16. November 2022

"Ich bin eine Heuchlerin, genau wie alle anderen"

Interview geführt von

Morgen startet Stella Donnellys Deutschland-Tournee zum zweiten Album "Flood" in Köln. Wir trafen die australische Singer-Songwriterin im Sommer auf dem Maifeld-Derby.

Mannheim, vor der Parcours d'Amour-Bühne. Im Hintergrund spielt Tristan Brusch in der Spätnachmittagssonne für die Maifeld-Fans. Stella Donnelly hat noch zwei Stunden Zeit bis zu ihrem Auftritt. Wir sprechen über die besonderen Umstände ihres neuen Albums "Flood" und über australische Rockmusik. Da kommt man am Thema Courtney Barnett natürlich nicht vorbei.

Hallo Stella, wie geht es dir?

Mir geht es gut. Ich freue mich sehr, hier zu sein. Generell außerhalb von Australien zu sein und wieder Shows zu spielen. Ich freue mich schon sehr auf den Auftritt heute Abend.

Du bist jetzt schon seit ein paar Wochen wieder auf Tour. Wie fühlt sich das nach der Pandemie an, jede Nacht in einer neuen Stadt zu sein?

Du musst deine Ausdauer wieder aufbauen. Ich glaube wir haben uns alle daran gewöhnt, zuhause zu sein und nicht viel zu tun. Das war schon eine Herausforderung. Auf der anderen Seite waren die Shows fantastisch. Das Publikum war immer dankbar, dass du gekommen bist. Und du selbst bist dankbar, dass die Leute gekommen sind. Niemand nimmt es mehr als selbstverständlich hin. Das ist der große Unterschied im Vergleich zu den Shows vor Corona.

Spielst du schon deine neuen Songs?

Ich spiele schon ein paar von ihnen. Wenn das Album rauskommt, werde ich auf jeden Fall mehr spielen. Bisher sind es nur zwei, aber die funktionieren schon ganz gut.

Das neue Album "Flood" ist ja ziemlich intim. Man spürt auf jeden Fall, dass die Songs während des Lockdowns aufgenommen wurden. Wie verändern sie sich für dich, wenn du sie vor Leuten spielst?

Es ist eine sehr interessante Erfahrung. Ich habe sie in so einem intimen Raum geschrieben und dabei auch ein bisschen vergessen, dass andere Leute sie hören werden. Deshalb ist es jetzt sehr beängstigend, diese Songs in die Welt hinauszulassen. Es war eine kleine Reise herauszufinden, wie wir sie live spielen können. Sie sind jetzt auf jeden Fall ein bisschen schneller und haben mehr Bounce.

Glaubst du, dass das Album anders klingen würde, wäre es in einer normalen Zeit entstanden?

Es wäre ein ganz anderes Album. Ich glaube nicht, dass ich überhaupt ein Album geschrieben hätte. Der Lockdown hat mir die Chance gegeben, mich auszuruhen, meinen Sound herauszufinden und mehr Klavier zu spielen. Das habe ich erst im Lockdown wieder gelernt und die Zeit gefunden, mehr Klavier zu spielen. Ansonsten hätte ich wahrscheinlich wieder ein Gitarrenalbum geschrieben.

Hat sich durch den Fokus auf das Klavier auch dein Songwriting-Ansatz verändert?

Auf jeden Fall. Ich spiele auf dem Klavier immer die Gesangsmelodie, während ich auf der Gitarre einfach Akkorde spiele und den Gesang drauflege. Auf "Flood" ist der Gesang viel mehr in die Songs eingewoben. Ich baue den Song mehr um die Gesangsmelodie herum. Es macht Spaß, mit solchen Sachen zu experimentieren.

In den Liners Notes sprichst du auch über die "freewheeling experience" bei den Aufnahmen, also dass du währenddessen immer wieder die Instrumente gewechselt hast. Wäre diese Entwicklung auch ohne Corona eingetreten?

Das glaube ich nicht. Aber so hatte ich eben unzählige Stunden in Melbourne vor mir, wo ich zu der Zeit gewohnt habe, im längsten Lockdown der Welt. Das war wirklich wie in meiner Kindheit: Ich saß den ganzen Tag in meinem Zimmer und spielte Gitarre und Klavier. So habe ich endlich wieder dieses Maß an Hingabe zur Musik gefunden. Wäre die Welt normal gewesen, hätte ich wahrscheinlich viel mehr Druck verspürt, rauszugehen, meine Freund*innen zu treffen und auf Tour zu gehen.

Hast du im Lockdown irgendwelche seltsamen Hobbies entwickelt, außer Klavierspielen

Vögel beobachten. (lacht) Jedes Mal wenn ich die Chance hatte, rauszugehen, hab ich mein Fernglas mitgenommen, im Wald verschiedene Vögel beobachtet und ihren Liedern zugehört. Das war wunderbar. In Deutschland hab ich auch schon ein paar schöne Vögel gesehen.

Was ist dein Lieblingsvogel?

Ich hab einen Storch gesehen, das war schön. Aber ich hab noch nicht die Vögel gesehen, die ich gerne sehen würde. Ich muss dafür auf Bäume klettern.

Bekommst du auf Tournee denn auch Chancen, Vögel zu beobachten?

Jedes Mal nach dem Aufstehen gehe ich in den nächsten Park spazieren und gucke nach Vögeln. Das ist eine gute Weise, den Tag zu starten.

Hörst du dabei Musik?

Ich mag dabei eigentlich Stille. Wenn du viel auf Tour bist und ständig fliegst, hast du überall Lärm. Außerdem wollte ich meine eigene Stimme nicht mehr hören, ich habe kaum noch Gitarre gespielt. Ganz langsam habe ich angefangen, alte Alben wieder zu hören, ein bisschen Klassik. Es war beinahe so, als müsste ich von Neuem lernen, Musik zu mögen.

Es war eine seltsame Zeit für uns alle.

Ja. Musik war mein Beruf und plötzlich wusste ich nicht, ob ich noch einen Beruf haben würde. Ich wollte einfach für eine Weile mit allem aufhören, runterfahren. Ich habe im Lockdown gelernt, Schlagzeug zu spielen, auch wenn ich überhaupt nicht gut bin. Ich saß mit Kopfhörern da, hab zu Mac DeMarco, David Bowie und den langsamen Songs von Solange geübt.

"'Old Man' dreht sich nicht um alle alten Männer"

Hat dein wiedergefundenes Interesse an Klassik auch dein Songwriting beeinflusst?

Wahrscheinlich nicht. Ich wollte einfach nur reine Musik hören. Das Klavier ist eben das reinste Instrument, das ich spielen kann. Harfe kann ich leider nicht. Eine E-Gitarre einzustecken ist nicht so natürlich, während das Klavier in meiner Küche steht und immer zur Verfügung ist. Es hat einfach Sinn ergeben.

Für mich waren deine Songs immer schon politisch, dazu ist mir ein passendes Zitat aus dem NME hängengeblieben: Du würdest nicht "preachy" klingen. Das ist meiner Meinung nach eine schwierige Balance.

Ich glaube das liegt an einem Maß an Selbstironie, unter dem Motto: "Wer bin ich, was zu sagen?" Ich bin eine Heuchlerin, genau wie alle anderen auch. Ich glaube, dass es wirklich wichtig ist, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen. Ich schreibe häufig von der Beziehung zwischen zwei Menschen und häufig bin ich die Böse. Ich will einfach nur meine Ideen und Gedanken durch clevere oder nicht so clevere kleine Texte ausdrücken. Predigen will ich auf keinen Fall, das passt nicht zu mir.

Nochmal zurück zum Thema Beruf: Dein erstes Album "Beware Of The Dogs" kam 2019 raus und war sofort erfolgreich. Wie ist das, wenn man gefühlt vor dem Durchbruch steht und dann verschließt sich die Welt?

Es war schwieriger für die Menschen um mich herum. Freund*innen von mir sollten beim "South By Southwest"-Festival in Texas auftreten, das ist oft ein entscheidender Moment in einer Karriere, ein Katapult. Ich hatte diesen Moment schon. Mein Partner Marcel, der Schlagzeug bei den Rolling Blackouts Coastal Fever spielt, brachte mit seiner Band ein Album kurz nach Beginn der Pandemie raus. Das war hart für sie. Sie hatten da so viel Arbeit und Geld reingesteckt und konnten nicht auf Tour gehen. Ich hab mich mehr auf die Situationen meiner Freunde und Verwandten konzentriert und aufgehört, über meine Musik nachzudenken. Ich brauchte eine Pause. Danach hatte ich keinen Druck von wegen "schwieriges zweites Album".

Es gibt ja dieses alte Sprichwort "Du hast dein ganzes Leben Zeit für dein Debütalbum und ein Jahr für das zweite". Wenigstens konntest du das überspringen.

Genau. Ich war in einer ganz anderen Welt für mein zweites Album. In der Hinsicht hat Corona meiner Musik auf jeden Fall geholfen.

Hast du das Gefühl, dass es eine Zeile gibt, die "Flood" perfekt zusammenfasst?

(überlegt) Das ist eine schwierige Frage. Das Album heißt ja "Flood" und fühlt sich auf jeden Fall an wie dieses extreme Ausschütten meines jüngeren Ichs. Es fühlt sich so an, als würde mein Kindheits-Ich erwachsen werden. Wie ein Throwback in die Zeit, in der ich als Kind Klavier gespielt habe. Ich verarbeite Sachen, die ich als Kind erlebt habe. Es ist aber schwierig das von außen zu beschreiben, weil das Werk selbst ja eine Beschreibung meiner Selbst ist. Darüber zu reden ist immer schwierig.

Du arbeitest mit dem "Patricia Giles Centre For Non-Violence" zusammen. Wie ist das zustande gekommen?

Sie haben mich gefragt, ob ich nicht eine Botschafterin für sie sein möchte, um T-Shirts für einen guten Zweck zu verkaufen. Das Zentrum liegt in der Nähe des Ortes, in dem ich aufgewachsen bin, also war es "very close to home". Während Corona ist häusliche Gewalt in West-Australien um das Dreifache angestiegen und die Wohnkrise wurde so schlimm, dass dieses ganze System unter wahnsinnigem Druck stand. Die Leute waren verzweifelt und wollten die Menschen darauf aufmerksam machen, was die frühen Anzeichen für Gewalt sind. Man braucht nicht nur die Antwort am Ende, also diese Zentren, sondern Prävention. Darum ging es bei diesen T-Shirts. Wir wollen Aufmerksamkeit schaffen und Dialoge anstoßen, wie Gewalt aussieht und wie sie sich von Kommentaren ausgehend aufbaut.

Robert Christgau hat dein Debütalbum eine "Enzyklopädie männlicher Arschlöcher" genannt.

(lacht) Da sollte er die Frauen auch mit reinnehmen. Ich glaube, es ist wichtig, meine Plattform zu nutzen, um eine Botschaft rüberzubringen. Ich will meine Gelegenheit und die Zeit, die ich dafür habe, nicht verschwenden. Vielleicht kann ich Leuten ja etwas beibringen oder ihnen aufzeigen, dass sie nicht alleine sind. Außerdem habe ich Spaß daran, ein bisschen "cheeky" zu sein und Dinge anzustoßen. Ich stell mir gerne die Gesichter der Leute vor, wenn ich gewisse Dinge sage und erfreue mich daran.

Siehst du manchmal Gesichter von Leuten im Publikum, die offensichtlich von deinen Songs angesprochen werden?

Nee, die wollen das ja nicht zeigen. "Old Man" dreht sich nicht um alle alten Männer. Ich habe ja auch einen Vater und Onkel. Aber wenn du das Gefühl bekommst, dass du angesprochen bist, dann ist es eben so.

An dieser Stelle driftet das Gespräch kurz ab, während wir ein Segelflugzeug beobachten, das gerade auf dem nebenan liegenden Segelflughafen landet.

Ich habe mich immer gefragt wie sie landen.

Ich stelle mir immer vor, dass sie gar nicht landen.

Genau, die bleiben einfach für immer in der Luft. Ah, doch nicht, der landet ja ganz schön schnell. Sorry, ich hab mir gerade vorgestellt in diesem Flugzeug zu sitzen.

Das passt ja gut zu deinem Interesse an Vögeln.

Genau!

Träumst du davon, fliegen zu können?

Nein, überhaupt nicht. Ich hasse Fliegen und Flugzeuge. Es wird besser, aber ich habe schon ziemliche Angst davor. Aber je mehr ich darüber lerne, desto besser wird es. Es ist diese Furcht vor dem Unbekannten. Außerdem musst du in Australien immer sehr weit fliegen, das wird einfach zu viel. Dann werde ich müde und nervös und ich denke: "Oh Gott, wir fallen vom Himmel herunter." Solche Sachen.

"Australien hat seinen eigenen Sound"

Dieses Wochenende sind ja ganz schön viele australische Bands hier in Mannheim. Du, Rolling Blackouts Coastal Fever, Amyl And The Sniffers und King Gizzard And The Lizzard Wizzard. Darüberhinaus gibt es noch so viel mehr gute Musik aus Australien. Warum produziert eurer Kontinent so viel gute Musik?

Ich habe wirklich keine Ahnung, aber ich stimme dir zu. Courtney Barnett zum Beispiel hat so etwas Besonderes. Ich kann gar nicht beschreiben, warum das so ist. Vielleicht liegt es an der Isolation und dass wir so weit entfernt von allem sind. Wir können einfach unser Ding machen, ohne von anderen beeinflusst zu werden. Australien hat einfach seinen eigenen Sound. Du hörst auf jeden Fall die Go-Betweens in Rolling Blackouts C.F. raus, wobei ich keine Ahnung habe, wo Amyl And The Sniffers ihren Sound herbekommen, die sind so großartig. Ich bin sehr glücklich, Teil dieser Szene zu sein. Es gibt immer ein Konzert, auf das man in Australien gehen kann.

Ich finde ja, dass deine Songs ziemliche Ähnlichkeiten zu Courtney Barnett haben, was die Detailfülle angeht. Hat sie dich beeinflusst?

Ja, sie hat mir die Erlaubnis gegeben, ehrlich zu sein. Vor ihr habe ich immer versucht, über metaphysische Konzepte zu schreiben. Ich hatte immer das Gefühl, etwas vorzutäuschen. Ich war jung. Als ich zum ersten Mal "History Eraser" gehört habe, hätte ich fast mein Auto zu Schrott gefahren. Als die Zeile "I masturbated to the song you wrote" kam, bin ich sofort rechts rangefahren und habe die Musik lauter gedreht. (Die angesprochene Zeile ist aus dem Song "Lance Jr.", aber dennoch absolut fantastisch, Anm. d. Red.) Ich hatte noch nie eine Frau gehört, die so ehrlich über ihr alltägliches Leben singt. Das war total befreiend und hat im Bezug auf mein Schreiben eine ganz neue Welt für mich eröffnet. Ein weiterer Einfluss waren die Gedichte von Leonard Cohen. Er war immer sehr häuslich. Auch Billy Bragg hat das so gemacht. Oder Paul Kelly aus Australien. Es gibt ein paar, aber Courtney Barnett war die erste weibliche Künstlerin.

Weibliche Sängerinnen wurden ja auch lange als Gimmick angesehen, die explizit über weibliche Sachen sangen. Courtney Barnett schreibt aber über sehr universelle Erfahrungen.

Auf jeden Fall, 100 Prozent. Es fühlt sich einfach nach einem Menschen an, der einen Song schreibt. Das ist so cool.

Dann noch eine letzte Frage: Du hast ja mit den Rolling Blackouts C.F. ein Cover von "Deeper Water" in einer riesigen Arena aufgenommen. Wie hat sich das angefühlt und wie kam es dazu?

Wir wollten australische Musiker*innen im Lockdown unterstützen. Fernsehsender haben australische Künstler*innen bezahlt, an ungewöhnlichen Orten etwas aufzunehmen. Andere waren in großen Bibliotheken oder vor dem Sydney Opera House - alles Orte, die wegen Corona leer waren. Es ging darum, Musik in das Leben der Menschen zu bringen. Es war eine sehr besondere Sache, das zu machen und etwas spooky.

Stella Donnelly spielt morgen im Kölner Artheater, am 24.11. im Badehaus Berlin und am 25.11. gemeinsam mit Julia Jacklin im Strom München. Der geplante Auftritt im Molotow Hamburg am 21.11. wurde abgesagt.

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