laut.de-Biographie
Aitch
Quizfrage: Wie viele international bekannte und englischsprachige Künstler kennt ihr, deren erfolgreichster Song ein Feature auf dem Track eines deutschsprachigen Artists ist? So geschehen beim britischen Rapper Aitch, dessen Zusammenarbeit "Bamba" mit Luciano und BIA im Jahr 2022 nicht nur die Nummer eins der deutschen Charts erreicht, sondern auch zu einem der erfolgreichsten Deutschrap-Songs überhaupt zählt. Obwohl sich Aitch über mangelnde hochkarätige Feature-Gäste nicht beschweren kann: Künstler*innen wie Ashanti, AJ Tracey, Headie One, Anne-Marie, Ezhel und sogar Ed Sheeran waren bereits auf seinen Tracks zu hören. "Bamba" ist also keine Ausnahme, sondern bestätigt eher die Regel dieses Multiplatin-Rappers.
Im Gegensatz zu vielen seiner überregional bekannten Rap-Kolleg*innen in England stammt Aitch nicht aus London, sondern aus Manchester, wo er 1999 zur Welt kommt. Die Arbeiterstadt im Nordwesten Englands ist musikalisch eher für Bands wie Joy Division oder Oasis bekannt und weniger für eine florierende Hip-Hop-Szene. Seine Herkunft spiegelt sich zudem in einem breiten Akzent wieder, dem er auch seinen Namen verdankt: Aitch beruht auf der ausgeschriebenen Version des Anfangsbuchstabens seines bürgerlichen Namens Harrison Armstrong. Aitch macht als Kind irischer Eltern zunächst brav seinen Schulabschluss und geht anschließend ans College, das er aber schnell abbricht, um zunächst mit seinem Opa auf dem Bau zu arbeiten. Parallel beginnt er etwa mit 15 Jahren Musik zu machen. Ein Freestyle-Video, das Freunde ohne seine Zustimmung ins Netz stellen, erzeugt 2015 erste lokale Aufmerksamkeit auf YouTube. Nachdem er sieht, auf welches Interesse diese Videos stoßen, gibt er einem Kumpel die Erlaubnis, noch mehr Clips auf die Plattform hochzuladen.
Der Hustle zahlt sich aus, 2017 erscheint die erste EP "On Your Marks" über das Label Northern Quarterz und avanciert zum Untergrundklassiker, mit dem sich der Rapper endgültig in der britischen Szene einen Namen macht. Schon hier zeichnet sich eine erste musikalische Entwicklung ab: Aitch kümmert sich wenig um den in London vorherrschenden Grime und Drill, sondern liefert lässige Flows und lockere Beats, besonders auf dem poppigen "I'm Gone" mit Sängerin Lisa Murdoch, das sich zum größten Hit des Projekts entwickelt. Hinzu kommen einige Videos auf dem bekannten britischen Newcomer-Channel P110, wo er bereits Ende 2016 debütiert. Es folgen erste Auftritte auf der genredefinierenden Plattform GRM Daily, damals der wichtigste Tastemaker überhaupt im UK Rap. Der absolute Durchbruch gelingt ihm schließlich mit der Single "Straight Rhymez", der zwar noch nicht in den Hitparaden landet, aber bereits Silber einheimst. Zu dem Zeitpunkt ist er gerade 19 Jahre alt und von nun an Dauergast in den Charts.
Es folgt sein erster Entry "On The Way Home" mit Jaykae und Bowser Boss auf Position 73 als letzte Non-Album-Single, bevor er mit dem bouncy Clubhit "Taste (Make It Shake)" im Jahr 2019 nicht nur Platz zwei der Charts und Doppelplatin holt, sondern auch seine zweite EP ankündigt. Im Vergleich zum Debüt klingt Aitch auf "AitcH2O" vor allem professioneller und klarer strukturiert. Der Brite hat seinen ganz persönlichen Weg gefunden und kann ihn dank des neugewonnenen Erfolgs auch mit allen zur Verfügung stehenden Ressourcen im Hintergrund umsetzen. Neben dem Silber-Status für das ganze Projekt geht auch die Single "Buss Down" mit ZieZie Platin.
Doch nicht nur als Lead-Musiker, sondern auch als gern gesehener Feature-Gast und Garant für erfolgreiche Kollabos macht sich Aitch einen Namen. Die fast zeitgleich erscheinende Single "Strike A Pose" von Young T & Bugsey entwickelt sich ebenfalls zu einem viralen Hit und fährt Doppelplatin ein. Popstar Ed Sheeran holt ihn neben Stormzy und Jaykae auf eine Remix-Version seines Tracks "Take Me Back To London". Dazu erreicht er 2019 und 2020 Chartentrys und Verkaufsauszeichnungen als Feature auf Songs von Russ Millions & Tion Wayne, Stormzy, Bugzy Malone, ZieZie, D-Block Europe und Digdat.
Aitch befindet sich auf dem ersten Peak seiner Karriere und reift zumindest in seinem Heimatland zu einem unangefochtenen Star mit einem beispiellosen Run. Folgerichtig erhält er eine Nominierung in der Kategorie "Best New Artist" bei den Brit Awards 2020, sowie einen Global Award als "Rising Star" von den britischen Radiostationen. Die erste internationale Kollabo spart er sich dann für sein eigenes Projekt auf. Der amerikanische Hit-Produzent Tay Keith schustert einen effektiven Piano-Beat zum Song "Rain" mit AJ Tracey, der ebenfalls Doppelplatin geht und schon Anfang 2020 die nächste EP "Polaris" ankündigt.
Nach zwei Jahren mit durchgedrücktem Gaspedal schaltet Aitch 2021 einen Gang runter und geht endlich in den Album-Mode. Abgesehen von ein paar wenigen Loosies und einem Gastauftritt in der beliebten Comedy-Show "Never Mind The Buzzcocks" konzentriert er sich auf sein LP-Debüt "Close To Home", für das er einen Brit Award gewinnt. Die Promophase leitet er 2022 mit einer weiteren US-Kollabo ein: "Baby" mit der R'n'B-Legende Ashanti, hier als offizielles Feature gelistet, allerdings nur als Vocalsample aus ihrem Song "Rock Wit U" zu hören. Auch Ed Sheeran revanchiert sich und steuert die Hook zur Hip-Hop-Ballade "My G" bei.
Aitch behandelt hier erstmals die Beziehung zu seiner jüngeren Schwester Gracie, die mit dem Down-Syndom lebt. Auch in Interviews spricht er vom positiven Einfluss, den sie auf ihn habe. Sie mache ihn zu einem besseren Menschen und würde ihm ständig etwas Wichtiges über das Leben beibringen. Zum Beispiel sich selbst nicht zu ernst zu nehmen. Der Musiker präsentiert sich immer authentisch und selbstironisch. Aus diesem Grund setzt sich Aitch öffentlich für mehr Akzeptanz ein und will zeigen, dass ein schönes Leben auch mit dieser Diagnose möglich ist. Dafür besteigt er 2025 sogar den Kilimandscharo und sammelt 160.000 Euro für den guten Zweck.
Bis zum Nachfolger "4" vergehen drei Jahre, in denen sich Aitch wieder auf die Veröffentlichung von Singles und einer "Lost Files"-EP fokussiert. Darunter eine erneute Zusammenarbeit mit Luciano, die 2024 als EM-Song promotet wird, obwohl sie sich um ein klassisches Thema des Duos dreht: "Baddies". Dazu kommt ein Feature mit dem erfolgreichen türkischen Rapper Ezhel, sowie eine Kollabo mit Popstar Anne-Marie. So richtig warm für Album Nummer zwei macht sich Aitch erst mit "Raving In The Studio". Auf einem wilden Drum'n'Bass-Brett mit Gorillaz-Sample tobt er über die Drums. Darauf folgt ein Disstrack gegen Central Cee, der Aitch auf seinem Album "Can't Rush Greatness" einen Seitenhieb verpasst hatte. "A Guy Called?" wirft dem Londoner Künstler vor, er würde seine Texte nicht selbst schreiben und ein Influencer-Image transportieren. Außerdem wirft er ihm Rassismus vor. Central Cee scheint den Front eher sportlich zu nehmen und kommentiert unter Aitchs Post zum Song mit "fair enough", einem Lach-Emoji und einem Feuer-Emoji, was viel Platz für Interpretation bietet.
Beide Songs landen allerdings nicht auf seinem Zweitling "4", dessen Titel ein zeitgeistiger Beweis dafür ist, dass moderne Rapper*innen es nicht mehr so genau nehmen mit der Zählung und Bezeichnung ihrer Langspiel-Formate. Aitch bezieht sich hier auf seine großen Projekte "AitcH2O", "Polaris", "Close To Home" und eben "4". Außerdem spielt er auf seine Postleitzahl M40 an, womit er seine persönlichen und musikalischen Wurzeln widerspiegelt, denen er nach wie vor treu bleibt. Die Platte wirkt zwar weniger introspektiv als der Vorgänger, doch Aitch thematisiert nach wie vor die wichtigen Themen zwischen Jugend, Armut, Gewalt, aber auch Liebe und Emotionen. Er selbst beschreibt es als ehrlich, roh und befreiend.
Trotz oder gerade wegen der musikalischen und inhaltlichen Vielfalt: Die Platte landet nur auf Platz 7 der UK Charts und fliegt eine Woche später direkt wieder raus. Die großen Hits bleiben ebenfalls aus. Daran ändern auch hochkarätige Features wie Anne-Marie, Headie One oder AJ Tracey nichts. Aitch sollte das wenig stören, er arbeitet im Kopf vermutlich schon lange am nächsten Projekt.


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