8. November 2022

"Wir bauen uns unser eigenes Disneyland"

Interview geführt von

Zum 20-jährigen Band-Jubiläum kommen Callejon mit einem Studioalbum um die Ecke, bei dem nicht nur die Urheber mehr denn je ins Schwärmen geraten.

Düster, aggressiv und inhaltlich von Zerrissenheit und Ohnmacht geprägt: Das neue Studiowerk von Callejon nimmt den Hörer mit auf eine eindringliche und bisweilen furchteinflößende Reise. Pünktlich zum 20-jährigen Band-Jubiläum präsentieren sich die Düsseldorfer Metalcore-Pioniere auf dem Zenith ihres künstlerischen Schaffens. Kurz vor der Veröffentlichung von "Eternia" trafen wir uns mit dem Gitarristen und Band-Urgestein Bernard Horn und plauderten über das große Ganze, das Songwriting, die Deftones und Muttis Garten.

Euer Sänger BastiBasti ist der Ansicht, dass ihr mit dem neuen Album noch nie so nah an das herangekommen seid, was er sich für die Band, bezogen auf das große Ganze, von Beginn an vorgestellt hat. Hast Du eine ähnliche Wahrnehmung?

Bernhard Horn: Absolut, das sehe ich ganz genauso. Callejon ist ja ein Gesamtkunstwerk, das viele verschiedene Bereiche abdeckt. Neben der Musik spielt ja auch das ganze Drumherum eine wichtige Rolle. Die Musik, die Videos, die Artworks: Das gehört alles irgendwie zusammen in der fiktiven Welt, in der wir uns mit Callejon bewegen. Diesbezüglich haben wir in der Vergangenheit mit dem Album "Fandigo" und der Cover-Platte "Hartgeld im Club" ein paar Experimente gewagt. "Metropolis" ging 2020 wieder mehr zum Kern des Ganzen zurück und wir haben gemerkt, dass wir das noch weiter perfektionieren können. Genau das haben wir jetzt mit "Eternia" versucht. Wir sind mit einem musikalischen Plan ins Studio gegangen. Und den haben wir umgesetzt.

Das letzte Album "Metropolis" stand ja ein wenig unter dem Einfluss von Fritz Lang und seinem gleichnamigen Monumentalfilm-Klassiker. Wer oder was stand denn diesmal inspirationstechnisch Pate?

Naja, bei "Metropolis" haben wir den Titel ja als Projektionsfläche für unser ganz eigenes "Metropolis" genutzt. Diesmal ist es in der Tat wieder ähnlich. Der Titel verkörpert ja das Gefühl von etwas Ewigem. Ich denke mal, dass viele Bands diese romantische Vorstellung von einem Album haben, das bei den Leuten auf ewig in Erinnerung bleiben wird. Wenn man dann, wie in unserem Fall, vom zehnten Studioalbum im zwanzigsten Band-Jahr spricht, dann steckt da bestimmt ein kleines bisschen Romantik mit drin. Auf der anderen Seite schließt sich für uns mit dem Titel auch so ein bisschen unser "Masters Of The Universe"-Kreis. Da haben wir ja ganz zu Beginn unserer Band-Geschichte mal einen Song veröffentlicht, der sich genau um diese oldschoolige Comic-Reihe dreht. Wir bauen uns irgendwie immer unser eigenes Disneyland. (lacht)

In meinen Ohren klingt das neue Album unheimlich facettenreich. Ich brauchte mehrere Durchläufe, um das Gefühl zu haben, wenigstens die Hälfte des Ganzen irgendwie erfasst zu haben. Wie lange sitzt ihr eigentlich an euren Songs?

Oh, das ist total unterschiedlich. Manchmal habe ich ein Riff am Start, das ich Basti schicke und der baut da in Windeseile ein Songgerüst drumherum. Andere Ideen reifen manchmal über Wochen und Monate, ehe man Licht am Ende des Tunnels erblickt. Das kommt immer auch auf den Flow an. Man muss einfach checken, was der Song von einem will. Es gibt auch Song-Ideen, die bereits beim vorigen Album auf dem Tisch lagen und erst beim nächsten Studiobesuch in irgendeiner Form wieder auftauchen. Das ist wirklich ein Prozess, den man nie planen kann.

"So richtig laut wird's bei uns nie"

Jeder weiß, dass euer Sänger Basti die treibende Kraft hinter dem großen Ganzen ist. Wie kann man sich die Arbeit hinter dem Vorhang vorstellen, wenn es um die Feinheiten und die Detailarbeit geht? Sind beispielsweise alle Bandmitglieder ab einem gewissen Moment am Songwritingprozess beteiligt?

Wie Du schon richtig sagst, hat Basti das große Ganze im Fokus. Er ist für das komplette Erscheinungsbild des Kunstwerks zuständig. Natürlich fließt von seiner Seite auch unheimlich viel Musikalisches mit ein. Aber auch unser zweiter Gitarrist Christoph und meine Wenigkeit steuern viele Songideen mit bei. Dieses Dreiergespann hat sich in den letzten Jahren sehr gut eingespielt. In diesem Konstrukt sind auch alle happy und glücklich.

Ich kann mir bei den doch sehr komplexen Songs gut vorstellen, dass ein gewisses Maß an Kompromissbereitschaft mindestens so wichtig ist, wie die Fähigkeit, das jeweilige Instrument zu beherrschen. Fetzt ihr euch schon mal beim Austauschen und Besprechen von neuen Ideen?

So richtig laut wird's bei uns nie. Natürlich diskutieren wir viel, wenn es um Songideen geht. Da gibt es dann auch schon mal Momente, in denen nicht jeder sofort mit allem einverstanden ist. Aber dann reden wir ganz offen darüber. Manchmal schläft man ein paar Nächte drüber, das ist dann aber auch schon das Heftigste, was wir bisher hatten. Am Ende hat sich noch nie einer hingestellt und gesagt: Auf dem oder dem Album sind Parts drauf, die ich überhaupt nicht leiden kann. Das kommt bei uns nicht vor.

Gibt es für Dich als Gitarrist der Band bestimmte Songs auf dem neuen Album, auf die Du dich hinsichtlich der kommenden Konzerte besonders freust?

Das ist unheimlich schwierig. Wir haben den Song "Tor Des Todes" schon auf ein paar Festivals angetestet. Das hat auch super Laune gemacht. Ich freu mich aber auch auf "Mary Shelley" und vor allem auch auf den Titeltrack. Ich denke, wenn ich mich festlegen müsste, dann würde ich den Song "Eternia" ganz oben auf die Liste setzen.

Ich find ja "Hexenhaus" ziemlich cool. Der erinnert mich ein bisschen an die Deftones.

Ja, die Deftones sind schon ein richtig großer Einfluss für uns, auch wenn ich nicht sagen würde, dass wir allzu oft genauso klingen. Das sind dann meist eher nur so Akzente, gerade wenn es so um die Atmosphäre eines Songs geht.

Lasst Ihr euch während des Songwritings bewusst von anderer Musik inspirieren?

Wenn überhaupt dann nur von Musik, die erstmal so gar nicht nach Callejon klingt. Für mich wäre das einfach zu viel Geballer, wenn ich mir während des Schreibens auch noch krasse Metal-Sachen anhören würde. Ich brauche dann eher Gegenpole. Ich höre gerne Soundtracks oder Ambient-Sachen. Manchmal lege ich auch ein Album von Bohren & Der Club Of Gore auf. Das ist so minimalistisch instrumentierter Doom-Jazz. Da kann ich wunderbar abschalten.

"Basti ist ein Arbeitstier"

Ihr feiert in diesem Jahr euer 20-jähriges Band-Jubiläum. Welche Gefühle kommen da rückblickend hoch? Ist die Zeit rasend schnell vergangen oder fühlen sich die zwanzig Jahre auch wie zwanzig Jahre an?

Eigentlich denke ich: Was? Wie können das zwanzig Jahre gewesen sein? Auf der anderen Seite ist es natürlich so, dass man sich innerhalb der Band oder im engeren Freundeskreis schon darüber im Klaren ist, was man in dieser Zeit alles so erlebt hat. Da kommt dann auch schon rückblickend ganz schön viel zusammen. Ich meine, wir haben jetzt zehn Alben aufgenommen. Zu jedem Album gibt es eine ganz besondere Geschichte. Dann ist man schon etliche Male auf Tour gewesen. Da sind so viele verschiedene Eindrücke gesammelt worden. Also es ist schon echt viel passiert.

Wenn Du die allerersten Band-Erinnerungen hervorkramst: Was kommt da zum Vorschein?

Oh, da muss ich gar nicht lange nachdenken. Zuerst waren ja nur Basti und ich am Start. Wir hatten einfach Bock, Musik zu machen. Damals waren wir so 16 oder 17. Ich weiß noch, wie wir bei uns in einen Musikladen gestürmt sind und uns dort eine kleine Gesangsanlage und einen Amp ausgeliehen haben. Ich hatte ja damals nur eine Gitarre, mehr nicht. Wir haben dann im Garten von Bastis Mutter alles aufgestellt und dort die erste Probe abgerockt. Das war ziemlich irre.

Gab es einen bestimmten Moment, in dem Dir klar wurde, dass man mit dieser Band auch Größeres erreichen könnte?

Eigentlich wollten wir immer nur spielen. Wir hatten Lust auf Konzerte. Wir wollten an den Wochenenden mit unseren Kumpels abhängen, Musik machen und einfach nur feiern. Das war die Basis. Am Anfang hatte noch keiner von uns den Traum von einer professionellen Musiker-Karriere im Hinterkopf. Das kam alles erst viel später. Bei mir kam es erstmals zu solchen Gedanken, als wir unseren ersten Deal mit "My Favorite Toys Records" unter Dach und Fach hatten. Da dachte ich mir dann: Wow, jetzt geht's richtig los! (lacht)

Basti und Du, ihr seid die letzten verbliebenen Ur-Mitglieder der Band. Was macht eure Beziehung zu einer Besonderen?

Wir haben den Grundstein gelegt. Wir waren ja schon vor der Band befreundet. Aber mit Callejon ist das Ganze noch einmal krasser zusammengewachsen – sowohl auf musikalischer wie auch auf der persönlichen Ebene. Für uns gab es in den letzten zwanzig Jahren nur Callejon. Das war und ist glücklicherweise auch immer noch ein sehr, sehr fruchtbares Konstrukt. Basti ist einfach ein Arbeitstier. Das schätze ich unheimlich an ihm. Er ordnet alles der Band und der Entwicklung des Ganzen unter. Hinzukommt, dass er ein großartiger Künstler und natürlich auch ein sehr, sehr guter Freund ist. Da ist einfach ganz viel Vertrauen vorhanden.

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