6. Mai 2016
"Es war die Hölle"
Interview geführt von Kai ButterweckKnapp vier Jahre nach ihrem letzten Studio-Lebenszeichen veröffentlichen die Deftones dieser Tage endlich ihr neues Album "Gore". Zuvor waren aber einige Hürden zu überwinden.
Das neue Deftones-Album "Gore" hätte eigentlich schon vor Monaten ins Rennen gehen können. Doch irgendwie passte der End-Mix nicht so richtig. Die Folge: Alles auf Anfang. Nun ist es aber endlich so weit.
"Gore" hat alles, was ein gutes Deftones-Album auszeichnet. Die Mixtur stimmt mal wieder. Hart und zart: Kaum eine andere Band hat den Dreh so dermaßen gut raus, wenn es um eine Melange aus laut und leise geht. Zwei Monate vor der Veröffentlichung des Albums verriet uns Sänger Chino Moreno im Interview, was es mit fliegenden Flamingos auf sich hat, wieso die Band diesmal einen anderen Produktionspfad einschlug und wie wichtig es war, alte Gepflogenheiten ad acta zu legen.
Chino, eure Fans erfreuen sich dieser Tage an einem spannenden Puzzlespiel. Ihr veröffentlicht momentan in regelmäßigen Abständen ein Teilstück des neuen Albumcovers. Bisher gibt es zwei Bilder zu bestaunen. Darauf zu sehen sind jede Menge fliegende Flamingos. Es sieht ehrlich gesagt nicht so aus, als würde sich am Grunddesign der Aufnahme noch viel ändern. Sprich: "Gore" kommt also nicht mit einer versteckten visuellen Hommage an Martin Gore um die Ecke. Wäre aber gar nicht so abwegig gewesen, oder?
Chino Moreno: Nein. Mittlerweile sollte sich rumgesprochen haben, dass ich eine Schwäche für die Musik von Depeche Mode habe. Ein Foto von Martin Gore hätte demnach sicherlich gut gepasst. Ich habe dahingehend ja auch schon ein paar Späßchen gestreut. Mir ist ja nicht entgangen, dass sich die Leute nach der Bekanntgabe des Albumtitels viele Gedanken darüber gemacht haben, wie das Cover vielleicht aussehen könnte. Nun gibt es aber fliegende Flamingos zu bewundern.
Steckt da eine Geschichte hinter?
Nicht wirklich. Es ist einfach ein schönes Bild, das die Intensität der Musik gut widerspiegelt. Früher als Teenager habe ich oftmals Alben nach den ansprechendsten Coverartworks ausgesucht. Ich war fasziniert von den Bildern. Meistens hatte ich überhaupt keine Ahnung, um welche Band und um welche Musik es sich handelte. Wenn mir das Cover gefiel, habe ich einfach zugegriffen. Vielleicht ticken ja manche Leute heute auch noch so.
Nötig hättet ihr es aber nicht. Ihr grüßt schließlich vom oberen Ende der Business-Nahrungskette.
Es geht uns gut. Wir können uns nicht beschweren. Aber wir wollen natürlich auch, dass es so bleibt. Mit Albumverkäufen allein kommt man heute nicht mehr weit. Geld verdient man eigentlich nur noch mit Tourneen. Insofern guckt man schon, dass man den Leuten auch einen Anreiz bietet. Und wenn ein paar fliegende Flamingos dabei helfen: warum nicht? (lacht)
"Gore" klingt irgendwie anders als eure vorherigen Werke. Stehe ich da alleine mit meiner Meinung? Oder ist dir das auch von anderen zu Ohren gekommen?
Das sagen viele Leute. Und ich bin froh darüber. Wir verfolgen nicht den Plan uns zu wiederholen, nur weil das eine oder andere Album vielleicht besonders gut gelaufen ist. Sicher, wir könnten es uns einfach machen und alle zwei Jahre ein neues "White Pony" aufnehmen. Aber da haben wir keine Lust drauf. Wir sind zwar schon lange dabei. Aber wir erfinden uns immer wieder gerne neu. Wir werden wahrscheinlich nie ein Dance-Album aufnehmen oder die Fans mit Thrash-Metal schocken. Das Fundament bleibt. Aber jedes neue Deftones-Album lebt vor allem von seinen Nischen. Und dort verstecken wir immer wieder gerne Neues. Meist hört man die Veränderungen auch erst nach mehreren Durchläufen raus. Es geht also gar nicht so sehr um die Oberfläche. Je tiefer man allerdings gräbt ... So sind wir halt. Und so wird es auch bleiben.
"Wir wollen keinen Schritt mehr zurück gehen"
Einer der neuen Songs überrascht gar mit einem klassischen Gitarrensolo ("Phantom Bride"). Der Name Jerry Cantrell (Alice In Chains) geistert dahingehend seit einigen Wochen durchs World Wide Web. Zurecht?
Ja. Jerry hat uns für diesen Part im Studio besucht. Eigentlich haben wir ja mit Gitarrensolos nicht viel am Hut. Das passt irgendwie nicht zu uns. Aber in diesem Fall war es einfach so, dass wir den Part irgendwie nicht richtig füllen konnten. Also haben wir uns hingesetzt und überlegt, wer oder was uns helfen könnte. Irgendwann fiel dann Jerrys Name. Wir kennen uns ja schon sehr lange. Und die Vorstellung passte irgendwie. Er kam dann vorbei und legte einfach los. Es gab keinerlei Vorgaben von uns. Wir ließen ihm völlig freie Hand. Und er enttäusche uns nicht.
Es gibt auch einige Songs, bei denen man das Gefühl hat, ihr hättet euch besonders viel Zeit für das Songwriting genommen. War dem so?
Wir haben uns diesmal generell mehr Zeit genommen. In den Jahren zuvor hatten wir immer einen strikten Produktionsplan im Hinterkopf. Jeder hatte einen zeitlichen Rahmen zur Verfügung. Diesmal lief es entspannter ab. Wir haben uns kein Zeitlimit gesetzt. Jeder sollte so kreativ wie möglich arbeiten können. Dafür braucht es aber Zeit. Und die haben wir uns einfach genommen. Weißt du, mittlerweile ist es einfach so, dass wir eine gewisse Erwartungshaltung haben. Wir wollen keinen Schritt mehr zurück gehen. Und das wissen auch unsere Fans. Ich weiß, dass sich viele Leute da draußen über eine vorzeitigere Veröffentlichung gefreut hätten. Aber diese Leute wissen auch, dass wir nichts rausgeben, das sich nicht zu hundert Prozent mit unseren Erwartungen deckt. So ist auch kein Druck entstanden.
Auch nicht, als es plötzlich Mixing-Probleme gab?
Nein. So etwas gehört dazu. Wir waren mit dem ersten Endmix einfach nicht ganz zufrieden. Also sind wir das Ganze ein zweites Mal angegangen. Manchmal passt es einfach nicht. Dann muss man sich gedulden und hart dafür arbeiten, dass man wieder in die Spur zurück findet. Das haben wir getan.
Wie lief die Arbeit im Kollektiv ab? Es soll in der Vergangenheit ja Spannungen gegeben haben – insbesondere zwischen Stephen (Stephen Carpenter, Gitarrist) und dir.
Wir waren irgendwann an dem Punkt, wo wir fast nur noch miteinander telefoniert haben. Das wollten wir beide wieder ändern. Wenn man gemeinsam kreativ sein will, muss man sich dabei in die Augen schauen. Darüber mussten wir uns beide erst einmal wieder klar werden. Als es dann aber soweit war, griff ein Rad ins nächste. Ich bin sehr froh über diese Entwicklung.
"Man kann das mit Worten gar nicht beschreiben"
Dieses neue Wir-Gefühl wäre aber um ein Haar wieder zerstört worden. Stichwort: Paris. Ihr wart zum Zeitpunkt der Terror-Attacken vor Ort. Stephen war an jenem Abend sogar im Bataclan.
Ja, das stimmt. Es war grausam. Glücklicherweise blieb er nicht lange. Hätte er sich nur einen Song der Eagles (Eagles Of Death Metal) mehr gegönnt, wäre er heute wahrscheinlich gar nicht mehr unter uns. Das Ganze zu verarbeiten, fällt uns allen unheimlich schwer. Ich meine, da waren tausend Kids, die einfach nur ihren Spaß haben wollten. Und dann passiert so etwas. Man kann das mit Worten gar nicht beschreiben. Es macht einfach nur traurig.
Du warst während der Angriffe mit deiner Tochter und deiner Frau im Hotel.
Ja. Wir sollten einen Tag später im Bataclan auftreten. Für meine Tochter war das eine ganz besondere Reise. Sie war das erste Mal in Europa. Und dann gleich in Paris. Das war sehr aufregend für sie. Zudem sollte sie auch das erste Mal während eines Konzertes ihres Vaters neben der Bühne stehen. Es war also für uns alle etwas Besonderes. Wir hatten dann kurz überlegt, ob wir nicht auch noch zu den Eagles gehen. Zum Glück haben wir uns aber noch umentschieden.
Wo war der Rest der Band?
Die anderen waren ebenfalls in der Stadt unterwegs. Als wir im Hotel von den Ereignissen hörten, wussten wir also erstmal gar nicht, wie es allen geht. Da war nur Angst. Man fühlte sich ohnmächtig und hilflos. Als wir uns dann irgendwann alle trafen, hatten wir alle Tränen in den Augen. Wir wollten dann nur noch weg.
Ihr habt bereits kurz danach auch eure restlichen Konzerte abgesagt. Habt ihr dahingehend innerhalb der Band diskutieren müssen? Oder waren sich alle einig?
Da waren wir alle ganz klar. Ich weiß, dass es Künstler und Bands gibt, die dieser Tage einen anderen Weg gehen und teilweise sogar Extra-Shows buchen. Davor ziehe ich meinen Hut. Für uns kam das aber nicht in Frage - zu keiner Zeit. Ich habe ehrlich gesagt auch noch keinen blassen Schimmer, wie ich mich fühlen werde, wenn ich das nächste Mal auf einer Bühne stehe. Diese Vorstellung macht mir schon ein bisschen Angst.
Verständlich.
Wenn ich eine Bühne betrete, dann bin ich mir bewusst, dass ich in der Lage bin mein Bestes zu geben. Momentan geht aber gar nichts. Mein Kopf ist irgendwie leer. Ich weiß aber, dass der Tag kommen wird. Ich weiß nur noch nicht, wann das sein wird.
Wer steht dir dieser Tage besonders zur Seite?
Meine Familie und mein Umfeld. Wir reden viel. Ich meine, ich war nicht in der Halle, wurde nicht verletzt und habe auch niemanden aus meinem engsten Kreis verloren. Aber es war auch so die Hölle.
Das kann ich mir vorstellen. Ich danke dir für deine offenen Worte.
Ich danke dir. Jedes Gespräch bringt mich dieser Tage ein Stück weiter zurück ins Leben.
2 Kommentare mit 4 Antworten
Gutes Interview. Dass das Album nicht der Überkracher ist, ist verschmerzbar. Ihr Output war immer sehr wechselhaft und nach dem letzten Album waren die Erwartungen sehr hoch.
Seh ich nach wie vor anders. "GORE" bringt mir mindestens 2 weitere Alltime-Favs für die deftones-Playlist und ist das dritte mindestens solide Album hintereinander im dritten aktiven Aufnahmejahrzehnt. Läuft nicht mehr auf Heavy Rotation, aber seit "deftones" setzen sich bei mir eh immer nur die persönlichen Highlights der Platten auf der eigenen Playlist fort, weniger die Platten als ganzes. Damit stehen deftones aber immer noch besser da als JEDE andere mir bekannte Band, die zur selben Zeit bekannt wurde und die ich damals mochte.
Tool und FNM sind in der Rechnung dank meines älteren Cousins außen vor, da ich die dank ihm bereits in der "Angel Dust" bzw. "Undertow"-Phase kennenlernte - aber da spricht die kontinuierliche Aktivität ohne Nullnummern ebenfalls für deftones.
Das Interview indes find ich, bis auf den einfühlsamen und persönlichen Teil am Schluss, eher "Standard" von erstem Drittel bis nach der Mitte. Aber man muss wohl auch erst beiderseits reinkommen bei den eigenen ersten Interviews nach solchen Erlebnissen, insofern hat der Hr. Butterweck das schon sehr galant gelöst. Für "Aufnahme- und Studio"-Freaks wie mich noch etwas zu oberflächlich was den Prozess selbst und ihre Experimente betrifft, aber die Fanseele wird dennoch ausreichend bedient. Thx for this!
Welche sind deine beiden Favourites des Albums?
Xenon und Heart/Wires bestimmt.
Gore ist sicherlich nicht schlechter als Diamond Eyes, aber White Pony, Koi No Yokan und Around the Fur sind schon besser. Saturday Night Wrist und Deftones hab ich nie gehört, die scheinen ja nicht so toll zu sein.
Dieser Kommentar wurde vor 7 Jahren durch den Autor entfernt.
@battlefire / olivander
Hearts/Wires, Phantom Bride (Cantrell ftw), Rubicon (Closer liegen den deftones, die sind auf beinahe jedem Album bei den besten Stücken der Platte, imho)
@olivander
Saturday Night Wrist gilt bis heute als das "Experimentalwerk", da ist sogar ein Instrumentaltrack drauf. Ist bei Fans wie Kritikern eher Top 3 als Top 5 der deftones-Alben. Ging damals nicht so an mich, hat aber gut 3 Jahre später kurz vor Diamond Eyes richtig bei mir gezündet. "Hole in the earth", "U,U,D,D,L,R,L,R,select,start (das Instrumental) und "Kimdracula" sind m.E. würdige Nennungen bzw. Aushängeschilder dieser Platte.
"Deftones" wird von vielen als das Stiefkind behandelt. Kam nach "White Pony", die Erwartungen lagen astronomisch hoch und waren wohl kaum zu erfüllen. Hier herrscht streng genommen Stagnation auf höchstem Niveau, entsprechend finden sich mit "Battle-Axe", "Minerva" und "Moana" eher Tracks auf meiner Alltime-Fav Liste, welche die klassischen trademarks der deftones bündeln.
@rummrichard
Da muss ich dich korrigieren. "deftones" enthält ausschließlich Eigenkompositionen (s.o.). Was du meinst, ist für den amerikanisch/europäischen Raum "B-Sides & Rarities" von 2005 sowie ergänzend "Covers" von 2011. Da sind jedoch auch ziemliche Luftnummern dabei, hervorzuheben ist lediglich der Mut einer Band, auch Sachen zu veröffentlichen, die hörbar Griffe ins Klo waren. Ausnahme bleibt sowas wie das Duran Duran-Cover "The Chauffeur", welches in der Tat besser ist als das Original, wobei DD die Latte musikalisch nie sehr hoch gehängt haben (Einspruch diverser Red.-Mitarbeiter in 3..2..1).