfolgreiches Konzept, das sie kurz vor Eintreten der Pandemie im Jahr 2019 wiederholt. Bereits 2018 erscheint mit "Chante les Rita Mitsouko" der Auftritt aus dem Pariser La Cigale als Livealbum. In Frankreich bleibt Ringer eine anerkannte Künstlerin, die auch Soloalben veröffentlicht. Live bedient mittlerweile ihr Sohn Raoul die Gitarre, der das Erbe des Vaters weiterträgt.
1 Kommentar
geniales französische duo... fred chinchin..grandioser komponist und gitarrist..der leider viel zu früh gestorben ist, und catherine ringer..die eine grandiose sängerin ist...