4. April 2023
"Ich fühle mich mit Will.I.Am verbunden"
Interview geführt von Yannik GölzAuf ihrem aktuellen Album "Neues vom Dauerzustand" perfektionieren Deichkind ihren Dance-Dauerzustand. Zeit für ein Zoom-Gespräch mit Kryptik Joe.
Dieses Interview erwischt mich zur richtigen Zeit. Ich bin gerade erst durch eine seltsame Black Eyed Peas-Nostalgie durch, habe über die Entwicklung von Rap und Electronica nachgedacht und bin bereit für Perspektiven von außen. Stellt sich raus: Kryptik Joe von Deichkind ist sehr dankbar bereit, genau das mitzuliefern.
Die Hamburger haben in Deutschland so etwas wie einen abgeschwächten Legendenstatus inne. Sie sind ein Act mit immenser Präsenz und mit mehr als ein paar Songs, die Partys heute noch komplett in Brand setzen. Und doch haben sie immer ein bisschen neben der Szene her existiert. Das ist faszinierend, denn viele Entwicklungen, die besagte Szene in den letzten Jahren erst durchmachte, haben Deichkind vorweggenommen. Ihr neues Album "Neues Vom Dauerzustand" verstärkt dieses Gefühl einer musikalischen Insel, einer musikalischen Isolierstation, wo seit nunmehr über zwanzig Jahren der eigene Sud gebraut wird.
Man darf Deichkind Island betreten und verlassen, aber ich interessiere mich doch, wie genau von dort auf die Außenwelt geschaut wird. Und siehe da: Recht schnell reden wir über David Byrne, Clueso, über Earth, Wind & Fire, aber auch über Will.i.Am.
Ich hab mir jetzt ein paar Interviews mit euch reingezogen, gerade aktuelle, und hatte ein wenig das Gefühl, dass euch dieses ganze Ding, über Deichkind zu reden, ein wenig erschöpft. Habt ihr das Gefühl, was ihr macht ist selbsterklärend?
Ja, es ist halt manchmal so, was wurden wir denn gefragt, zum Beispiel zum Albumtitel "Neues Vom Dauerzustand". Wir haben eben nach einem Albumtitel gesucht, da haben wir anfangs viel durchprobiert und in den Raum geworfen, auch Songtitel. Das hat ewig gedauert, bis Henning drei oder vier Theaterstücktitel von Rene Pollesch nannte, und eins davon wurde eben der Titel.
Ist das dieses Niveau deshalb darum jetzt mit den Theaterreferenzen aufzuwarten?
(lacht) Naja, das ist ja schon immer ein Teil von uns gewesen. Theater gehört ja zu uns – und wir wollten das dann auch unerklärt lassen, warum jetzt eigentlich. Wir haben alle drei gefühlt, das ist es jetzt und dann kam eben häufig von außen die Frage nach dem Albumtitel. Aber das ist doch wie einen Witz erklären: Die Pointe steht da! Es nochmal zu erklären wäre doof.
Es wurde dann ja sofort als euer Lockdown-Album erklärt, oder?
Gut, das ist ja auch, was uns am Ende umgetrieben hat in den letzten Jahren. Eigentlich ist es alles ja trotzdem so, wie es immer war, dass wir uns zusammengesetzt haben und Texte geschrieben, Songideen zusammengewurschtelt haben, quasi. Aber es war halt ein bisschen anders, weil so eine extreme Situation geherrscht hat, von der man auch existenziell nicht wusste, ob es nicht weiterging. Und das ist halt dringeblieben. Wenn wir uns denken – okay, wenn es jetzt kein live mehr gibt, was kann ich dann eigentlich mit Musik anfangen? Soll ich jetzt Songs schreiben? Remixe produzieren? Studiomusik kannst du ja noch machen. Aber schon der Gedanke, damit Geld zu verdienen irritiert mich. Dann würde ich doch lieber einen Buchladen aufmachen.
Einen Buchladen aufzumachen ist ja eh der totale Traum. Könnte man sicher sein, dass es läuft, ich würde sofort.
Ja, oder? Ich finde das auch immer so toll, wenn man in Berlin in so tolle Buchläden geht. Die Leute, die das betreiben, alle sind super.
Ey, ich sag dir! In meiner alten Heimat gab es diesen einen Buchhändler, Wolfgang, der hat in seinem kleinen Laden gehockt, jeden Kunden mit Namen gekannt, er hat dir aus Prinzip immer Kaffee oder Tee angeboten und dir irgendetwas vorgelesen, bevor er auch nur darauf gekommen ist, dir etwas verkaufen zu wollen. Ich vermisse ihn!
Das hat eben so etwas antikommerzielles auf eine Art. Wir dagegen hängen ja auch mit der letzten Tour immer in so einem Limbo, wir waren zwar erfolgreich, aber man lässt auch Federn. Nun ist die Pandemie ja - wenn es denn wahr ist - so weit es geht überstanden und wir sind Profis und machen weiter und gucken, was da jetzt kommt. Das Projekt bleibt wohl erstmal das gleiche. Mal gucken, wie viel Spaß es bringt. Letzten Sommer durften wir ja wieder live auftreten, das war für die Gruppe auch gut und wichtig. Mal wieder nach draußen zu gehen und ein Gefühl zu kriegen, wofür man es eigentlich macht. Davon hat man sich entfremdet im Lockdown. Da hat man sich eher ins Abstrakte reingearbeitet. Ins Dunkle rein.
"Ich war früher nie ein Festival-Gänger"
Das ist interessant, weil das deckt sich mit dem Eindruck vom Album und darüber wollte ich tatsächlich reden. Es gibt dieses Buch von David Byrne: "Wie Musik Funktioniert".
Warte! (springt auf)
Hast du's auch rumliegen?
(Kommt mit dem Buch in der Hand zurück)
Ah, das ist toll, oder? Genau das mein ich! Da gibt es dieses eine Kapitel, das kennst du ja auch, in dem es darum geht, wie das Setting mit der entstehenden Musik zusammenhängt. Also, dass Oper so gesungen wird, weil man im 15. Jahrhundert die feiernde Crowd übertönen musste oder das eine bestimmte Anlage in einem sehr populären Punk-Club beeinflusst, auf welchen Raum die da entstehenden Bands ihren Sound auslegen. Und Deichkind scheint mir ein sehr gutes Beispiel dafür zu sein, oder? Ihr wart ja schon immer erst eine Vision von einer Abrissparty auf einer großen Festival-Anlage, die von da rückwärts in die Form von Musik geflossen ist, oder?
Ja, genau, da war erst eine Vision und dann Schritt für Schritt ruckwärts eine Umsetzung. Auch mit der achten Platte jetzt haben wir immer im Hinterkopf behalten, dieses Szenario zu bespielen. Wir wollen am Ende des Tages große Bühnen bespielen. Und wir haben auch unsere Schwierigkeiten damit, wenn in den Anfragen steht, dass die Bühne nicht 16x10 Meter groß ist. Das ist für uns mies, da sagen wir manchmal ab, auch wenn das für uns lukrativ ist. Wenn sie uns diese Bühnengröße nicht bieten können, dann geben wir als Act nicht so viel Sinn! Wir haben total darauf hingearbeitet, diese Größe zu bespielen, auch mit den Omnipods und der Liveshow, das ist auf Festivals auch immer ein Spießrutenlauf. Dieser Changeover, wenn du als Mainact spielst und am Schluss bist – und alle Bands schaffen ihr Zeug rauf und runter und wir haben dann eine halbe Stunde, unser ganzes Ding aufzubauen.
Logistisch ist das ordentlicher Aufwand, oder?
Darauf haben wir uns spezialisiert. Aber wenn das Ding dann kleiner ist, dann müssen wir alles ändern, komplett umskalieren, alles neu wissen. Ich war früher ja nie ein Festival-Gänger, irgendwie fand ich doof, dass da alles so riesig ist, ich fand kleine Clubs immer cooler. Zum erleben. Ich konnte Byrne da voll nachvollziehen, dass Punk in diesem kleinen, gedrungenen Raum besser funktioniert als ... in einer Kirche.
Klar!
In einem meiner ersten Konzerte habe ich Earth, Wind & Fire in einer Sporthalle gesehen und fand den Sound so grottig, dass ich mich gar nicht darauf einlassen konnte.
Es transportiert dann halt nicht.
Bei uns ist halt immer alles größer und größer geworden. Da waren nicht mehr nur vier Leute auf der Bühne, da ist eine Hüpfburg, da ist so Kram, wenn das noch größer wird, müssen wir das anpassen. Deswegen ist Henning ja irgendwann von der Bühne weggegangen und hat gesagt, dass er jetzt Regie macht, um zu gucken, was man da verbessern kann.
Aber das interessiert mich jetzt schon genauer, was das Wegfallen davon mit eurem Schreibprozess gemacht hat. Euer natürliches Habitat ist quasi weggebrochen, was macht ihr dann?
Ja, ins Live-Setting-Reindenken, das haben wir spielerisch im Hinterkopf. Es muss ja nicht fürs Festival gedacht werden, wenn wir das so denken würden, dann müsste die Musik ja noch viel mehr darauf ausgelegt werden. Dann wäre das noch EDM-mäßiger, noch David Guetta-mäßiger.
Wäre David Guetta x Deichkind zu der Zeit nichts gewesen?
Klar, haha, hätte man sich auch vorstellen können. Aber es ist dann doch ein nicht so einfacher Albumprozess. Man stellt sich das ja vor, man sei jetzt bekannt und fragt einfach herum. Aber da sind verschiedene konzeptionelle Stimmen am Start. Henning geht da visuell, theatralisch ran. Ich bin eher intuitiv und lasse mich in den Tag treiben. Ich habe auch eine Vorstellung, wie ein Album zu klingen hat, aber ich plane kein Live-Konzept zu einem Album.
"Ich habe die Black Eyed Peas wirklich lange gefeiert"
Du hockst dann schon einfach da manchmal und schreibst einfach Bars?
Ja, genau. (überlegt) Wobei, Bars schreiben ... das ist vielleicht nicht unbedingt mein Metier. Ich mache eher so Skizzen. Programmieren. Eher so das technisch-musikalische. Rumfummeln, Musik machen. Im Studio sitzen, Plug-Ins aufmachen, die Kick richtig einstellen, Bass-Bereich-Frequenzen. Da gibt es viele Faktoren, die eine Rolle spielen, etwas aufzuziehen. Wo die Chemie stimmen muss.
Manchmal gibt es ja diesen Act, der würde eigentlich perfekt zu uns passen. Da sagen Leute, macht doch mal ein Feature, aber es hat sich dann doch so eingependelt, dass es am Ende zum Beispiel Clueso wurde. Das war dann nicht die Wahrnehmung nach außen, sondern die Wahrnehmung nach Innen, die wichtig ist. Was die Musik angeht, bei Porky und mir und Roy, mit dem wir produziert haben, ist durchaus auch Unsicherheit im Spiel. Da haben wir auch mal Kontakt mit Felix Kummer von Kraftklub, wo wir dachten: Der passt doch perfekt zu uns gerade, der ist on top, mit dem müssten wir was machen.
Oder mit Trettmann. Oder mit Nina Chuba. Aber es ist halt doch so, wenn der Kontakt nicht da ist, dann sind wir auch nicht Profi genug zu sagen, komm, wir machen jetzt ein Feature, Win-Win, let's go. Vielleicht sind wir zu unsicher oder haben keinen Song, der passt. Clueso ist wirklich motiviert reingegangen und hat uns an einer Stelle erwischt, bei der er gut funktioniert hat. Es geht bei der Musik darum, Woche um Woche, Tag um Tag, zu fühlen, was funktioniert. Und wenn es funktioniert, dankend anzunehmen.
Ihr habt halt auch einen komischen Bezug zur Kommerzialität, einerseits irgendwie total, aber dann doch nicht so anschmiegsam-eindeutig.
Ja, Clueso ist natürlich auf seine Weise ein kommerzieller Move. Aber es hat Sinn ergeben für uns. Auf der einen Seite wollen wir ja die Größe und dass etwas losgeht. Aber wir wollen schon auch etwas, das ein bisschen verkopft ist. Da wird abgesteckt und abgewägt.
Es ist ja nicht diese klassische Radio-Feature-Single geworden. Ihr habt euch schon ein bisschen gegenseitig aus dem Trott herausgeholt.
Das war ja auch ein bisschen das Interessante. Weiß nicht, ob man ihn perfekt mit einem Balladensänger beschreiben würde, das ist er nicht ganz, aber schon, er steht für etwas ...
... halt ein gefühliger Boy.
Genau, ein gefühliger Boy. Aber irgendwie stand uns alles offen – und dann wollten wir auch trotzdem etwas Organisches machen. Mit Trettmann wäre bestimmt was gegangen, aber wir hatten halt irgendwie keine Idee. Der Prozess ist dann halt so, dass man den Kopf woanders hat und man nicht nachdenken will, welches Feature jetzt zur Marke gehört und welches nicht. Irgendwann verliert man's chaotisch ein bisschen aus den Augen.
Hey, bei so vielen erzwungenen Kollabos im modernen Deutschrap spricht es doch für dich, nicht alles zu erprügeln, nur weil es gegangen wäre.
Ich fühl mich, was das angeht, irgendwie mit Will.i.am verbunden, der ist ein total spannender Typ, der ist Hip Hop und elektronischer Musiker und gleichzeitig doch aus der originalen, alten Schule, hast du da einen Bezug zu?
Ich hab da neulich erst drüber nachgedacht, ich bin im Bilde. Ich habe "The E.N.D" von 2009 neu angehört und kann kaum auf die nostalgische Neu-Bewertung davon warten. Ich finde das eigentlich gar nicht so schlecht.
Für mich war das crazy! Ich habe die ja wirklich schon lange gefeiert und lange auf dem Schirm gehabt, die kommen für mich aus dem selben Kreis wie A Tribe Called Quest oder De La Soul und dann haben sie sich so entwickelt. Ich habe die in Hamburg damals gesehen, als die noch Shows mit Breakdance gemacht haben. Und auf Will.i.Am gucke ich doch öfter mal und sehe, dass der sich gefragt hat, ob er da nicht doch etwas völlig Neues probieren wollte.
Klar, viele dachten dann vielleicht – Oh Gott! Four to the floor! Aber ich sehe da so ein bisschen eine Parallele, weil wir auch mit diesem Musikgenre gebrochen haben. Mit der Trueschool. Das war für mich dann aber auch nur Kastendenken und ich fand es gar nicht schlecht, dass er diesen Move gemacht hat. Sich diese Freiheit, diese Frechheit herauszunehmen, gewissen Leuten eben nicht zu gefallen, sondern auch mal kommerziell zu sein.
2 Kommentare
Gutes Interview, aber bisschen plötzlich zu Ende
Die beiden könnte ich stundenlang labern lesen.