7. Februar 2018

"Wichtig ist, was Musikliebhaber sagen"

Interview geführt von

Alles entspannt bei Aaron Bruno. Kein Wunder, der Schaffensprozess des neuen Awolnation-Albums klingt durchaus entspannt: Kalifornischer Regen, Natur, Gitarre, ein paar Bier und zwischendurch die Songs mal Songs sein lassen und gepflegt surfen gehen.

"Here Come The Runts" heißt das dritte Awolnation-Album, das bis auf wenige mellow Ausreißer hochenergetisch daher kommt. Als Inspiration diente Aaron Bruno ein Klassiker des US-Rock: zu Springsteens "Born In The USA" sieht er eine Art Seelenverwandtschaft. Warum, erklärt uns der Sänger beim Gespräch in Berlin.

Lass uns zu Beginn über den Albumtitel sprechen.

Aaron Bruno: Ich wollte einen Titel haben, der Gedanken provoziert, Leute dazu bringt, Dinge zu hinterfragen. Ich wollte eine Geschichte dahinter haben, verschiedene Charaktere, einzelne oder mehrere, eben den Runt oder die Runts. Jene, die sich als Underdogs fühlen und versuchen, durch die Hochs und Tiefs des Lebens zu navigieren. Wir sind alle Runts, auf unsere Art. Wir sind keine Könige, Königinnen oder Präsidenten. Wir sind die Runts da unten, die versuchen, zu verstehen, worum es im Leben geht. Es soll auch ein Aufruf an Musikliebhaber sein, diejenigen, die Musik als ihr Ventil benutzen. Und: es klingt einfach lustig. Aber eigentlich ist es mir lieber, wenn jeder seine eigene Interpretation der Geschichte findet. Größtenteils ist es einfach eine Underdog-Story.

Du hast die Songs in deinem Homestudio aufgenommen. Beschreibe doch mal, wie man sich dein Studio vorstellen kann.

Es ist ein ganz simples Studio. Das wichtigste daran ist der Standort. Ich habe gigantische Fenster und sehe die Natur, soweit mein Auge reicht. Ich bin von Bergen umgeben. Ich sehe nichts vom Menschen gemachtes, das ist extrem wichtig für mich. Keine Lichter, kein Stadtleben, keine Popkultur – ich bin alleine mit meinen Gedanken und mit Mutter Natur, wie sie Gott geschaffen hat, bevor wir Menschen kamen, um die Erde zu zerstören. Nun aber vielleicht etwas konkreter zu deiner Frage: Wir haben nichts spezielles drin stehen, auch nichts zu neues. Es reicht, um gute Songs einzufangen. Ich würde sagen, das Beste, das ich in meinem Studio habe, ist mein Techniker Eric. Er ist der Typ, der alles realisiert. Wenn ich eine Idee habe und ihm sage, ich möchte einen Gitarrensound, der extrem warm ist, aber auch klingt, als wäre er eine Million Meilen weit entfernt, dann weiß er, was das bedeutet und wir finden einen Weg, den Sound zu bekommen.

Er ist ständig präsent im Studio?

Ja, er arbeitet jetzt fürs Studio. Er mixt auch andere Bands – er hat das meiste meiner Platte gemixt. Wir mixen einfach sofort drauflos, vom ersten Aufnahmetag an. Nicht so wie früher, als man gesagt hat: "Ganz am Ende soll der Typ es mischen und magisch machen". Das muss sofort passieren. Wir modifizieren alles ständig – jeden Tag passen wir Dinge an, wieder und wieder. Ich könnte das ehrlich gesagt ewig so weiter machen – aber irgendwann gibt's ja eine Deadline und man muss aufhören. Der Aufnahmeprozess hat viel Spaß gemacht und Eric ist ein tolles Team-Mitglied. Er ist nicht so emotional wie ich, hat nicht so extreme Tiefen oder Höhen. Wenn ich komme und sage: "Oh mein Gott, das ist das Beste, was ich je gemacht habe", dann meint er trocken: "Es ist okay, ich mag alle deine Sachen". Das gibt mir Balance.

Bist du im Studio generell sehr emotional?

Klar, ich leg ja mein ganzes Herz da rein. Meine Seele. Ich teile innere Reisen mit ihm und irgendwann später dann mit der ganzen Welt. Das ist beängstigend und aufregend zugleich. Wenn es nicht gut läuft, bin ich sehr hart zu mir und fühle mich niedergeschlagen. Wenn es gut läuft, dann kann ich die Welt erobern. Es gibt viele Hochs und Tiefs.

Wie bist du so drauf, wenn du ein Album schreibst – lebst du als Einsiedler und bist nicht ansprechbar?

Nein, ich erledige schon mein alltägliches Zeug. Aber ich sehe keine Billboards, die für den neuesten Film, das neueste Album oder das neueste Parfum werben. Meine Morgenroutine ist, gleich in der Früh surfen zu gehen, joggen oder wandern. Dann bereite ich mir die richtige Nahrung zu, die ich an diesem Tag brauche und bewältige meinen Tag so gut ich eben kann. Ich versuche nichts zu machen, was mich aus dieser Routine, diesem Flow, diesem Fokus rausbringt. Naja, manchmal muss man doch in die Stadt, trifft Freunde, schaut sich ein Konzert an – was auch immer. Ich hör auch immer Musik, erkunde, welche Künstler gerade etwas Neues draußen haben. Ich bin mir bewusst, was da draußen passiert. Ich schalte aber schnell ab – ich möchte irgendwie nicht meinen Tag damit vollstopfen.

Was für Musik hörst du während der kreativen Phase?

Ich suche immer nach etwas, das ich noch nicht gehört habe. Egal ob neue oder alte Künstler. Meist sind es eher alte, die ich bis dato übersehen habe oder von denen mir niemand etwas erzählt hat. Das ist frisch für mich und eine große Inspiration.

"Gitarre, Regen und ab und an ein paar Biere"

Was hattest du musikalisch im Kopf, als du mit "Here Come The Runts" begonnen hast?

Ich wollte ein viel organischeres, weniger elektronisches Album machen. Ein Platte, die dieselbe Kraft wie elektronische Tanzmusik besitzt, aber mit echten Musikern. Das war das Ziel. Ein erhebendes Album mit dem Gefühl der Pop- und Rockplatten der 80er-Jahre, die ich so liebe. Und hoffentlich auch mit der Power von Punkrock- und Hip-Hop-Alben. Die zweite Platte "Run" war eher eine depressive Sache. Zwar tauchen solche Elemente auch auf "Here Come The Runts" auf, man kann dem ja nie ganz entfliehen, aber es ist doch viel optimistischer und befreiender.

Du hast Springsteens "Born In The USA" als Vorbild genannt.

Es ist gut, eine Idee zu haben. Ich denke nicht, dass die Platte wie "Born In The USA" klingt, aber ich hing an der Idee von Songs wie "Glory Days" oder dem hymnischen Ruf von "Born In The USA": Dass die Platte einerseits davon handelt, wie schlimm es politisch um die Welt steht und wie wir uns engagieren können, aber auch zeigt, was die Welt manchmal für ein großartiger Ort zu leben ist. Es ist gerade eine sehr komische und verwirrende Zeit, Amerikaner zu sein. Ich wollte einen positiven Twist, die Musik soll eine Ausflucht für die Hörer sein. Und es geht jetzt nicht mal rein um die USA, jedes Land hat seine Bereiche, wo Schwierigkeiten auftreten. Musik kann helfen, Problemen zu entfliehen. Ich hoffe, dass diese Platte das schafft.

Politik ist also nicht die primäre Agenda.

Nein, "Here Come The Runts" ist nicht als politische Platte gedacht. Es ging eher darum, wie ich mich zu jener Zeit gefühlt habe.

Wie lange dauerte der Schaffensprozess?

Ich habe im Februar 2017 mit den Aufnahmen begonnen und viel in meinem Haus geschrieben, während das Studio gebaut wurde. Es gab zu der Zeit einen El Niño, es hat viel geregnet in Kalifornien. Jede Menge große Wellen, das war ein toller Winter für mich. In der Zeit, als ich nicht zuhause war, habe ich eine Menge großartiger Wellen verpasst – deswegen war's großartig, die ersten Fundamente der Platte zu legen und nebenbei surfen gehen zu können. Zudem war es die erste Platte, die ich als verheirateter Mann gemacht habe, das war ebenfalls sehr cool. Es ging um mich, meine Gitarre, mein Tagebuch – und so konzipierte ich die Songs. Den Albumtitel hatte ich vor allem anderen. Ich habe einen Umriss verfasst und alles mal abgesteckt. Gitarre, Regen, ab und an ein paar Biere. Eine tolle Zeit. Als ich dann fertig mit dem Schreiben war, konnten wir sofort aufnehmen, alles war vorbereitet, alles funktionierte. Das war im März – und dann habe ich mir Zeit gelassen.

Erinnerst du dich, bei welchem Song dir klar wurde: Der gibt jetzt die Marschrichtung für die Platte vor?

"My Molasses" war das erste fertige Stück. Es ist ruhigerer Song, wahrscheinlich der ruhigste auf der ganzen Platte. Der Klang, die Musikalität, die Ehrlichkeit des Stücks hat definitiv den Ton für das Album vorgegeben. Auch wenn der Rest energetischer, bombastischer, brutaler ausfiel. Es war ein guter Anfang. Wenn man joggen geht, dehnt man sich ja vorher auch erstmal. Das war also meine Art des Dehnens, meine Art, den Körper auf die Besteigung dieses gigantischen Bergs vorzubereiten.

Hat Awolnation musikalische Grenzen? Schreibst du Songs, die du für Awolnation nicht nutzen würdest, aber sehr wohl für ein anderes Projekt?

Ich bin sehr liberal, wenn es um Stile, Tempi und dergleichen geht. Für mich macht alles Sinn. Es ist aber ein schmaler Grat, den man bei einem eingängigen Pop-Stück beschreitet. Manchmal schreibt man einen Song, der beinahe zu süßlich ist. Ein paar solcher Beispiele haben es nicht auf das Album geschafft. Auch wenn ich sie mag: Sie machen für dieses Projekt keinen Sinn. Aber vielleicht sind sie ja für etwas anderes cool. Ich wollte schon immer ein Unplugged-Album aufnehmen und werde das eines Tages auch tun. Ob das unter dem Namen Awolnation geschieht, wird man sehen. Ich arbeite auch mit anderen Künstlern, die mir die Möglichkeit geben, neue Seiten zu entdecken. Es gibt definitiv ein paar Dinge, die ich mag, aber mit Awolnation nicht umsetzen würde.

"Es ist ein Privileg, das überhaupt jemand meine Songs hören will"

Die Stücke, die es auf "Here Come The Runts" nicht geschafft haben, sind also keine potenziellen B-Seite-Kandidaten?

Doch, die könnten vielleicht schon auf einer B-Seite landen. Vielleicht empfinde ich das ja ganz anders, wenn die Platte mal länger draußen ist. Wenn die Leute verstehen, worum es auf dieser Platte geht. Ich liebe B-Seiten, manchmal gibt es Stücke, bei denen man sich denkt: "Oh Mann, warum habt ihr das nicht als erste Single verwendet?" Ich muss meinen Instinkten vertrauen.

Wie perfektionistisch bist du im Studio?

Ich versuche, alles so gut klingen zu lassen wie möglich. Ich höre nicht auf, bis ich nicht genau dort bin, wo ich einen Song haben will. Das muss nicht perfekt sein, ein Gesangsteil, der ein wenig off ist, ein übersteuerter Drumpart, ein Gitarrenpart, der etwas hinterher hinkt. Ich mag die menschliche Komponente, das Unperfekte. Ich hoffe, dass das die Leute mit der Musik verbindet.

Es gibt also nicht viel Editing?

Bei den Vocals gibt es keinen einzigen Edit! Auch kein Tuning. Ich singe es einfach ein paar Mal, bis es passt. Nicht immer am Stück zwar, aber so oft es geht in einem Zug.

Hast du kein Problem damit, es aus der Hand zu geben, wenn die Deadline näherrückt?

Weißt du, irgendwann fühlt es sich auch alt an, immer wieder die gleichen Songs anzuhören. Irgendwann sagst du dir "Fuck, ich weiß gar nicht, ob ich die Platte überhaupt mag." Da ist es dann an der Zeit, das Ganze zu vollenden.

Liest du Kritiken zu deinen Alben?

Manchmal, wenn ich drüber stolpere. Beim letzten Album habe ich das gemacht. Ich habe ein paar der besten Kritiken gelesen, die ich je bekommen habe und ein paar, die meine Gefühle ziemlich verletzt haben. Ich bin aber nicht der Typ, der sagt: "Scheiß drauf, ich lese nichts mehr." Natürlich kümmert es mich, was die Leute sagen, aber wichtiger ist mir, was Musikliebhaber sagen.

Als du mit "Sail" großen Erfolg hattest – war das für dich befreiend oder begann da auch ein großer Druck?

Es war von beidem etwas. Größtenteils habe ich damals nicht einmal mitbekommen, was vor sich geht. Als "Megalithic Symphony" immer größer wurde und ein zweites, ein drittes, ein neuntes Leben bekam, war ich mir dessen gar nicht bewusst. Jetzt erst sehe ich, wie toll das war und dafür bin ich dankbar. Wenn du mittendrin bist, realisiert du nicht, dass das jetzt die aufregendste Zeit ist. Es geschah ja nicht absichtlich. Ich hatte mit der ersten Platte keine Erwartungen.

Bei der zweiten wurde es schwieriger – denn da gab es Erwartungen. Nicht von mir, aber von den Leuten. Das war neu für mich: Die Leute waren aufgeregt, freuten sich auf neue Musik. Ich war noch nie in einer Position, in der ich viele Leute enttäuschen konnte. Ich hatte nur ein paar Debütalben gemacht, nie ein zweites Album nach dem Erfolgsalbum. Das war schwer für mich – und ich bin froh, dass ich das hinter mir habe. Die dritte Platte war jetzt fokussiert und klar.

Hat das neue Album ein lyrisches Motiv?

Eher verschiedene Plot-Seitenstränge, die zu einem ganzen gesponnen werden können. Hoffentlich so wie ein guter Film.

Als wir 2011 mit dir gesprochen haben, meintest du, dass es dir egal wäre, wenn die Leute deine Musik gratis hören würden. Ist das nicht etwas viel Punk-Attitüde für ein Label wie Red Bull Records?

Sie haben diese Attitüde ja nicht. Ich will einfach, dass die Songs gehört werden. Die sind meine Kinder, und man möchte, dass sie alle ihre Chance kriegen. Es ist ein komisches Ding. Zugegeben, ich denke ein klein wenig anders über das Thema als früher – aber ja, im Grunde ist Musik gratis. Mehr als 2011, als wir das erste Mal gesprochen haben. Wie auch immer jemand meine Songs hört: Ich freue mich, dass er oder sie sich dafür die Zeit nimmt.

Egal, ob man bei einem Streamingdienst einen Knopf drückt, das Album auf iTunes kauft oder tatsächlich in einen Plattenladen geht und eine CD kauft, was heutzutage ziemlich selten ist – oder eine LP. Wenn man sie illegal downloaded, dann ist das auch in Ordnung. Es ist ein Privileg und es macht mich demütig, dass überhaupt jemand meine Songs hören will.

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