laut.de-Kritik
Aggressionsbewältigung auf dem Teller deiner Oma.
Review von Anastasia HartleibEine Einleitung zu finden, die dem neuen Soloprojekt von Audio88 gerecht wird: eine unlösbare Aufgabe. Nachdem "Sternzeichen Hass" verklingt, bliebt jeder aufrichtige Hörer einfach sprachlos zurück. Der Berliner setzt an, um in einem philosophischen Monolog unsere Gesellschaft bis auf ihren Kern zu zertrümmern.
Zunächst einmal fühlt sich "Sternzeichen Hass" wie nach Hause kommen an. Audio holt den schönsten Teller seiner Oma aus dem Regal, um sein Lieblingsgericht zu servieren: Eine dicke, düstere Beatroulade, irgendwo aus der Gegend zwischen Herz und Magen, gefüllt mit feinst filetiertem Menschenhass. Doch man sollte nicht den Fehler begehen, es sich gemütlich zu machen. Beilagen gefällig? "Richtig oder falsch, gut oder böse erkennt man in Deutschland an Falafel oder Klöße" ("Dosenpfirische").
Der Berliner hat gewaltigen Redebedarf und steht damit nicht allein da. Die "Verteidigung von Postleitzahlen, als wenn sie von Bedeutung wären" bringt nämlich nicht nur ihn auf die Barrikaden, sondern auch Onkel Morlockk, der deswegen gleich mal den Maibaum zum Marterpfahl macht und die nächstgelegenen Reihenhäuser stürmt ("Treibjagd").
Was ist nur los mit Rap-Deutschland? "Immer heißt es irgendwo, deutscher Rap sei homophob / in den Texten ja, doch in den Videos ist das doch nicht so / da trägt man gerne Leder und da ölt man sich auch ein / als müsst man gleich in Ofen, doch ist irgendein Massaker 3" ("Trottel"). Eine unbändige Wut beflügelt ihn und seine Gäste. Megaloh braucht nicht einmal eine erhöhte Geschwindigkeit, um sein Rage-Level auszudrücken, Lakmann watscht lieber die Medien ab, während er "Selfies" macht. Und mittendrin steht ein Audio und schießt um sich.
Seine Worte treffen jeden blank liegenden Nerv zielsicherer als der Bohrer beim Zahnarzt, egal, ob es sich um die hiesige Hip Hop-Gemeinde oder die Gesellschaft per se handelt. "Den Namen von Jacqueline auf dem Unterarm haben, aber für Jacqueline keinen Unterhalt zahlen". Zu seinen scharfsinnigen Analysen unseres Zeitgeistes verteilt Audio Freudsche Weisheiten, denen keine Umschreibung das Wasser reichen kann: "Unzufriedenheit ist ein Spast der ungern teilt, ein Auge schließt und mit dem anderen geiert".
Was sich anfühlt wie die Stimme des eigenen Unterbewusstseins, entpuppt sich im Laufe des Albums als eine Anti-Aggressionstherapie. Die Wut und der angestaute Hass bekommen endlich ein Ventil und so langsam löst sich der Knoten im Bauch. Das Gefühl, einsam und allein mit all diesen Emotionen zu sein, verschwindet Stück für Stück, Track für Track.
Doch je mehr Zeit verstreicht, desto aggressiver zeigt sich auch die beißende Ironie, mit der Audio sein Gegenüber bearbeitet. "Und hinter dieser Grenze heißt es, muss man um zu überleben nicht einmal mehr kämpfen / aber da machst du halt / denn dann verliert ja alles, was die da ham an Wert / rücksichtsvoll von dir / denn die stört ein Feldbett in ner Halle halt beim Spielen". Die letzten Verse erschüttern bis tief ins Mark: "Dein Haus aus dem Katalog steht zwar jetzt nicht mehr und da wo mal Land war, ist halt jetzt das Meer / ich hoffe du ersäufst da" ("Ab Nach Hause"). Auf einmal regen sich Zweifel. Kann man so was sagen? Darf er das? "Gleichgewicht, Karma - nette Theorien / würd's Gerechtigkeit geben, wär die Petry nicht am Leben". Das geht doch zu weit. Oder?
Eigentlich schon. Aber eigentlich auch nicht. Denn mit eben diesen Zeilen zeigt Audio, dass eine Grenze zwischen gut und böse nicht geradlinig verläuft. Menschen, die sich für das Wohl von Flüchtlingen einsetzen und an die Vernunft appellieren, können ja unmöglich wollen, dass ein anderer Mensch dafür stirbt. Außer, sie sind ihren Feinden ähnlicher, als sie sich selbst eingestehen wollen. Die Zeit ist reif für einen "Direkten Vergleich": "Und insgesamt war alles leicht, objektiv betrachtet im direkten Vergleich / aber wer will den ziehen / ich sicher nicht, aber wer wenn nicht wir?".
19 Kommentare mit 13 Antworten
ungehört 4/5.
Bestenfalls 1/5 weil Knollnase Audio überwack
Oh mann wäre nur die Stimme nicht so nervig
Ein Möchtegern Grim104 bringt 8 lahme Tracks raus und alle rasten aus.
Schwach, lieber das Original.
Als "Ein besser Mensch" 2007 gefeiert wurde, war der gute Grim noch 3 Jahre vom ersten kostenlosen Online-Release entfernt und kam gerade das erste mal von seinem Studium an Weihnachten nach Hause um sich Hackbraten und die besoffenen Schulkameraden von früher in der Dorfdisco reinzuziehen. Each one teach one und so.
ne, der vergleich hinkt. obwohl ich an einem neuen grim solo sehr interessiert wäre.
Man muss froh sein, dass es die beiden gibt.
Morgen wird das Album fünf Jahre alt. Zeit für einen hochverdienten Meilenstein.
& und ein Schluck liquor auf den Bürgersteig für effamuartleW noch
Und für baude natürlich auch