laut.de-Biographie
Tied & Tickled Trio
Weilheim, irgendwann Anfang der 80er: In der örtlichen Musikschul-Bigband der oberbayrischen 20.000-Seelen-Stadt treffen Micha und Markus Acher auf Johannes Enders. Gemeinsam frickeln sie ihre ersten musikalischen Gehversuche zu Fostex-4-Spur-Aufnahmen zusammen. Aber Johannes hat einen Traum. Er will ein echter Jazzer werden. Deshalb verlässt er nach der Schule das beschauliche Städtchen um im New Yorker Moloch seine Saxophonstudien bei Lehrern wie Lee Konitz und Branford Marsalis zu betreiben. Die Achers gründen derweil The Notwist und revolutionieren so nebenbei das deutsche Verständnis von Popmusik.
Mitte der Neunziger kehrt Johannes aus den Staaten zurück, um dem akademischen Jazz die kalte Schulter zu zeigen. Mit seinen Sandkastenfreunden macht er sich daran, das Tied & Tickled Trio ins Leben zu rufen. Gemeinsam mit dem Computer-Nerd Andreas Gerth, dem Perkussionisten Caspar Brandner und dem Bassklarinettisten Ulrich Wangenheim wagen sich die Eigenbrödler auf die Äcker des nichtakademischen Jazz um "alles zu machen, was verboten ist, wenn man eine Jazzprüfung auf irgendeinem europäischen Konservatorium bestehen will."
Das unbetitelte Debütalbum erscheint 1998 und überzeugt auf Anhieb mit seiner Mischung aus Blue Note-Jazz und Elektronik-Experimenten. Es ist die Zeit, in der auch Nils Petter Molvaer mit "Khmer" an die Öffentlichkeit geht und damit den europäischen Jazz zu neuen Höhen führt. Auftritte auf Popbühnen, die weit aufgebrochenen Hörgewohnheiten des Publikums und ein unkonventionelles Verständnis von melodiösem, organischem Jazz führen dazu, dass der Jazz massentauglich wird. Dazu tragen auch das Cinematic Orchestra, Frederic Galliano und das Tied & Tickled Trio entscheidend bei.
Der zweite Longplayer "EA 1 / EA 2" erscheint 1999 und sorgt in Szenekreisen für verwirrte Aufregung. 2001 folgen ein Remixalbum und die "Electric Avenue Tapes". 2003 schlägt das inzwischen aus 13 Leuten bestehende Trio abermals zu und erntet für "Observing Systems" euphorische Kritiken und begeisterte Hörerscharen. Einen Konzertmitschnitt aus der Münchener Registratur vom 20. April 2004 veröffentlichen die Jungs auf dem zwei Jahre später erscheinenden "A.R.C.". Darauf gibt es neben dem Film nur ein einziges Stück von knapp 20 Minuten Dauer. Das genügt den Weilheimern, um ihren komplexen Klangkosmos voll auszuspielen. Verschachtelte Rhythmen, fragile Songbruchstücke und stringente Bläser fühlen sich im elektronischen Dub-Jazz pudelwohl.
Für die folgende Veröffentlichung, "Aelita", verzichtet das T&TT erstmals gänzlich auf das bewährte Gebläse und die von allen Seiten geschätzte Jazz-Ästhetik. Dass diese Opfer massive Auswirkungen auf die Musik haben, bleibt unabdingbar, und so begnügt sich die siebte Veröffentlichung mit ambienten Klanglandschaften, in denen die Spannungsbögen sich eng entlang der Flatline bewegen.
Aelita, die sagenumwobene Mars-Königin aus dem gleichnamigen Roman von Alexej Tolstoi, dient als Namensgeberin und beehrt die Hörenden in gleich drei Varianten. Da auch die anderen Titel Bezüge zu einem kosmischem Futurismus herstellen, liefert das T&TT auf "Aelita" den Soundtrack für die Tiefschlafphase auf der Reise zum Mars.
1 Kommentar
Warum genau hat man eigentlich deren 2011er Album hier ignoriert? Das war grandios!