29. Juli 2019
"Es wird neue Peinlichkeiten geben"
Interview geführt von Stefan MertlikVier Jahre sind seit ihrem letzten Album "What's Goes?" vergangen. Damals feierten die Orsons ihren bisher größten Erfolg. Nun schlägt Hip Hops bunteste Boyband das nächste Kapitel auf und fährt mit dem Schlauchboot nach "Orsons Island".
Tuas hochgelobtes Soloalbum ist noch nicht einmal verdaut, da legt er schon im Verbund mit Kaas, Maeckes und Bartek nach. Die Orsons veröffentlichen Anfang August ihr fünftes Album "Orsons Island". Die ersten Singles "Grille" und "Dear Mozart" zeigen, dass sich die vier gegenüber dem modernen Hip Hop-Sound zwar nicht verschließen, ihm aber dennoch eine eigene Note verpassen. Im Telefoninterview sprachen sie über den Entstehungsprozess von "Orsons Island" und die Zukunft der Rap-Musik.
Die Redaktion meinte, dass ein Telefoninterview mit euch völlig verschwendet sei. Man müsse euch live erleben. Ich sehe das ehrlich gesagt genauso. Kriegen wir das Interview trotzdem irgendwie hin?
Tua: Nein! (alle lachen)
Tua, wie schwer fiel es dir, so kurz nach deinem Soloalbum in den Orsons-Modus umzuschalten?
Tua: Nicht wirklich schwer, da die Albumproduktionen parallel liefen.
Wie viel von dem, was für das Tua-Album geplant war, ist letztendlich auf dem Orsons-Album gelandet?
Tua: Da ging es mir nicht anders als den anderen Jungs. Jeder einzelne von uns macht die ganze Zeit Musik, weshalb alle ständig Ideen für Orsons-Alben einreichen. Das ist ein laufender Prozess. So war es bei mir auch während der "Tua"-Produktion. Wenn ich bei Songs gemerkt habe, sie passen besser zu den Orsons, habe ich sie entsprechend weitergeleitet.
Maeckes: Am Ende ist aber nur ein Song, der eigentlich für die Tua-Platte gedacht war, auf dem Orsons-Album gelandet. Aber wir verraten nicht, welcher es ist. Das müsst ihr selber herausfinden. Und wenn nicht, umso besser.
Wann werden Ideen für Solosongs zu Orsons-Songs?
Kaas: Es ist oft so, dass wir uns Solosachen zeigen. Wenn wir sie dann alle feiern, besteht die Chance, dass es zu einem Orsons-Song wird.
Maeckes: Wir zeigen uns zumindest alles und reden darüber. Manchmal ist es ein Orsons-Hit, manchmal ist es im Gruppenkontext aber auch voll der Kack. Das versuchen wir herauszufinden. Die Trefferquote ist okay. Aber erst einmal kriegen die Orsons alles zu hören. Mittlerweile haben wir ein Gefühl dafür, was den anderen gefallen könnte.
Gab es im Nachhinein auch Songs, bei denen ihr euch ärgert, dass ihr die nicht als Solo- oder Orsons-Projekt herausgebracht habt?
Maeckes: Nein, aber ich habe ein anderes Beispiel. Für den Song "Unperfekt" auf meiner Solo-EP "Manx" habe ich auf Anraten von Kaas noch einmal andere Strophen geschrieben. Dieser Song war dann auf einer Orsons-Platte drauf und ich spiele ihn jetzt nur noch bei Gitarrenkonzerten. Solche Wanderungen gibt es, was zeigt, dass unsere Ideen in beiden Kontexten super funktionieren können.
Tua: Die Songs, die bei den Orsons landen, haben trotzdem unterschiedliche Gewichtungen. "Rosa, blau oder grün" oder "What's Goes?" waren Lieder, an denen alle von Anfang an beteiligt waren. Dann gibt es aber auch Dinger, die stark in die Richtung eines Orsons-Mitglieds gehen. Auf Songs wie "Unperfekt" von Maeckes, "Lagerhalle" von mir oder "Für immer Berlin" von Kaas hört man sehr deutlich heraus, dass das auch Solosongs sein könnten. Die fanden wir aber alle so stark, dass wir sie auf den Orsons-Alben haben wollten.
"Nimm's leicht" auf der neuen Platte ist ein Kaas-Song, oder?
Kaas: Genau, die Skizze kam von mir.
Legt ihr bei den Orsons-Aufnahmen auch mal gegenseitig Vetos ein, wenn ihr etwas nicht so gut findet? Zum Beispiel, wenn Bartek eine Zeile rappt, die euch nicht gefällt?
Bartek: (lacht) Nein!
Ich wollte dich nur ins Gespräch holen.
Bartek: Voll, unbedingt. Wir haben bei diesem Schreibprozess herausgefunden, dass es viel mehr bringt, wenn sich vier Brains zusammensetzen und am Text arbeiten. Dann kommt halt das bestmögliche Ergebnis heraus. Da gehen vier Superbrains alle Variationen durch und schließen dadurch schon von Anfang an Sackgassen aus. Vor allem Tua und ich haben uns gefunden. Zusammen können wir mittlerweile voll schön Songs schreiben. Das war eine Weiterentwicklung.
Tua: Wir haben auch schon früher gemeinsam über Texte gesprochen und gestritten. Wir sind von der Machart aber ursprünglich eine Rap-Band gewesen, die die Philosophie vertrat, dass jeder seine 16 Zeilen schreibt. Dann macht irgendeiner eine Hook und fertig ist der Song. Es hat uns jahrelang begleitet, dass man sich nicht bei einem Part reinreden lassen wollte. Das ist über die Zeit hinweg immer weniger geworden. Und jetzt ist es so, dass man...
Bartek: ...ganz egobefreit einen Song schreibt.
"Es wird neue Peinlichkeiten geben."
"Nummer warte mal" vom neuen Album klingt aber trotzdem wie ein Song, der mit seinen Punchlines auch aus der Anfangszeit der Orsons stammen könnte. Kaas erwähnt sogar seine erste Crew BQ. Wie wichtig ist es euch, heute noch zu beweisen, dass ihr Rapper seid, die sich wehren können?
Maeckes: Überhaupt nicht.
Tua: Das hast du richtig eingeordnet. "Nummer warte mal" ist eine Reminiszenz, die im hinteren Teil des Albums an die alte Zeit erinnern soll. Aber das ist nur ein Spiel damit. Keiner von uns gibt einen Fick.
Kann der durchschnittliche Orsons-Fan ein Fan der Solokünstler sein? Beziehungsweise soll er das überhaupt?
Tua: Natürlich freuen wir uns über jeden, der unserer Musik etwas abgewinnen kann – egal in welcher Gewichtung. Man sieht auf den Solotouren immer wieder Überschneidungen. Trotzdem stelle ich auch immer wieder fest, dass es da Unterschiede gibt. Die Musik verändert sich auf beiden Seiten. Wer weiß, vielleicht wird irgendwann alles eins und furchtbar.
Spielt ihr auf der kommenden Tour auch Songs von Tuas Soloalbum?
Tua: Ich glaube, das trennen wir komplett.
Bartek hat vorhin von vier Superbrains gesprochen ...
Maeckes: ...wen meint er damit?
In "Ewigkeit im Loop" sprecht ihr Entscheidungen an, die ihr im Nachhinein bereut. Ist die Entwicklung zum Superbrain mit diesem Album abgeschlossen?
Bartek: So eine Entwicklung ist nie abgeschlossen. Wir sind aber klüger, als wir es noch 2012 zur Veröffentlichung von "Horst & Monika" waren.
Tua: Maeckes schüttelt den Kopf. Er empfindet das offensichtlich nicht so. Maeckes ist dümmer geworden. Ich war die ganz Zeit relativ doof. Und Kaas hat nicht zugehört.
Kaas: Was?
Tua: Ich finde die Formulierung Superbrain schwierig. Wenn wir aber das Gleiche darunter verstehen, dann ist es zu sich selbst finden, wie wir miteinander umgehen und mehr Spaß am gemeinsamen Musizieren haben. Das ist die Geschichte dieser Platte und unserer Freundschaft.
Fühlen sich die angesprochenen Peinlichkeiten in "Ewigkeit im Loop" abgeschlossener an, weil ihr so transparent damit umgegangen seid?
Maeckes: Gute Frage. Das alles ist ja nur ein weiterführender Prozess der Peinlichkeiten. Wir erleben mit der Platte bestimmt neue Peinlichkeiten. Man muss zu ihnen stehen, sie ausmerzen oder darüber lachen. Dadurch findet man einen Mittelweg. Das fühlt sich mit dem Song tatsächlich besser an. Aber ey, wir sind die Orsons, es wird neue Peinlichkeiten geben.
Tua: Wenn eins sicher ist, dann das. Vielleicht schon in diesem Interview, wer weiß.
"Im Hip Hop weiß es immer jeder besser"
In "Der Sog" quält sich Maeckes mit dem Warten auf die zwei blauen Haken bei WhatsApp herum. Glaubt ihr, euch würde Social Media überfordern, wenn ihr jetzt noch einmal Teenager wärt?
Tua: Maeckes wäre der Social-Media-King!
Maeckes: Jede Zeit hat ihre Probleme. Man kommt damit klar oder eben nicht. Ich hatte zum Beispiel voll die Probleme, wenn ich einen Brief an jemanden schickte, den ich geliebt habe und dann ganz lange keine Antwort kam. Und ich denke, dass das mit diesem blauen Haken genau das selbe ist. Aber um noch einmal darauf zurückzukommen: Ich wäre der Social-Media-King.
Tua: Bei dem Song geht es gar nicht so sehr um das Problem des Wartens, sondern um diese Glückshormone. Das ist unsere Auseinandersetzung mit dem Sog der Süchte. Der hat unterschiedliche Ausprägungen. Der Eine benennt dieses, der Andere benennt jenes. Bei Maeckes ist es Social Media.
Maeckes: Social Media ist eine Einstiegsdroge.
Tua, in "Dear Mozart" behauptest du, dass Mozart ein Hip Hopper wäre, würde er heute noch leben. Wieso?
Maeckes: Das interessiert mich auch. Gute Frage.
Tua: Von dem, was man über Mozart weiß, war er eigentlich ein volksnaher Typ, der mit dem Establishment gehadert hat. Ich glaube, er war kein Kultursnob, sondern ein Antiheld seiner Zeit. Da erkenne ich viele Parallelen zum Hip Hop. Deshalb habe ich dem das einfach mal angedichtet. Ich glaube auch, dass Mozart keiner war, der sich gescheut hat, neue Wege zu gehen. "Dear Mozart" entstand aus dem Gefühl heraus, dass unter jedem Video Kommentare über Autotune stehen. Die Einen lieben es und die Anderen hassen es. Weil Hip Hop eine Do-It-Yourself-Kultur ist, hat jeder das Gefühl, er weiß es besser als der andere. Weiß es sogar besser als der Künstler. Das geht an uns natürlich auch nicht vorbei. Deshalb hatten wir das Gefühl, wir wollten etwas dazu sagen.
Wärt ihr heute nochmal 16, würdet ihr dann überhaupt noch mit Hip Hop anfangen?
Bartek: Ich würde mir etwas anderes suchen.
Tua: Ich finde es super schwer, das zu beantworten. Ich möchte mich nicht darüber beschweren, dass alles so ist, wie es ist. Denn es ist alles im Fluss und das ist auch gut so. Hip Hop ist eine Kultur, die alle paar Jahre ihren Sound komplett wechselt. Derzeit ist nur der Aufschrei mal wieder sehr laut. In "Dear Mozart" habe ich eine Zeile, in der ich sage: "Für die Jüngeren ist es schon cool / Doch die Älteren fragen: 'Was hat das mit Hip Hop zu tun?' / Und ist es noch, was es mal war? / Oder war's immer schon so? / Kein Plan, es ist uns ja selber nicht klar / Drum dachten wir, fragen wir dich". Es ist ja nicht neu, dass alle paar Jahre Paradigmenwechsel auftreten – in dieser schnelllebigen Zeit umso mehr. Daher ist für mich alles gut. Ich finde alles cool.
Was wird denn der nächste heiße Scheiß im Hip Hop?
Tua: Ich glaube, dass die Vermischung mit Dance weitergeht. Es wird noch mehr 4-to-the-floor-Einfluss kommen. Derzeit ist mit diesen Halbzeit-Loops alles so langsam, weshalb es bald sicherlich wieder schneller wird.
Maeckes: Ich sag, dass der Punk zurückkommt. Punk und Schweißgeruch.
Tua: Ach ja, und unabhängig von Hip Hop ist Warehouse-Techno gerade überall. Weil im Mainstream alles so unglaublich vanillig ist, kommt auch bockelharter Eisen-Techno wieder an.
Maeckes: (lacht) Bockelharter Eisen-Techno – so heißt unser nächstes Album.
Wie sieht denn die perfekte Playlist für eine zehnminütige Mikroparty aus?
Kaas: Wizkid mit "Ojuelegba", "Grille" kann man auch laufen lassen und "Automat" von Olexesh.
Bartek hat die Orsons in einem älteren Interview als Familienfest und die Solosachen als Alltag bezeichnet. Ich persönlich empfinde Familienfeste häufig als nervige Pflichtveranstaltung ...
Bartek: Genauso sehe ich es auch. Ich weiß zwar nicht mehr, wie und wann ich das gesagt habe, aber ich kann mir vorstellen, dass das einfach eine Interview-Laune war. Es ist natürlich mal so und mal so. Familienfeste können auch das Schönste der Welt sein. Im Anfangsprozess von diesem Album sind wir zu viert auf Inseln gefahren und das war natürlich ein angenehmer, sehr schöner Teil. Das will ich niemals missen.
Tua: Ich für meinen Teil entwickle immer mehr Wertschätzung für diese Dualität aus Solosachen und Orsons. Früher war das immer ein Kampf in mir. Ich dachte immer, dass sich beides widerspricht und auf keinen Fall parallel laufen kann. Das ist nicht mehr so. Ich feier es voll ab, dass es zwei unterschiedliche Ausleger gibt, in denen ich mich auf unterschiedliche Arten austoben kann.
Haben die restlichen Orsons diese Zufriedenheit von Tua während der Albumentstehung gespürt?
Bartek: Das ist der beste Tua, den wir je hatten. Es ist angenehm mit ihm zu arbeiten.
Kaas: Richtig gut, richtig geil.
Tua: Echt jetzt?
Bartek: Ja!
Euer Label-Vertreter bat mich, eure Tour anzusprechen. Weshalb sollte ich das tun?
(alle lachen)
Bartek: Das wissen wir auch nicht. Das war nur so dahergesagt. Man muss auf keinen Fall unsere Tour ansprechen, die im Oktober beginnt.
Zum Abschluss noch eine einfache Frage: Welche drei Dinge würdet ihr auf keinen Fall auf eine einsame Insel mitnehmen?
Maeckes: Kaas, Tua und Bartek.
Bartek: Ich glaube, das war das perfekt Schlusswort.
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