Chapo102

Was geht in Leer? Die Stadt in der Ecke Deutschlands ganz oben links, im Grunde direkt neben Holland und der Nordsee, hat musikkulturell nicht allzu viele berühmte Exportgüter anzubieten. Eins davon sind die 102 Boyz, die in der zweiten Hälfte der 2010er-Jahre mit ihrem blondschöpfigen Kleinstadt-187-Stick deutschlandweit viral gehen. Songs wie "Bier" mit BHZ oder Hooks wie "Saufen hat noch nie so viel Spaß gemacht" machen die programmatische Marschrichtung eigentlich recht klar. Da hätte sich ja eigentlich niemand gefragt: Schön und gut, aber wer ist eigentlich der Justin Timberlake der Gruppe?

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Aber manchmal passieren eben wunderliche Dinge. Und weder Addikt noch Kkuba noch Skoob wären es gewesen, die man bedenkenlos einem Song mit Philipp Poisel hätte aussetzen können. Denn eigentlich sind die 102 Boyz als Elternschreck viel zu effektiv, um sie auf den Mainstream loszulassen. Doch je weiter sie ihre "Asozial Allstars"-Reihe Richtung kommerziellen Erfolges in Deutschland und Polen schieben, je mehr sie auf Splash!- und Frauenfeld- Bühnen stehen, zeichnet sich ab, dass sich da ein Fenster in Richtung Mainstream öffnet. Und dieses Fenster heißt Chapo.

Der Mann sieht auch trotz der New Kids-Glatze ziemlich ansehnlich aus, hat diese etwas anschmiegsamere Stimme und zeigt der Deutschpop-Maschinerie irgendwann, dass er durchaus mit der vermaledeiten Beatzarre-Hitmaschine umgehen kann. Dabei gewinnt er Standout-Status 2020 erst damit, dass er als 102-Botschafter Features mit den neuen Berliner Hypekids Pashanim und Kasimir aufnimmt. Der Song "Parkbank" mit ebenjenem Kasimir zeigt dann, dass da durchaus auch direktes Pop-Potential vorhanden ist.

2022 steppt der Bär dann aber wirklich. Nicht nur, weil er auf der Juju-Single "Erkläre Mir Die Liebe" mit Philipp Poisel gefeaturet wird und das erste Mal auf einer deutschen Radioschmonzette gastiert, sondern weil er da ein Soloalbum vorlegt, das triefiger nicht klingen könnte. "Countryclub" ist Deutschpop pur, Songs wie "Missed Calls" hätte man wahrscheinlich auch bedenkenlos an jeden Artist der gleichen Verwertungsgesellschaft geben können.

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Aber wenn er es gut macht, warum ihn dann davon abhalten, ein Popstar zu werden? Immerhin zeigt er auf Songs wie "Tokyo Drift", dass er mit seiner eigentlichen Crew immer noch auf die gleiche Art und Weise abreißen kann. Trotzdem fühlt es sich zunehmend lustig an, wenn er Pop-Rock-Singles von Nina Chuba gastiert und man dem vorzeigbaren Schönling im Video ab und zu eine Bierflasche in die Hand drücken muss, um daran zu erinnern, dass er eigentlich dieser rüpelhafte Assi sein soll. Ja, so schnell geht das im deutschen Pop-Rap. Der Weg vom Elternschreck zum Musterschwiegersohn ist manchmal eine Schnellstraße.