laut.de-Biographie
Charles Hamilton
Kurzzeitig klingt es wie der wahr gewordene amerikanische Traum. Ein talentierter junger Mann, infolge seines verlorenen Kampfes mit Drogen auf der Straße gelandet, gelingt mit Hilfe seiner musikalischen Kreativität und Ambitionen der Absprung. Bald findet er sich auf dem Cover des amerikanischen XXL Magazins wieder und wird von der Szene als viel versprechender Newcomer gehandelt.
Doch manchmal steht man sich selbst im Weg: Mit eigenem Unvermögen, Szene-verschrieenen Ausrutschern und einem Schuss Selbstüberschätzung katapultiert sich der angehende Star schnell wieder in die Versenkung. Charles Hamilton fällt in nur wenigen Monaten vom gefeierten Jungspund zum belächelten Idioten - eine Hip Hop-Seifenoper.
Im November 1987 erblickt der angehende Freigeist in Cleveland das Licht der Welt. Seine Mutter, eine Musik-Journalistin, versorgt den Filius mit einer breiten Palette musikalischer Einflüsse. Doch erst der Umzug in den New Yorker Stadtteil Harlem lässt den talentierten Jugendlichen an eine musikalische Karriere denken.
Seine Cousine, die weibliche Rap-Legende MC Lyte, hat ihm den steinigen Weg in die Industrie vorgemacht. In der Großstadt gerät Charles Hamilton jedoch an die falschen Leute. Es folgen Drogensucht und schließlich sogar das zeitweilige Leben auf der Straße.
Seine künstlerischen Ambitionen retten den gerade volljährig Gewordenen. In der Frederick Douglass Academy, einer öffentlich finanzierten Lehranstalt in Harlem, darf er das dortige Studio benutzen und verarbeitet in der Folge in unzähligen Mixtapes sein kurzes aber dennoch aufreibendes Leben.
Mit Unterstützung der einschlägigen US-Blogs veröffentlicht der Rapper und Produzent Free Download-Mixtapes wie am Fließband und macht die Geldgeber der Majorlabels auf sich aufmerksam. Die neugewonnenen Fans erfreut Charles Hamilton durch sein Talent an Mikrofon und Sampler gleichermaßen. Lediglich seine krankhafte Begeisterung für den Videospiel-Charakter Sonic the Hedgehog und die Farbe Pink hinterlassen Verwunderung bei den Meinungsmachern.
Major-Riese und Eminem-Label Interscope findet jedoch Gefallen an dem Rapper, an dem sich die Geister scheiden. Dort nimmt man den motivierten Künstler unter Vertrag. Bald folgt der Ritterschlag, das Bild auf dem Cover der Next Generation-Ausgabe des XXL Magazins neben Asher Roth, Wale und KiD CuDi.
Doch rasch wird klar, dass sich das A&R-Team von Interscope keine konventionelle Geldkuh in den Stall geholt hat. Nach und nach legt sich Charles Hamilton immer wieder neue Eier ins eigene Nest. Die Szene reagiert erst mit Unverständnis, dann mit Spott, der aber bald in blinden Hass übergeht.
Zuerst wird bekannt, dass Hamilton den Beat eines nur lokal bekannten Produzenten als seinen eigenen verkauft hat. Der Bite-Vorwurf wiegt schwer im Hip Hop-Geschäft, Hamilton kann den Vorwurf nicht entkräften. Bald darauf taucht zudem ein Internet-Clip auf, in dem Hamilton von seiner angeblichen Freundin einen Fausthieb verpasst bekommt. Im Testosteron-schwangeren Rap-Genre avanciert Hamilton schnell zur ganz großen Lachnummer.
Den Todesstoß verpasst sich der geschlauchte Rapper selbst. Als erste Bilder des Covers seines Interscope-Debüts "This Perfect Life" auftauchen, reagiert die Szene mit gehässigem Entsetzen. Als Executive Producer führt Hamilton den verstorbenen Produzenten J Dilla an. Ein Unding, weil Dilla von seinen etlichen Verehrern schmerzlich vermisst wird und Hamilton selbst nie mit dem Detroiter bekannt war. Aus der intentionierten Ehrerbietung machen seine auf den Plan gerufenen Gegner einen unentschuldbaren Affront.
Hip Hop-Heads haben für Hamilton nur noch Hass übrig, auch weil sich dieser in Widersprüche verstrickt, die ihn nicht besser aussehen lassen. Auf den Fauxpas angesprochen, antwortet der Gehörnte, die Dilla-Verbeugung sei mit dessen Familie abgesprochen gewesen. Zu seiner Verwunderung weiß Dillas Mutter, die direkte Nachlassverwalterin, davon überhaupt nichts.
Interscope verpasst dem aufmüpfigen Mitarbeiter schnell einen Medien-Maulkorb, weil Hamilton immer wieder auf seinen diversen Social Networking-Seiten die brodelnden Diskussionen weiter befeuert. Pünktlich zum angekündigten VÖ-Termin von "This Perfect Life" im August 2009 ist es jedoch verdächtig still um Hamilton. Es kommt, wie es kommen musste: Interscope verkündet, der umstrittene Rapper sei aus seinem Vertrag entlassen worden.
Die kurze, aber intensive Rap-Karriere des Charles Hamilton hat ein jähes Ende genommen. Die Eigeneinschätzung auf seiner MySpace-Seite erscheint nach dem turbulenten Karriere-Auf-und-Ab tragisch realistisch: "Man hat mir vieles nachgesagt und vieles nicht nachgesagt. Aber eine Sache, bei der ich darauf bestehe, dass man sie mir nachsagt: Ich bin real."
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