10. September 2018
"Zocken ist auch schön"
Interview geführt von Dominik LippeMit der "Schlaftabletten, Rotwein"-Reihe schuf sich der ohnehin nicht als gehemmt geltende Alligatoah vor zwölf Jahren eine Plattform, auf der er frei von selbst aufgestellten Regeln unterschiedlichste Themen aus jeder erdenklichen Perspektive behandelt. Nach zwei goldveredelten Soloalben über Trailerpark beruft er sich nun mit dem fünften Teil erneut auf die Serie.
"Was ist, wenn wir nicht real sind, sondern nur die verschiedenen Persönlichkeiten von einem Wahnsinnigen?", lässt Lukas Strobel im Album-Trailer eine seiner mannigfachen Rollen entsetzt ausrufen. Seine Spielfreude spiegelt sich auch in den Texten des Albums wider, in denen er zum Teil bewusst Positionen einnimmt, die seiner eigenen Haltung widersprechen. Der Vorteil seines Einfühlungsvermögens liegt für Strobel auf der Hand: "Ich kann beide Seiten verstehen."
Mitte August mimte er im "endgültigen Interview" einen schlecht informierten, schnell gelangweilten und mitunter schlicht feindseligen Journalisten, der auf ein dennoch verständnisvolles Alter Ego des Musikers trifft: "Journalisten machen doch auch nur ihren Job." Zwei Wochen später strahlt Alligatoah im Rahmen eines Promotags zu "Schlaftabletten, Rotwein V" dieselbe ausgeglichene Ruhe aus. Im Phoner spricht er über seine Leidenschaft für das Reisen, die eigenen Widersprüche, die Wehleidigkeit in der Gesellschaft und sein künstlerisches Vermächtnis.
Im Verlauf der Jahre hast du immer wieder deine unterschiedlichen Fangruppen thematisiert, die sich, wie du es selbst einmal ausgedrückt hast, "bis auf den Tod hassen". Häufig ging es dabei auch darum, dass Anhänger der ersten Stunde deine kommerziellen Alben ablehnten. Welche Rolle spielte die Erwartungshaltung deiner frühen Fans bei der Fortsetzung der "Schlaftabletten, Rotwein"-Reihe?
Ich glaube, mit dieser Fortsetzung der "Schlaftabletten, Rotwein"-Reihe habe ich bei einigen Fans der ersten Stunde eine Erwartung geweckt, die definitiv enttäuscht wird. Das kann ich jetzt schon sagen, denn ich habe noch nie vorgehabt, irgendwo anzuknüpfen und dasselbe zu machen, was ich schon mal gemacht habe. Das war mir immer ein Gräuel und ich sage einfach mal, das wissen auch die echten Fans. Leute, die mich verstehen und mich länger verfolgen, wissen, dass ich nie wieder so klingen werde wie früher und auch nicht so klingen werde wie beim letzten Album, sondern dass ich immer neu klingen werde. Ich gehe jedes Mal neue Experimente ein und das ist eben auch auf "Schlaftabletten, Rotwein V" der Fall.
Warum dann überhaupt der Bezug zu der Reihe?
Naja, weil die Reihe für mich nicht für einen Sound, für eine Art zu rappen und Untergrund oder Mainstream steht. Es ist einfach nur meine Alben-Reihe, auf der ich nicht wie auf den anderen Alben mit einem roten Faden ein Thema behandele, sondern auf der ich in alle Richtungen schieße, sowohl ernste, schwere Themen als auch leichte, süffisante und alberne Themen vermische, mich einfach in alle Richtungen austoben kann und auch musikalisch neue Ufer erschließe.
Hast du denn den Eindruck, dass die Hörer mittlerweile ein bisschen toleranter geworden sind?
Ich habe vor allem den Eindruck, dass ich meine Hörerschaft mittlerweile gut ausgesiebt habe. Das war auch ein längerer Prozess, die Spreu vom Weizen zu trennen, aber das habe ich konsequent durchgezogen. Nach dem ersten großen Erfolg mit "Triebwerke" und "Willst Du", als auf den Konzerten viele Leute standen, die vielleicht nur den einen Song gehört haben, die Melodie ganz toll fanden und dann mitschunkeln wollten, habe ich die eben auf den Konzerten konsequent vergrault, indem ich dann einfach eine halbe Stunde lang blöde Witze über Kacke erzählt habe. Und dann sind die eben auch nicht mehr gekommen. Und das ist auch gut so. Deswegen sind die Leute, die jetzt kommen, die Alben hören, die Videos angucken und auf den Konzerten sind, halt irgendwie der harte Kern. Und dieser harte Kern ist immer noch verdammt groß und vielleicht sogar größer denn je. Ich habe das Gefühl, die verstehen das wesentlich besser und sind auch wesentlich mehr bereit, zuzuhören.
In "Alli-Alligatoah" reflektierst du ein bisschen die Haltung einiger Fans: "Freust du dich auch so wie ich auf nachher, denn dann fällt dieses Lied unter 'Back in the days'. 'StRw' ist kein trashiges Tape, das ist retro in spe." Sind die heutigen Konsumenten bereits zu einem zu frühen Zeitpunkt vergangenheitsorientiert?
Ich glaube, es ist das Gegenteil. Heutzutage ist der durchschnittliche Musikhörer sehr, sehr gegenwartsorientiert und interessiert sich nur für das, was gerade angesagt ist. Das ist tatsächlich doch sehr trendorientiert, aber vergisst gerne mal schnell, dass sich viele Trends aus Vergangenem speisen und viele Moden nur Wiederholungen, Neuauflagen oder Remixe von etwas sind, das schon mal da gewesen ist. In so eine Richtung zielt diese Zeile.
Die "Schlaftabletten, Rotwein"-Reihe hatte immer auch einen anarchistischen Charakter. Wie lässt sich in den professionellen Strukturen, in denen du dich seit einigen Jahren bewegst, noch dieser Freiheitsgrad erreichen?
Ich habe das immer als mein höchstes Gut angesehen. Das konnte ich so machen, weil ich nie nach professionellen Strukturen, nach Ruhm oder großen Dimensionen gestrebt habe, sondern mir dieser Freiheitsgedanke immer das Heiligste war. Deswegen habe ich bei jedem geschäftlichen Schritt immer größten Wert darauf gelegt, mir diese Freiheit zu erhalten. Die ist jetzt genauso da wie damals, weil ich bei einem Independent-Label bin und nur mit Leuten zusammenarbeite, mit denen ich auch ein Bier trinken gehen kann. Das sind größtenteils Freunde, mit denen ich mich sehr gut verstehe. Die wissen, dass sie nur dann mit mir Geld verdienen, wenn ich glücklich bin und wenn ich das machen kann, was ich liebe zu tun.
Stand denn trotzdem mal die Idee im Raum, das Album ohne leicht konsumierbare Videos und eine Limited Edition einfach wie Teil 4 kostenlos zu veröffentlichen?
Ich hatte bei diesem Album nicht diesen Gedanken. Wenn ich ein Album free zum Download rausgehauen habe, dann war der Grund nicht, weil ich ein Wohltäter sein und den Leuten gerne etwas Gutes tun wollte. Das will ich sowieso. Ich will natürlich immer gerne, dass alle Leute möglichst schnell an die Musik herankommen. Aber meine Alben habe ich früher nur ins Internet gestellt, weil ich keine andere Möglichkeit, keine Vertriebe und niemanden hatte, der eine CD daraus macht. Für mich ist es wie ein Kindheitsmythos eine echte CD zu machen. Das ist mehr dieser Gedanke, wenn es darum geht, Musik wirklich verkaufbar zu machen. Es geht für mich vor allem darum, aus Musik eine anfassbare Sache zu machen, die man aufmachen kann, aus der man das Booklet rausnehmen, darin herumblättern, daran riechen oder daran knabbern kann, wenn man das möchte. Dieser Gedanke ist mir so wichtig. Wenn ich ein Album mache, was mir viel bedeutet, dann bedeutet es mir genauso viel, dass das Album dadurch diese Wertigkeit bekommt. Zusätzlich ist es ja auch im Grunde genommen durch moderne Streaming-Varianten für jeden zu hören, der sich kurz mal einen Spotify-Account macht. Es ist ja nicht so, dass ich das vor den Leuten verschließen würde.
"Vielleicht mal wieder zocken, das ist auch schön!"
Ich komme auch deswegen darauf zu sprechen, weil sich die Auswüchse der Konsumgesellschaft als Thema durch das ganze Album ziehen. Das steht ja eigentlich im Widerspruch dazu, dass es mit großer Vermarktung daherkommt.
Ja, das ist natürlich richtig. Solche Widersprüche gibt es natürlich haufenweise, vor allem weil ich mich sehr stark mit mir selbst kritisch auseinandersetze. Ich habe einen Song, der sich kritisch mit dem Reisen auseinandersetzt und ich selbst bin viel gereist. Ich selbst bin auch dieser Typ gewesen, der mit dem Rucksack auf dem Rücken durch Länder gereist ist und sich wie ein bekloppter europäischer Touri durch fremde Länder gefrickelt und gefriemelt hat. Ich bin selbst manchmal unsicher in meiner Positionierung, was Meinungen angeht. Ich stehe selbst oft zwischen den Stühlen und treibe das dann beispielsweise in Songs wie "Meinungsfrei" auf die Spitze. Das heißt, dieses Album setzt sich, obwohl es auch so ein albernes und verrücktes Album ist, sehr kritisch mit mir selbst auseinander. Eben auch mit der Konsumgier und meinem eigenen Teil, den ich zu diesem Kapitalismus beitrage.
Es ist ja nicht so, dass ich mit solchen Songs mit dem Finger auf Leute zeigen möchte, die das machen. Ich möchte nicht sagen: Tut das nicht, ihr tut etwas Falsches. Ich möchte einfach nur gerne diese Faktoren beleuchten, die da auch mitschwingen und die man nicht vergessen darf. Und das stellt das Album doch sehr in die Tradition von meinen klassischen Songs, weil ich eben immer gerne zum Perspektivwechsel einlade.
Wie reist man denn eigentlich "richtig"?
Wie man richtig reist? Naja, also es gibt da verschiedene Optionen. Ich erzähle zum Beispiel immer gerne die Geschichte von einem Typen, den ich mal fast kennengelernt hätte. So beginnen die besten Geschichten. Der ist wohl recht bekannt und hatte mich einmal angeschrieben. Der macht immer so Reiseprojekte, begleitet die mit der Kamera und macht dann Dokus daraus. Der hat mal eine Reise gemacht, bei der er durch Europa getrampt ist. Er hat nur den Daumen rausgehalten und sich mitnehmen lassen. Und das Ganze mit einer Waschmaschine. Das heißt, er hat sich mit einer Waschmaschine an die Straße gestellt und ist nur per Anhalter in jedes europäische Land gereist. Vielleicht ist das die einzig richtige Art zu reisen, denke ich manchmal.
Sehr schön! Du sagst in dem Song auch: "Sogar mit der Fähigkeit zu fliegen, bleibe ich ein Gefangener." Erträgt sich ein Großteil der reisenden Jugend selbst nicht mehr?
Es sind verschiedene Gründe, die ich auf Reisen beobachtet habe. Ich habe viele junge Leute getroffen, die entweder vor sich selbst weglaufen oder aber auch zu sich selbst wollen, weil sie sich selbst bis jetzt nicht gefunden haben. Sie suchen sich irgendwo selbst, wo sie mit sich ins Gespräch kommen und kein Umfeld um sich haben, das sie daran erinnert, wer sie schonmal gewesen sind und wer sie sein müssen. Ich weiß nicht, ob sich die Jugend erträgt oder nicht. Das kann ich so pauschal nicht sagen. Ich sehe nur, dass es die Leute wegzieht, aber wenn sie woanders sind, sind sie im Grunde auch zuhause, weil sie die ganze Zeit ihr zuhause in der Hosentasche tragen, rausnehmen und sofort wieder mit allen Menschen verbunden sind, mit denen sie zuhause auch verbunden sind.
Wenn die Leute also zum Teil vor sich weglaufen, was würdest du ihnen alternativ zur Reise empfehlen?
Ich bin ja wie gesagt kein Reisegegner und würde von der Reise niemals abraten. Wenn man jetzt nach einer Alternative sucht, dann vielleicht sowas wie "Anno 1404". Das ist ein schönes Aufbauspiel, das sehr viel Zeit frisst. Man kommt sich auch so vor, als wäre man irgendwo anders. Vielleicht mal wieder zocken, das ist auch schön! Sich Zeit zu nehmen, auch wirklich mal wieder Zeit zu verschwenden.
Aber das machen ja auch die meisten.
Ja, man kann ja auch reisen und zocken. Das schließt sich ja nicht aus. Ich weiß nicht, was man empfehlen würde, um jemanden eine wirkliche Selbstfindungserfahrung zu ermöglichen. Aber ich kann zum Beispiel von mir sagen, dass ich gemerkt habe, wenn man einen Rucksack nimmt, da ein Zelt reintut, dann aus einer großen Stadt vielleicht nur zwei Stunden mit dem Auto oder der Bahn rausfährt, irgendwo durch die Wiesen läuft und dieses Zelt aufschlägt, dann ist man manchmal mehr aus allem raus, als wenn man sich in Tunesien an den Strand legt. Moment, Tunesien ist nicht mehr so das Urlaubsland, sagen wir mal Mallotze.
Einer der Grundpfeiler der Erlebnisökonomie ist der Konsumismus, dem zufolge sich jedes Problem mit einem neuen Produkt oder einer Dienstleistung beheben lässt, was im Umkehrschluss bedeutet, dass Unglück nicht mehr toleriert wird. Forderst du in "Ein Problem Mit Alkohol" ein Anrecht auf Trauer und Schmerz, wenn du darauf pochst: "Mir geht es super schlecht, aber das ist mein gutes Recht?"
Ich glaube, der Song ist vor allem eine Abrechnung mit Ausreden, die mir bei mir selbst und bei anderen Leuten begegnet sind, die sich mit ihren emotionalen Wehwehchen das Recht dazu erkämpfen, andere Leute scheiße zu behandeln und zu verletzen. Schatz, verklag' doch die Welt wegen der blauen Flecken, denn die Welt ist daran schuld. Dieser Gedanke, sich selbst rauszunehmen aus der eigenen Verantwortung für das eigene Handeln und dafür die Umstände verantwortlich zu machen. Das ist vielleicht eher der Hauptgedanke.
Diese Wehwehchen kommen überhaupt häufiger bei dir inhaltlich zum Tragen. In "Terrorangst" heißt es zum Beispiel: "Ich fühle mich überall bedroht auf der Erde. Das habe ich nicht bestellt, als ich entschieden habe, geboren zu werden." Woher kommt die Idee, ein natürliches Anrecht darauf zu haben, gefahrlos in Ruhe und Frieden zu leben?
Naja, das ist ein Konzept, das oft einfach als gegeben akzeptiert wird. Ich habe zumindest das Gefühl, dass dieser Gedanke ständig in der Mehrheitsgesellschaft auftaucht. Wir haben alle Recht auf ein gutes Leben und wir haben alle Recht auf Frieden und Freiheit. Der Gedanke ist wunderschön und ich finde, es lohnt sich dafür einzustehen, dass alle das haben sollen. Aber wo steht das geschrieben? Welches Naturgesetz besagt, dass dieses Recht da ist? Tatsächlich ist es ja nicht so. Du wirst in irgendeine Situation hineingeboren und du hast eine Situation, mit der du umgehen musst. Und die Situation kann ziemlich glimpflich sein wie im Westen und in Europa, aber die Situation kann auch ziemlich scheiße sein, wenn man gerade in dieser Zeit in Syrien geboren wurde. Das Recht, dass in deinem Land alles bleibt, wie es immer war, und beispielsweise keine Flüchtlinge vorbeikommen, hat niemand von der Natur gegeben. Die Welt um einen herum kann sich ändern, und ich glaube man muss damit umgehen, statt sich dagegen zu wehren.
"Es steckt in meinem Selbstverständnis als Künstler, dass man Dinge macht, um sie zu hinterlassen."
Haben dir bei dieser Erkenntnis die Reisen geholfen? Bist du etwa auf Armut gestoßen, was das hiesige Leben dann dazu in Relation gesetzt hat?
Ich bin schon in Kindesjahren öfter in Indien gewesen. Im Alter von sechs, sieben Jahren war ich schon mehrmals in Indien. Das heißt, Armut auf der ganzen Welt habe ich schon früh gesehen. Das ist auch eine Erfahrung, die ich nicht missen will. Die hat einem schon sehr früh bewusst gemacht, in was für einem Glück wir hier in Europa leben. Deswegen war auch alles, was ich auf weiteren Reisen gesehen habe, nicht mehr sonderlich schockierend oder überraschend. Es gab nicht mehr den Aha-Effekt. Ich kann das trotzdem nur jedem ans Herz legen, es live zumindest mal zu spüren. Es geht nicht darum, sich davor zu stellen und Katastrophentourismus zu betreiben, ein Foto von den Slums zu machen und dann wieder nach Hause zu fahren, sondern sich bewusst zu werden, dass die Verhältnisse da ganz anders sind und dass das nicht ganz zu entkoppeln ist von den Verhältnissen, die wir in Europa haben.
Wobei es natürlich schwierig ist, die Leute, die jetzt in Chemnitz protestiert haben, alle nach Indien zu karren.
Nein, das kannst du nicht machen. Dazu kannst du natürlich auch keinen zwingen. Du kannst es nur anbieten, davon erzählen und im Zweifelsfall davon Lieder machen.
Im Dreiteiler "Die Grüne Regenrinne" greifst du unter anderem das Thema Verschwörungstheorien rund um Reptiloiden und pädophile Sekten auf. Damit hast du dich ja bereits 2011 auf "Vorn An Der Ecke" auseinandergesetzt. Mittlerweile haben die abstrusesten Theorien in der Mitte der Gesellschaft Einzug gehalten. Woran liegt das deiner Meinung nach?
Ja, das ist natürlich auch viel diskutiert worden. Auf deine Frage gibt es viel Antworten, die alle schon gegeben wurden und Sinn ergeben. Es hängt zum einen natürlich mit dem Internet zusammen, dem immer stärker ausgeprägten fehlenden Vertrauen in herkömmliche Medien und dem normalen Hang des Menschen, hinter allem eine größere Sache zu vermuten. Vor allem lässt sich damit natürlich auch eine komplexe Welt simpler zu bauen, in dem man Gut und Böse irgendwo auf der Welt platziert und dadurch auf eine böse Macht zeigen kann, die meistens hinter irgendwelchen Hintertüren sitzt und die Geschicke der Welt in der Hand hält. Das ist bequem und wird nach wie vor gerne gemacht.
In "Die Grüne Regenrinne" zeigst du dich erneut sehr sprachverliebt. Ist deine Begeisterung für Literatur eigentlich ähnlich stark entwickelt wie die für Musik?
Ich lese tatsächlich selten. Das muss ich gestehen. Ich habe eine große Leidenschaft für Poesie und das geschriebene Wort, aber wie das oft so ist mit Dingen, die man mag, ist es manchmal besser, sich nicht inflationär damit zu beschäftigen. Wenn es hoch kommt lese ich deswegen vielleicht zwei Bücher in einem Jahr. Das reicht mir dann auch fürs Erste, um es sacken zu lassen.
Wo ist dir das sonst schonmal begegnet, dass man sich mit Dingen, die man mag, besser nicht stärker auseinander setzen sollte?
Naja, ich habe zum Beispiel in den vergangenen Monaten in einigen Phasen der Produktion dieses Albums, in denen ich sehr viel gearbeitet habe, gemerkt, dass man sich tatsächlich auch an Dingen überarbeiten kann, die man liebt zu tun. Denn es ist ein Fakt, dass ich das Arbeiten an der Musik liebe wie nichts anderes. Aber wenn man von irgendetwas doch zu viel hat, ist auch das nicht gesund. Dann brauche ich auch davon mal eine Pause, was ich vorher nicht kannte. Sobald ich in meinem Leben eine Pause hatte, habe ich ein Instrument gegriffen oder ein Textblatt in die Hand genommen und habe irgendwas geschrieben. Aber wenn ich nur noch das mache, brauche ich davon wiederum einen Abstand, um wieder frisch und klar denken zu können. Das ist vielleicht auch ein Beispiel dafür, dass zu viel einfach zu viel ist, egal wovon.
"Die grüne Regenrinne" hat auch einen Hörspielcharakter. Würdest du rückblickend gerne als wirklich vielseitig versierter Künstler in Erinnerung bleiben?
Ich mache mir nicht viele Gedanken darüber, als was ich in Erinnerung bleiben möchte. Ich denke, als irgendwas werde ich in Erinnerung bleiben, aber das habe ich selbst gar nicht so in der Hand. Ich möchte vor allem Dinge machen, die mir um des Machens willens Spaß und Freude bereiten. Das sind eben vielseitige Sachen, die in unterschiedlichste Richtungen gehen. Das ist nicht nur die Musik, das Produzieren und Schreiben von Liedern, sondern das ist genauso der filmische Teil, das Drehen und Schneiden von Videos, das Regie führen und vielleicht auch eines Tages das Hörbuch.
Du hast dich aber in der Vergangenheit schonmal in der Richtung geäußert, dass dir dein künstlerisches Vermächtnis durchaus wichtig ist.
Ja, natürlich, dass ich etwas hinterlasse, ist mir sehr wichtig. Es steckt irgendwie in meinem Selbstverständnis als Künstler, dass man Dinge macht, um sie in irgendeiner Weise zu hinterlassen. Selbst wenn es in 100 Jahren keine CDs und irgendwann vielleicht auch kein Spotify oder andere digitalen Sachen mehr gibt, sondern wieder nur noch Steine, dann hat man vielleicht wenigstens irgendeine Erinnerung hinterlassen, die wieder eine andere Erinnerung oder einen anderen Gedanken angestoßen hat. Und irgendwie bleibt man dann doch im Strudel der Zeit. Das ist der Gedanke, weshalb man irgendwas macht. Aber ich mache mir nicht viele Gedanken, was mein Name Alligatoah irgendwann bedeuten und in welchem Zusammenhang der irgendwann genannt wird. Viel wichtiger ist, dass die Ideen, die ich in den Liedern anstoße, auf irgendwelche Ohren stoßen, damit diese Ohren auch wieder ihren Mund aufmachen und das Gesagte wiederum auf Ohren stößt. Also ein kleines bisschen der Dominosteineffekt, der sich irgendwann verlaufen und nichts mehr mit Alligatoah zu tun haben wird. Aber ich weiß, dass ich etwas angestoßen habe.
Ein schönes Schlusswort. Vielen Dank!
1 Kommentar mit 2 Antworten
heuchler dieser aligatoah!! 257er für arme
Gewagte These. Sind die 257er nicht mittlerweile die 257er für Arme?
Er sollte lieber wieder Stimmen imitieren.