laut.de-Kritik
Sind die Hamburger nicht selbst Wutboys?
Review von Franz Mauerer"Sind aber Hedonismus und Ironie als subversive Strategie auch die richtige Antwort auf Klimawandel, Pandemie, Krieg in Europa und ein neoliberal-grüngewaschenes 'Weiter so!'?" - "Wir hatten das Gefühl, dass wir nicht eins zu eins so weitermachen können wie bisher", sagt La Perla. "Unsere Gespräche drehten sich dann ziemlich schnell um die Frage, welche Inhalte wir mit diesem Album in die Gesellschaft tragen wollten." Diese klugen Worte stehen im Pressetext zu "Neues Vom Dauerzustand", der Lieblings-Hamburger-Nicht-Indie-Band ziemlich vieler. In der Stadthalle Wien könnt ihr im Juni 2023 dann für ab 60 Euro live zuschauen, wie Deichkind das System so nicht mehr mittragen. In jedem Hamburger steckt halt ein Hansekaufmann, ne!
Überhaupt bleibt der Albumtitel absolut Programm: Deichkind perfektionieren ihren Dance-Dauerzustand. So konsequent wie auf "Neues Vom Dauerzustand" gaben die Nordlichter sich fetten Bässen und Electro-Beats irgendwo zwischen Dance, Electroclash und House noch nie hin. Man wundert sich, dass Manny Marc noch kein Mitglied der Truppe wurde.
"Delle Am Helm" gibt als Opener gleich zu Beginn die ja regelmäßig vertretene Club- und Festival-Single mit eher abstrakt ironischen New Kids-Turbo-Lyrics, letztlich reproduzieren Deichkind hier den Malle-Hit "Johnny Däpp" mit ihren eigenen Mitteln. Dann merkt man auch schnell, dass auf "Neues Vom Dauerzustand" alle Songs so mit beiden Füßen voran in die Fresse springen. Kryptik Joe, Porky und La Perla (Roger Rekless ist nur Dauergast, nicht Bandmitglied) scheinen sich gedacht zu haben: Warum eigentlich nur ein Überhit pro Album? Machen wir einfach mehr davon.
"Geradeaus" und vor allem "Fete Verpennt" stoßen dementsprechend ins selbe Horn. Fett wie Fritteusen und handwerklich einwandfrei wird hier 1A-Tanzkost von der WG-Party bis zum Stadion aber eben auch auf Kopfhörer in der U-Bahn geliefert. Gleichzeitig aber ausgesprochen homogen gespielt, all-in auf handwerklich herausragende Beats und Hooks, die durchgehend geliefert werden.
Fehlenden Mut mag man der Band kaum vorwerfen, dafür ist die musikalische Qualität einfach zu hoch und das Songwriting weniger routiniert als vielmehr gekonnt. "In Der Natur" überzeugt ab Sekunde eins durch seine Jodelei und führt dann in ein himmelhoch jauchzendes Keyboard-Crescendo ein. Die Synthies von "Kids In Meinem Alter" fahren direkt ins Rückenmark, Clueso hat auf "Auch Im Bentley Wird Geweint" gefühlt zum ersten Mal seit "Weit Weg" Spaß beim Musizieren, bevor dann der arg schematische "Leider Geil"-Klon "Merkste Selber", das etwas fade, aber noch okaye "Nummer Sicher" und das fürchterliche "Lecko Mio" kurz die Stimmung ruinieren.
Letzteres ist nur das Schlechteste aus Helge Schneider und HGich.t in eine klebrige Suppe gemischt. Ihren Ortskollegen von der Dada-Goa-Band nähern sich Deichkind mit ihren tanzbaren Beats auf "Neues Vom Dauerzustand" deutlich an, eine Instrumental-Version gäbe durchaus Sinn.
Nach diesem Durchhänger ist "Kein Bock" der norddeutscheste Song aller Zeiten. Das soll ab jetzt jedes Mal bei RTL laufen, wenn bei Bauer sucht Frau so ein maulfauler Ostfriese teilnimmt. "Mehr Davon" mit Fettes Brot setzt als Partybanger die 4 to the floor-Reihe dieses Album fort; die Stargäste stören nicht, sind angesichts der wirklich durchgehend exzellenten Leistung der Band-MCs aber auch nicht von Nöten. "War Nicht Wahr" ist eine gelungenere Variante von "Merkste Selber" und "Wie Denn?" tanzt musikalisch etwas aus der Reihe und zeigt zum Schluss, dass die Deichkinder auch Pop aus dem Ärmel schütteln können.
Dass es ohne Beschäftigung mit dem Alter auf Album Nummer acht nicht geht, merken die Hamburger. "Kids In Meinem Alter" ist inhaltlich richtig en point und überzeugt mit vielen überzogenen und schmerzhaft realitätsnahen Beschreibungen. Die Ambivalenz aus uncoolem Alter und sich selbst verliehenem englischen Künstlernamen souverän zu meistern, ohne sich nur billig über uncoolere Dads derselben Generation lustig zu machen, gelingt aber selten so gut wie auf "Kids In Meinem Alter". Das Lustigmachen gerät zu einer unangenehmen Eigenschaft auf "Neues vom Dauerzustand" - "In Der Natur" macht man sich über Stadtbubis lustig, "Auch Im Bentley wird geweint" macht es sich auch einfach, wer mag schon reiche Leute? "Merkste Selber" und vor allem "Wutboy" richten sich zuvorderst an Hängengebliebene, "Nummer Sicher" gegen deutsche Spießer (und spielt es irrerweise musikalisch ganz sicher); das sind natürlich alles Leute, denen es gut geht, und eben deshalb ist nichts davon auch nur ansatzweise böse, zumal die Betroffenen popkulturell/ im Feuilleton wahnsinnig einfache Ziele sind.
Da ist null Wagnis dabei, man arbeitet sich an hyperabstrakten Gruppen ab, die eh keiner mag und denen sich keiner zugehörig fühlt. Und je mehr sich Deichkind selbst erhöhen, indem sie die Sozialkritikkeule schwingen, desto klarer wird, dass sie erstens immer dieselben Politpferde reiten und zweitens Reichendisse von einer Band, die 60 Ocken für den zum Album gehörenden Hoodie verlangt, einfach gewagt ist – dabei soll die Frage "Was bieten sie als Alternative an" explizit ausgeklammert werden, das muss Deichkind nicht leisten.
Aber Deichkind sollen und wollen unterhalten, und das tut die Sozialkritik, die Grütering ja offenkundig wichtig ist, weshalb er sie in jedem Interview und im Pressetext wie eine Monstranz vor sich her trägt, aber einfach nicht, weil man als Hörer nicht versteht, wogegen sie sich eigentlich richtet. Die klugen und vor Wortspielen strotzenden Texte geraten so zum reinen Sammelsurium an Catchphrases für die nächste Media Markt-Kampagne. Gerade "Wutboy" zeigt das Paradoxum ganz gut - das ist letztlich Verteidigung der Mainstream-Politik, die man ja richtig finden kann - auf dem Rest des Albums wird sich dann aber an eben diesen politischen Eliten abgearbeitet, und zwar recht billig. Sind Deichkind nicht selbst Wutboys?
12 Kommentare mit 18 Antworten
Aufstand im Schlaraffenland hat mich damals gut abgeholt, aber mittlerweile finde ich die ziemlich langweilig, muss ich sagen. Zum Feiern animiert mich das nicht mehr großartig.
Komme allerding auch aus der Elektro-Ecke, vielleicht können andere aus der Hip-Hop Richtung damit mehr anfangen, keine Ahnung.
Dieser Kommentar wurde wegen eines Verstoßes gegen die Hausordnung durch einen laut.de-Moderator entfernt.
Dieser Kommentar wurde wegen eines Verstoßes gegen die Hausordnung durch einen laut.de-Moderator entfernt.
Die haben seit fast 20 Jahren keinen einzigen Track mehr gemacht, der halbwegs im Ohr bleibt. "Noch 5 Minuten, Mutti" hatte zu seiner Zeit einige richtige Banger drauf, war musikalisch verspielt und irre.
Ist ja ganz nett, daß sie mit jeder Platte nur die Hintergrundbeschallung für ihre Live-Shows herausbringen. Gönne ihnen auch den Erfolg sehr. Kreativ isses halt extreeeeem schade. Seit Phase 2 gilt: Haste eine Platte, haste alle.
Signed. Ich fand die damals scheiße, weil ich zu sehr dem Szenedogma unterworfen war. Aber die ersten beiden Alben waren schon geil und funktionieren heute noch besser als viele frühere Helden.
Und heute bist du nicht mehr dem "Szenedogma" unterworfen?
Deichkind waren immer scheisse, sind scheisse und werden immer scheisse sein, ganz ohne Szenedogma!
"Szenedogma", ich lach mich tot. Das ultimative und übergreifende Szenedogma ist doch seit jeher, dass Deichkind total cool, innovativ und geistreich sind. Dabei ist es, wie mein Vorredner in seiner überaus sympathisch und pragmatischen Art und Weise treffend erkannte, totaler Rotz.
Blubbert die Lautbubble aus dem vermeintlichen Elfenbeinturm.
Mir gefällt Deichkind von Album zu Album besser. Ein paar nervige Tracks sind auch hier wieder dabei. Diese Party-Banger tun lägst nicht mehr so weh wie auf den vorherigen Alben, da sie textlich und soundmäßig zwar immer ausgefeilter werden es aber irgendwie an Relevanz mangelt.
Dieser Kommentar wurde wegen eines Verstoßes gegen die Hausordnung durch einen laut.de-Moderator entfernt.
mukke für den lautuser
Ne, das ist viel zu progressiv für den lautuser. Dennoch wack af, sollte klar sein.
du und deichkind ihr habt was gemeinsam
Sieh wie ich auf deine Crew scheiß, du frontest MOR, während du Blumentopf dann gut heißt
Haha ja, KKS und MOR haben sich seit ihrer häftigen Lines von damals natürlich spektakulär weiterentwickelt. So wie ihre Fans von damals.
Gutes, gelungenes Ding.