16. März 2009

Zeitreise durch 50 Jahre Minimal

Interview geführt von

Die beiden "Innervisionäre" Kristian und Frank von Âme haben ein beeindruckendes Sammelsurium von Stücken aus dem Genre der Minimal-Musik auf der Compilation "The Grandfather Paradox" vereint. Zum skurrilen Titel und einigem mehr standen sie mir im Interview Frage und Antwort.Karlsruhe im Spätwinter. Ich sitze mit Frank Wiedemann und Kristian Beyer von Âme in der Küche ihrer Wohnung, in der sie sich praktischerweise ein Studio eingerichtet haben. Kaffeespezialist Frank kredenzt feinen Mocca, während wir uns in relaxter Atmosphäre über die gerade veröffentlichte Compilation "Henrik Schwarz, Âme, Dixon - The Grandfather Paradox" unterhalten wollen.

Salut Kristian, hallo Frank, danke für den Kaffee. Ihr bleibt im Gegensatz zu vielen anderen Musikern eurer badischen Heimat treu und wandert nicht komplett nach Berlin aus. Was hält euch hier? Gibt es besondere Beeren im Karlsruhischen Wald?

Frank: Wir sind beide viel unterwegs am Wochenende, und ich glaube, wir haben beide das Gefühl, dass es gut ist, unter der Woche ein bisschen runter zu kommen. Berlin ist ohne Frage eine tolle Stadt, aber uns ist es auch irgendwie zu groß. Außerdem ist viel zu viel los, man könnte jeden Tag ausgehen, Leute treffen, die gerade in der Stadt sind etc. Das passiert hier vorort nicht in diesem Maß. Es gibt hier zwar auch eine Kunstszene, da musst du dann aber Kristian fragen, der ist hier unser Kunstexperte (Gelächter).
Kristian: Familie und Freunde sind alle hier, das wäre ein komplettes soziales Netzwerk, was du aufgibst. Wir haben natürlich auch Freunde und Geschäftspartner in Berlin, aber wir sind schon so lange hier und da hängt eben auch ein Riesen-Freundeskreis dran. Das bessere Wetter im Süden spielt natürlich auch eine Rolle, und Frank hat natürlich auch recht, dass uns das hier grounded.

Der Science-Fiction-Roman "Le Voyageur Imprudent" von René Barjavel setzt sich mit dem Phänomen der Zeitreise auseinander. Das darin vorgestellte "Großvater Paradox"-Theorem stellt die Unmöglichkeit von Reisen in die Vergangenheit dar - aufgrund der eventuellen Einflussnahme auf die eigene Existenz. Was bedeutet der Begriff für euch im musikalischen Sinn?

K: Wir saßen an der Arbeit für die Compilation und haben uns schon wie Zeitreisende gefühlt, weil wir "zurückgegangen" sind. Dann kamen wir durch Recherchen auf das "Grandfather Paradox" und irgendwie war uns klar: Wir fahren zurück in der Zeit, verändern etwas, was passiert dann? Was heißt das dann für die Zukunft? Das muss dann vielleicht am Ende der Konsument entscheiden. Oder vielleicht sogar die Original-Autoren.
F: Zumindest haben wir erreicht, dass Musik, die sich das Clubvolk sonst nicht anhören würde, jetzt gehört wird. Vielleicht fragen die sich dann sogar: "Wer ist denn dieser 'Moondog'" ?
K: Oder es fällt ihnen dann auf, dass diese Elemente schon immer in der elektronischen Musik zu hören waren.

Auf wissenschaftlicher Ebene gibt die Quantenmechanik zwei Lösungsvorschläge für die Paradoxie: Einerseits schafft man durch die Veränderung des alten Stückes eine zweite Welt, die parallel zum Original gleichwertig existiert. Auf der anderen Seite gib es die Meinung, dass die Stücke durch äußere Umstände nicht verändert werden können. Für welchen Ansatz steht ihr?

K: Auf jeden Fall den ersten. Durch die Manipulation wurde das Stück verändert, es ist etwas Neues entstanden, aber man erkennt noch den Charakter des Originals.

Ihr habt also das Unmögliche möglich zu machen versucht, indem ihr Stücke eurer Minimal-Opas in einen neuen Kontext gestellt, neu arrangiert und editiert habt. Was war die Intention für das Projekt: missionarischer Eifer oder eine Herzensangelegenheit - Lieblingsstücke, die man unbedingt bearbeiten wollte?

K: Beides, also missionarischer Eifer spielt bei einer Compilation immer eine Rolle.
F:(protestiert) Wir wollten aber nicht mit erhobenem Zeigefinger dastehen ...
K: Missionarischer Eifer heißt allerdings nicht, mit der Brechstange den Leuten etwas aufzudrängen. Man versucht Sachen, bei denen man denkt, dass sie sonst nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen, einem breiteren Publikum bekannt zu machen.

Ursprünglich sollte es ja eine reine frühneunziger Minimal-Techno-Retrospektive werden à la Plastikman oder Robert Hood. Warum habt ihr euch dazu entschlossen, weitere Kreise zu ziehen und die letzten fünfzig Jahren Minimal-Musik zu verarbeiten?

K: Die Idee entstand, als ich irgendwann mit Henrik Schwarz im Bus saß und wir uns über den zur Zeit sehr überstrapazierten Minimal-Begriff unterhielten. Klar, wir waren mit Minimal-Techno aufgewachsen, aber das, was jetzt als Minimal bezeichnet wurde, hatte damit nicht mehr viel zu tun. Wir sagten uns, lass doch mal eine Compilation mit Mike Ink und Sachen, die wir toll fanden, featuren.
Und als wir dann angefangen haben, ist das Projekt immer mehr gewachsen, wir hatten zu der Zeit auch viel Raymond Scott gehört. Ein
zweijähriger Entstehungsprozess liegt dieser CD zugrunde.
F: Man muss gestehen: Wir haben nicht zuerst das Buch gelesen und gedacht: "Zu dem Thema müssen wir mal eine Compilation machen!" Das war auf jeden Fall anders herum. Ich fand diese erweiterte Perspektive auch spannend, denn ich bin nicht mit Minimal aufgewachsen und erst später zur Szene gestoßen.

Wo sind denn deine musikalischen Wurzeln?

K: Soul und Jazz!
F: Ja, ich habe von Soul und Jazz über Nu-Jazz, Trip-Hop und Hip-Hop hin zu elektronischer Musik gefunden. Kristian hat mich netterweise irgendwann davon überzeugt, dass eine gerade Bassdrum doch etwas sehr Magisches haben kann.
Ich bin immer noch am Lernen, es war deswegen auch besonders interessant bei diesem Projekt mitzumachen. Ich kaufe bestimmt genauso viele alte wie neue Platten. Aber so Sachen wie Steve Reich und Experimental-Geschichten haben mich auch früher schon interessiert.

Da möchte ich kurz einhaken und fragen, was der Grund dafür ist, dass diese Tape-Collagen aus der Frühzeit elektronischer Musik so einzigartig und völlig anders klingen im Vergleich zum digitalen Aneinanderreihen von Loops und Sequencing-Verfahren?

Beide: Es klingt einfach menschlicher und deswegen vertrauter. Außerdem sind Tape-Collagen nicht perfekt und exakt, sie enthalten Fehler. Ein dritter Faktor ist natürlich der analoge Klang.
F: Man muss auch sehen, dass Leute wie Raymond Scott unglaubliche Bastler waren, die sich ihre Instrumente selbst entwickelt und gebaut haben.
K: Für heutige Ohren hört sich das oft sehr simpel an, aber die Arbeit, die dahinter steckte, war einfach riesengroß. Deswegen kann ich heutige Produktionsmethoden auch nicht in dem Maß respektieren, weil Leute wie Terry Riley damals wirklich dasaßen und Bänder aneinandergeklebt haben.
F: Mir ist auch ein Beispiel für solche Collagen bekannt, ein Stück von Laurie Spiegel, das wir auf unserer "Mixing"-Compilation drauf haben. Sie hat mithilfe von Lochkarten Musik programmiert.

Für mich bedeutet Minimal die Reduktion auf das Wesentliche. Wie definiert ihr den Terminus?

K: Es geht um Reduktion. Deswegen habe ich auch ein Problem mit dem, was man heute Minimal nennt. Das ist vielleicht minimal in dem Sinn, dass es keine Melodie hat oder so, aber da sind dann tonnenweise Effekte draufgeknallt. Mit vielen Breaks usw., das hat mit dem Minimal von damals, Anfang der Neunziger, wenig zu tun.
Man muss da aber auch unterscheiden. Natürlich würde ich Leute wie Ricardo Villalobos als Minimal bezeichnen, aber der hat auch diesen Minimal-Techno-Background. Seine Stücke waren als DJ-Tools gedacht, mit viel Platz zwischen den Tönen. Damit haben wir bei diesem Mix auch gespielt und gearbeitet, mit der Kombination und Überlagerung von Elementen der einzelnen Tracks.
F: Was aber auch dazu geführt hat, dass das Endergebnis dann gar nicht mehr so minimal war.
K: Das stimmt. Aber deswegen git es ja die zweite CD, auf der die Stücke ungemischt präsentiert werden.

Tape-Collagen klingen menschlicher ...

Es sind wohlklingende Namen wie John Carpenter oder Conrad Schnitzler auf "The Grandfather Paradox" vertreten. Wie groß war die Ehrfurcht vor den Werken der Altmeister? Wart ihr zunächst gehemmt in eurer Arbeitsweise, weil ihr vielleicht befürchtet habt, das Original kaputt zu remixen bzw. ihnen nicht gerecht zu werden?

K: Wenn wir mit Henrik Schwarz und Dixon zusammenarbeiten, haben wir zwar Respekt vor den Originalen und voreinander, aber zu großen Respekt sollte man auch nicht haben. Wir sind da sehr auf einer Wellenlänge, vertrauen aber auch darauf, dass, wenn was schiefläuft, sich jemand zu Wort meldet.
F: Ich glaube auch nicht, dass wir unter ein Conrad Schnitzler-Stück einfach einen Beat drunterlegen und fertig. Wie Kristian schon gesagt hat, das würde es in unserer Konstellation einfach nicht geben. Natürlich hatten wir Respekt vor dem Original, aber es war nicht so, dass wir Angst hatten, wir könnten etwas zerstören.

War es ein schwieriges Unterfangen, die Tracks lizensiert bzw. die Originalspuren zu bekommen? Hat es Stücke gegeben, die ihr unbedingt haben wolltet, aber wegen rechtlicher Schwierigkeiten doch nicht auf die Compilation nehmen konntet?

F: Also ein Ding hätten wir sehr gern gehabt, das ist dieses "Nobu" von Herbie Hancock, aber der rückt nichts raus.
K: Ich glaube, das gab's mal auf einer Japan-Pressung.
F: Eigentlich war das sogar einer der Aufhänger für das Projekt damals, das man mal solche Stücke zusammentragen könnte.
K: Die Lizensierung hat das Label BBE für uns übernommen, wir haben nur gesagt "Das wollen wir haben!" Die haben dann überprüft, was uns am wichtigsten ist; solche Licensing-Geschichten richten sich natürlich auch nach dem Preis, etwa dem Vorschuss, den man zu leisten hat.
F: Wir mussten selbstverständlich ein paar Kompromisse eingehen.
K: Manche wollten uns etwa die Rechte für den Vinyl- und CD Verkauf geben, aber dann keine Download-Rechte.
F: Es hat mich verblüfft, dass es überhaupt möglich war, ein Raymond Scott-Stück zu lizenzieren.
K: Mich hat das bei Steve Reich gewundert, dass es so unkompliziert ging.
Es gibt "The Grandfather Paradox" aber schon auch als Download?
K: Den kompletten Mix glaube ich schon. Aber eben nicht die einzelnen Stücke.

Die Tracks sind allesamt sehr modern, deep und groovig arrangiert. Hattet ihr das Anliegen, die Stücke clubtauglicher zu remixen?

K: Das war eher sekundär.
F: Man soll sich die CD ja auch zu Hause anhören können, ich finde nicht, dass es eine Club-CD ist.
K: Ich denke, sie könnte als Warm-Up im Club laufen.

Ist es euch eurer Meinung nach gelungen, mit dieser Compilation den Spagat zwischen U- und E-Musik zu schaffen?

Beide: Per Definition schon, weil Steve Reich kommt aus der E-Musik, und Plastikman beispielsweise ist ja schon eher U-Musik.(lachen)
K: Mich haben immer schon Crossover zwischen U- und E-Sachen fasziniert, Brian Eno ...
F: E-Musik bedeutet ja eigentlich "klassische" Musik, wo alles schön mit Noten aufgeschrieben ist etc. Aber klar, Brian Eno ist auf jeden Fall so ein Grenzgänger, kann man schon sagen.
K: Der Philosoph Friedrich Hebbel würde jetzt sagen, dass es nur ein Spiegel unserer Charaktere ist, weil wir diese Trennung zwischen Unterhaltung und Ernst gar nicht machen.

Wissenschaftlich gesehen ist die Reise von Personen durch die Zeit nicht möglich, dafür aber von Elementarteilchen. Sind Töne für euch Elementarteilchen, die problemlos durch die Zeit geschickt werden können? Was macht die Tracks so allgemeingültig und zeitlos?

K:Du sagst, es ist keine Zeitreise möglich! Ich lese gerade ein Buch, wo der Held eine Möglichkeit gefunden hat, sich außerhalb der Zeit zu bewegen - der ist immer da.
F: Ich sah letztens im Philosophischen Quartett die Diskussion, ob es Zeit überhaupt gibt. Du kannst Sekunden, Millisekunden etc. definieren, aber den Moment, das Jetzt, das kleinste Teil, das gibt es nicht.
K: Aber wir suchen es doch gerade, in diesem Tunnel bei Genf. Aber ob das bei Tönen möglich ist?
F: Alle elektronischen Klänge entstammen einer generierten Wellenform. Ob die das damals mit einem Sinus-Generator gemacht haben, oder wir denselben Sound mit einem digitalen Abbild dieses Generators erzeugen, ist letzten Endes Wurscht. Deswegen funktioniert diese Sound-Ästhetik heute genau so wie vor 50 Jahren.

Meiner Mutter, die sonst keinen Zugang zu elektronischer Musik findet, habe ich "The Grandfather Paradox" auch vorgespielt. Sie war begeistert und hat eure Edits mit sinfonischen Werken verglichen. Bedeutet es einen Ritterschlag, wenn andere Altersgruppen die Musik begreifen? Oder wäre es euch lieber, wenn sie dem Underground vorbehalten wäre?

K: Nee gar nicht, es geht um Qualität. Ich mache da auch nicht den Unterschied zwischen "Underground" und "gut". Das ist mir aber schon aufgefallen, als ich die Compilation jemandem vorgespielt habe, der damit sonst nichts zu schaffen hat. Der hat den Sound auch gemocht. Wenn es Leuten gefällt, die von der E-Musik kommen, umso besser.
F: Es werden ja eh immer mehr Versuche unternommen, das aufzubrechen. Ein Beispiel ist die Deutsche Grammophon mit ihrer Zusammenarbeit mit Villalobos und Carl Craig. Die Grenzen verschwimmen ja schon seit Jahrzehnten ...
K: ... und die E-Musik begibt sich so langsam aus ihrem, wie sagt man so schön, Elfenbeinturm herab ...
F: ... zu uns normalen Menschen.

Gab es für eure Arbeit am Grandfather Paradox Feedback von noch lebenden Komponisten? Hat sich daraus eventuell eine direkte Zusammenarbeit ergeben?

K: Conrad Schnitzler und Steve Reich leben ja noch, die könnten es gehört haben. Ob sie es getan haben, wissen wir nicht, aber ich werde Steve Reich demnächst treffen und ihm dann die CD nochmal persönlich überreichen.

Apropos Zusammenarbeit: habt ihr mit Henrik Schwarz und Dixon im Studio zusammengesessen, euch gegenseitig unterstützt, beraten und ausgetauscht oder hat jeder seine Remixarbeit geleistet und erst am Schluss stand das Ergebnis, das wir jetzt kennen?

F: Ja, bis auf ein paar Ausnahmen haben wir zusammengearbeitet. Normalerweise gibt es bei einer Compilation ja die Herangehensweise, dass man sagt, dieses Stück markiert den Startpunkt, dann kommt dieses Stück usw. Dann wird das Ganze in Ableton arrangiert, manchmal auch live am Plattenspieler gemischt, soll es ja auch noch geben. Man macht sich quasi einen Plan. In diesem Fall war das ganz anders.
K: Wir haben nicht gesagt: So, damit fangen wir jetzt an, sondern das war alles sehr spontan. Jeder hatte auf seinem Laptop ein paar Stücke in Ableton vorquantisiert (Anm. d. Red.: Quantisieren soll Fehler innerhalb des rhythmischen Rasters eines Stückes beheben und es so leichter zu bearbeiten machen), damit das nicht zu sehr aus dem Ruder läuft. In vier Aufnahme-Sessions haben wir dann zusammen gespielt und gejammt. So hat sich der Mix, wie es ihn jetzt gibt, herauskristallisiert.

Für Âme existiert keine Grenze zwischen E- und U-Musik.

Viele DJs sind bestimmt daran interessiert, ob es Maxi-Auskopplungen von ausgewählten Stücken mit Remixen eurer Innervisions-Kumpels geben wird. Ist da was geplant oder wartet ihr erstmal den Erfolg des Albums ab?
F: Es wird Maxi-Auskopplungen mit den "clubmäßigsten" Stücken geben, Robert Hood, Yusuf Lateef, I:CUBE ...
K: ... und La Funk Mobs Platikman Mix, weil der so selten ist.
Durch eure Arbeit als international agierende DJs seid Ihr natürlich auf dem Laufenden, was aktuelle Veröffentlichungen angeht.
F: Natürlich!
K: Der Frank vor allem!

Es ist erstaunlich, wie sehr der aktuelle Rhein-Main-House-Trend im Kielwasser der auf eurer Compilation vertretenen Musik fährt, oder? Wie waren die Reaktionen im Club auf eure Neu-Bearbeitungen?

F: Der I:CUBE-Edit kommt immer relativ gut an, auch bei dem Yusuf Lateef-Stück wird oft nachgefragt. Das passt auch wirklich total in diesen Rhein-Main-Kontext rein, obwohl das von 19-irgendwas-50 ist.
K: Ich bin kein großer Anhänger dieser Bewegung, besitze aber auch paar Platten; die machen halt DJ-Tools. Die stellen sich jetzt nicht hin und sagen, wir machen große Musik. DJ Sneak war nach dem hundertsten DJ-Tool auch irgendwann verschwunden, ist jetzt aber wieder da im Zuge dieses Trends - und weil ihn Villalobos featured. Ich sehe das ja, ich habe einen Plattenladen: Nach der fünfzehnten Tool-Platte haben die Leute irgendwann genug. Obwohl ich Leuten wie Johnny D. und Robert Dietz, zwei Produzenten, die ja aus diesem Rhein-Main-Umfeld kommen, durchaus zutraue, dass die da weitergehen und den Sound entwickeln.
F: Es ist eben alles schonmal gemacht worden. Ich finde, es geht da eher um Qualität als um Originalität.
K: Ja, die Originalität um der Originalität Willen zu erzeugen, ist schwierig.

Die Neuinterpretationen alter Stücke hat diesen neue Aspekte und Sounds hinzugefügt. Inwiefern hat die Arbeit an dem Projekt euch selbst manipuliert und inspiriert, was die Produktion eigener Tracks betrifft?

F: Ich muss dazu sagen, dass uns diese Musik, auch wenn wir "The Grandfather Paradox" nicht gemacht hätten, sowieso immer beeinflusst.
K: Ein weiterer Verdienst ist: Wir haben, als wir für die Compilation Live-Mixe erstellt haben, gemerkt, dass Âme, Schwarz und Dixon live zusammen funktionieren. Dass wir uns auf eine Bühne stellen können, ohne dass es blöd kommt.

Wie sieht euer Live-Setup dafür aus? Laptops und Controller oder der ganze Maschinenpark?

F: Ich glaube die Funktion des Laptops wird immer reduzierter. Je öfter wir spielen, desto mehr wird es darauf hinauslaufen, dass immer mehr live gespielt wird. Henrik und ich haben Keyboards dabei zusätzlich zu Laptops und Controllern. Wir haben ja auch Melodien in unseren Stücken, die wir live spielen wollen.
Und das reine Abfeuern von Loops wollen wir zurücknehmen. Auf lange Sicht wollen wir eher wie eine Band funktionieren, die ihre Stücke live neu interpretiert und spontan agieren kann. Da sind wir zwar schon auf dem Weg, aber ich hoffe, dass das weiter wächst.
K: Es gibt ja in der Pop-Musik den Playback-Auftritt, aber genauso in der Club-Musik. Beispiel Justice: Ich hab da ein Video gesehen von einem Justice-Live-Act, wo die an allen Geräten stehen und machen, da sind aber keine Kabel angeschlossen.
F: Die Franzosen haben wahrscheinlich schon die neueste Technik.
K: Infrarot-Verbindung oder so ... (allgemeines Gelächter)
K: Henrik Schwarz ist generell ein gutes Gegenbeispiel. Der spielt live immer anders, arrangiert seine Tracks immer neu und für den Moment.
F: Der kann auch spontan und schnell reagieren, wir spielen oft abwechselnd DJ-/Live-Sets mit ihm, der gerät nicht ins Straucheln, wenn man ihm sagt: "So, jetzt spiel doch mal 'Jimis'!"
K: Natürlich besteht bei Laptops immer die Gefahr, dass das zum Playback-Instrument verkommt, aber das merkt dann der Konsument schnell.
Ich habe in 20 Jahren Techno so viele schlechte Live-Acts gesehen, aber es gibt trotzdem immer wieder Momente wo du dastehst und denkst: Mein lieber Schieber!

Marty McFly hat in "Zurück In Die Zukunft" Doc Brown als "Zeitreiseleiter".
K: Doc Brown! Ich hatte es letztens auch mit irgendwem davon, stimmt, so heißt der!
Gibt es für euch auch eine herausragende Mentorfigur, die vielleicht sogar auf "The Grandfather Paradox" vertreten ist, die in in euch die Liebe zur Minimal-Musik entfacht hat?

K: Robert Hood war bei mir so die Initialzündung. Die Ursprungs-Väter habe ich erst danach kennengelernt.
F: Was den Bereich Minimal-Techno angeht, war das bei mir wahrscheinlich auch Robert Hood, aber auch nur, weil Kristian ihn mir irgendwann ans Herz gelegt hat.
Ansonsten ist für mich Oskar Sala so ein Vorbild mit seinem Trautonium, dieser Riesenorgel, die er entwickelt hat. Der ist zwar nicht auf der Compilation drauf, aber der hat bei mir das Interesse für diese Art von Musik geweckt.

War Sala nicht auch der einzige, der das Trautonium bedienen konnte?

F: Nein, Paul Hindemith konnte es auch spielen und es gibt jetzt von Doepfer auch ein Trautonium-Kit. Der Herr Sala hat mich also sehr frühzeitig geprägt.
Vor paar Jahren ist er gestorben..
K: Ich glaube, der ist hundert Jahre alt geworden.

Es ist ein fortschrittlicher Ansatz, Stücke aus verschiedenen Jahrzehnten im modernen Medium des DJ-Mixes miteinander zu verweben. So reichen sich die verschiedenen Künstler metaphorisch die Hand und es entsteht ein völlig neuer Kontext. Würdet ihr bei einer Compilation einen Mix einer ungemixten Version vorziehen?

K: Also, ich als Käufer würde die ungemixte Version vorziehen, vor allem, wenn ich die Stücke noch nicht besitze.
F: Ja, aber einen tollen Mix hört man sich schon gerne an. Dieser I:CUBE-Typ beispielsweise macht ganz obskure Mixe mit unbekannten Stücken, die man dann auf dem Versatile-Blog runterladen kann. Wenn jemand eine gute Mix-CD macht, dann höre mir die auch an.

Wie würdet Ihr es finden, wenn andere Künstler eure Edits weiterbearbeiten?

K: Wir geben sehr selten Remixe in Auftrag. Ich finde auch, dass ein Remix das Stück in einen ganz neuen Kontext stellen sollte. Vom Pop-Song zum House-Track. Wenn man sich Remix-Platten anhört, dann wird da oft der Sound aus dem Original-Track genommen, ein Beat darunter gelegt, und das soll dann ein Remix sein.
F: Wenn wir einen Remix machen, versuchen wir nicht, zu viele Elemente aus dem Original zu verwenden.
K: Wir versuchen mittlerweile, nur noch Remixes von Stücken zu machen, wo wir auch wirklich etwas Neues einbringen können.
F: Bei Vocal-Tracks ist es natürlich einfacher ... wenn die Vocals gut sind! (lacht)
F: Beim "Repeat After Me"-Remix war das ein wenig anders, weil der uns im Original schon so gut gefallen hat, haben wir uns auch nicht sehr weit davon entfernt. Außer vielleicht, dass wir das Stück etwas mehr in Richtung Dance gerückt haben.
K: Wenn es von der Compilation Remixe geben sollte, sollten die aus ganz anderen Musikrichtungen als aus dem Clubkontext kommen, das fände ich spannend. Ich höre beispielsweise gerade diesen Hauschka sehr gerne, der mit einem speziell präparierten Piano arbeitet. Oder Fennesz, der ist auch sehr spannend.

Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch!

Beide: Bitteschön!

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