17. Februar 2021

"Viele Hundebesitzer werden uns verfluchen"

Interview geführt von

An einem Dienstagabend sitzt mir ein überaus sympathischer und redseliger Brite gegenüber, der mit liebreizendem Akzent spricht. Vincent Neff, Frontmann von Django Django, hockt in seinem Studio und lacht viel, verliert sich in seinen Gedanken und plaudert frei heraus. Ein überaus schönes Gespräch über diverse Themen, vor allem aber das neue Album "Glowing In The Dark".

Die Pandemie zeitigt deswegen vielleicht auch gute Seiten: Man sieht Künstler in ihrem gewohnten Umfeld, in dem sie sich wohlfühlen und man bekommt intimere Einblicke geboten als in einem Konferenzraum.

Wie geht es dir, alles in Ordnung?

Ja, doch, mir geht es gut soweit. Man tut, was man kann unter diesen Umständen. Ich komme immer noch ins Studio und arbeite. Das macht mir Spaß, aber es ist auch seltsam irgendwie.

Wie war es für euch, ein Album während einer Pandemie aufzunehmen?

Es war ein bisschen verteilt. Dave, unser Drummer und Producer, kam zu mir, und wir haben uns im Studio abgewechselt, sodass wir nicht alle zusammen waren. Wir haben uns jedes Mal angeschaut und gefragt "'Warst du auf irgendwelchen Parties von denen ich wissen muss?', haha. Aber wir haben jetzt ein System entwickelt. Jim, unser Bassist, blieb an der Küste, und Tommy war in Schottland, von dem her sind wir alle an unterschiedlichen Orten. Als wir dann fertig waren mit ersten Sketches, haben wir uns gegenseitig Ideen geschickt und daran gearbeitet. Es ist wirklich verrückt, aber nichts, was man nicht bewältigen könnte.

Nimmt jeder seine eigenen Ideen auf, und ihr fügt sie dann zusammen oder jammt ihr?

Als wir "Glowing In The Dark" aufnahmen, gab es noch gar keine Pandemie. Wir waren immer alle zusammen oder zumindest Dave und ich. Wir haben uns mehrere Male in der Woche getroffen und haben uns die Ideen angeschaut. Wenn jemand etwas vorstellt, dann versuchen wir herauszufinden, was der beste Weg ist, damit umzugehen, und ob es einen Teil gibt, den wir spielen können oder eben nicht. Wir sind mittlerweile alle gut darin, zusammen zu harmonieren und halten den Prozess simpel. Das mussten wir über die Zeit erst lernen, wo jeder am besten hinpasst.

Nun war es aber natürlich eine komplett neue Erfahrung. Es ist schon okay, aber man vermisst seine Bandkollegen und vor allem den Vibe, den man in einem bestimmten Moment kreiert. Den bekommt man via WeTransfer natürlich nicht hin. Es ist eher ein Arbeitsprozess: 'Kannst du da eine Bassline oder Vocals drüberlegen?'. Zudem ist alles ein bisschen aus dem Takt. Wenn jemand spielt, kann man am Bildschirm nicht so leicht den Groove adaptieren. Es ist schwierig, aber was bleibt einem anderes übrig. So ist es eben.

Ihr seid bisher auf drei Videospielsoundtracks vertreten: FIFA 13, FIFA 18 und GTA V. Wie ist eure Wahrnehmung? Findet ihr es cool, dort vertreten zu sein?

Es ist cool, auf jeden Fall. Wenn wir auf Tour sind, spielen wir sehr oft FIFA. Wir waren somit schon recht gut mit den Soundtracks vertraut, bevor wir überhaupt Teil davon wurden. Wir sind wirklich stolz darauf. Ich habe viele Cousins im späten Teenageralter, die sich für uns nicht interessiert haben und plötzlich haben sie uns in FIFA gehört und sich gedacht 'die müssen echt viel richtig gemacht haben'. Es gibt also gewisse Leute da draußen, die dich erst ernst nehmen oder wahrnehmen, wenn du in einem Videospiel vertreten bist.

Auf GTA V ist Dave besonders stolz, weil in Dundee die ersten Konzepte zum Spiel entstanden sind und er Schotte ist. Also ja, dadurch erschließt man sich ein völlig neues Publikum. Man erreicht Menschen, die einen vielleicht niemals gehört hätten, und diese Soundtracks sind quasi Sammlungen von Songs eines Jahres, die etwas bewegt haben, was ebenfalls eine gute Sache ist.

Das freut mich sehr! Es hat etwas Romantisches an sich, wenn man sich von alten Soundtrack-Songs die YouTube-Kommentare anschaut und die User nostalgisch werden und sich in die Zeit zurückversetzt fühlen.

Wir bekommen viele Kommentare mit 'Ich bin hier wegen FIFA 18'. Es sind wirklich tausende Leute, die da vorbeischauen und kommentieren und das finde ich interessant. Vor zehn Jahren hätte ich das absolut nicht kommen sehen, dass man auf diesem Wege den Menschen Musik näherbringt. Es fühlt sich ein bisschen an wie durch die Hintertür – etwas, über das wir uns nicht bewusst waren.

"Über Musik zu diskutieren, ist eine schöne Art, sich kennenzulernen"

Nicht nur in Videospielen, auch in einem Film konnte man euch hören.

Ja, genau. Sehr früh in unserer Bandgeschichte waren wir Teil eines Films eines spanischen Regisseurs, er ist wirklich ein Star. Und der Film hieß ... (überlegt) es ging um eine Airline oder so. Ich bin wirklich sehr schlecht mit Namen, ich könnte es schnell googlen. Auf jeden Fall war da eine Orgie am Start, nicht übertrieben explizit, aber sehr provokant dargestellt. Es war eine Art Homosexuellen-Komödie. (lacht)

Du meinst "Fliegende Liebende" von Pedro Almodóvar.

Genau! Danke dir. Wir hatten dort den Song "Skies Over Cairo", der eine Art ägyptische Melodie enthät. Ich habe den Film tatsächlich nie gesehen, aber ich habe die Szene gesehen, bei der unser Song gespielt wurde. Aber den Film muss ich mir irgendwann ganz anschauen, er steht auf meiner Liste.

Lass uns über euer neues Album "Glowing In The Dark" sprechen. Was bedeutet der Titel?

Es hat alles mit einem Song angefangen, und Dave hatte eine Vocalline, die ständig 'in the dark" wiederholte. Wir hatten keine spezielle Idee, wir dachten einfach nur, es ist ein cooler Name für einen Song. Dann hat noch reingespielt, was alles in der Welt passiert ist: Extinction Rebellion, Brexit, Trump etc. All das hatte ein besonderes Omen und gab dem Namen eine neue Bedeutung. Das war auch der Moment, in dem wir realisierten, dass das ein passender Name für ein Album sein könnte. Speziell in einer Zeit, in der sich alles im Wandel befindet und unsicher ist. Da hat sich eine Vision bei uns herausgebildet, und als der Albumtitel feststand, kamen auch die Lyrics hinzu, die sich thematisch daran orientieren. Auf dem Song "Hold Fast" geht es darum, sich an etwas festzuklammern während eines Sturms oder in einer verrückten Zeit. Es war eine Art Zeitgeist, der sich auf das Album gelegt hat.

Das ist eine schöne Erklärung, weil sich der Name dann organisch und dynamisch entwickelt hat. ich glaube der Song "The World Will Turn" spielt da auch mit rein. Er hat etwas Melancholisches und umarmt den Hörer in schwierigen Zeiten.

Da hast du Recht. Am Anfang war es nicht mal absichtlich so gedacht, aber wenn du nach einer Zeit auf das Album draufschaust, dann sieht man die ein oder andere Referenz. Trotzdem haben wir ihn nicht mit dieser Intention geschrieben, es kam vielleicht unbewusst.

Das einzige Feature auf dem Album ist Charlotte Gainsbourg. Wie war es mit ihr zusammenzuarbeiten und geschah das eher zufällig oder war es ein lang gehegter Traum?

Wenn wir jemanden von außen dazu holen, muss der Track für sich selbst sprechen, sodass wir an diese Person denken müssen. Wir arbeiten nicht mit vielen anderen Künstlern zusammen, aber es muss diesen Moment oder Part geben, wo wir uns denken 'Oh, es wäre perfekt, wenn dieser Künstler singen würde'.

Bei Charlotte war es so: Wir hatten das Grundgerüst für "Waking Up" gebastelt und auch einen ersten Lyrics-Entwurf. Wir haben es Dave gezeigt, und er meinte, es hätte was von einem Traum oder Roadmovie und sie wäre die perfekte Ergänzung. Sie hat diesen atemlosen, verführerischen Gesangsstil. Sie ist ja auch auf dem gleichen Label wie wir, Because Music, deswegen haben wir unseren Labelboss gefragt, ob da was möglich wäre. Er kennt sie schon seit vielen Jahren und hat sie kontaktiert. Glücklicherweise sagte sie 'Ja'.
Direkt nach Weihnachten 2019 bin ich nach Paris geflogen und für einen Tag ins Studio gegangen, ich hatte ihr im Vorfeld alle Tracks geschickt. Ich war 'starstruck', als ich sie traf, da ich großer Fan von ihr und auch von ihrer Film- und Musikkarriere bin. Wir hatten leider nicht viel Zeit zusammen, aber über Musik zu diskutieren und damit zu arbeiten, ist eine schöne Art, sich kennenzulernen und man versteht Menschen dadurch sehr schnell. Es war cool.

Gibt es denn noch andere Künstler, neben Charlotte Gainsbourg, mit denen ihr gerne zusammenarbeiten würdet?

Es gibt immer bestimmte Songteile, die für uns schwierig zu singen sind. Aber ich könnte mir vorstellen, dass ein Mike Skinner oder generell mal ein Rapper auf unseren Songs funktionieren würde. Trotzdem ist es so, dass es niemanden gibt, über den wir ständig nachdenken, weil wir in dem, was wir tun, ziemlich selbstständig. Wenn sich Möglichkeiten auftun, dann setzen wir alles daran, einen bestimmten Künstler oder Remixer für uns zu gewinnen.

"Ich verstehe tatsächlich nicht jedes Wort, das ich singe"

Am Anfang des Songs "Kick The Devil Out" hört man eine Türklingel läuten. Was hat es damit auf sich, und wer klingelt da überhaupt?

Das hat etwas mit Übergängen zwischen Songs zu tun, und wir dachten, das ist die natürliche Reihenfolge der Dinge hinsichtlich der Tracklist. Man braucht eben einen Übergang am Ende von einem Song für den nächsten, auch, um den Hörer ein bisschen zu schockieren. Die Türklingel haben wir irgendwo online gefunden. Wir haben es zuerst selbst via Smartphones mit unseren Freunden versucht und verschiedene Türklingeln ausprobiert, aber es hat sich nicht gut angehört. Soweit ich weiß, so sagten es mir Familie und Freunde, wenn man Hunde besitzt, ist es der reine Albtraum. Wenn man das Album anhört, vor allem mehrere Male, dann wird der Hund einfach verrückt. Wir gehen davon aus, dass uns viele Hundebesitzer verfluchen werden wegen dieser nervigen Türklingel. (lacht)

Die müssen das Lied dann einfach immer überspringen ...

In der Tat - oder sie müssen die Lautstärke runterfahren. Aber im Großen und Ganzen ist es einfach eine lustige Sache und manche Leute dachten, ich würde an der Tür klingeln. Meine Eltern zum Beispiel.

Auf dem Song "Got Me Worried" gibt es eine Strophe auf Portugiesisch. Wie kam es dazu, und über was singst du dort?

Als wir den Song geschrieben und dazu gespielt haben, wussten wir sofort, dass er diese Tropicalismo-Stimmung hat. Wir hatten dieses Bild von einem Strand in Brasilien, während der 70er Jahre - Kinder, die über Steine springen und sich im leicht verblichenen Super-8-Filmformat filmen. Wir haben uns einen Cuica-Spieler dazu geholt, diese Art von Affentrommel, und ein cooler Bossa Nova-Gitarrist kam auch ins Studio. So geht das dann bei uns zu: Wir versuchen aus verschiedenen Welten Musik zusammenzuführen und eine dreieinhalbminütige Welt mit Identität zu schaffen.

Daher fühlte es sich für uns natürlich an, die zweite Strophe auf Portugiesisch zu singen, weil das Feeling sich damit besser auf den Hörer überträgt. Wir haben eine gute Freundin aus dem East End von London, deren Eltern aus Portugal stammen. Sie hat uns beim Schreiben des Songs geholfen, jedoch spricht sie einen englisch-portugiesischen Dialekt respektive Aussprache, die Menschen aus Lissabon oder Porto nicht erkennen würden. Es ist deswegen viel Mundart. Am Ende hatten wir drei oder vier Leute, die zum Song beigetragen haben, die alle verschiedene Dialekte sprechen, darunter ein Typ aus Nordbrasilien, den keiner verstanden hat, außer er sich selbst. Wir hoffen, dass wir beim Endprodukt ein universelles Portugiesisch getroffen haben, das jeder versteht. Ich verstehe tatsächlich nicht jedes Wort, das ich singe – von daher hoffe ich, dass sie nichts Verfängliches in den Songtext gepackt haben. Ich vertraue ihnen einfach.

Mein Lieblingssong auf "Glowing In The Dark" ist "Night Of The Buffalo", weil es so cineastisch wirkt. Ich habe das Bild eines Menschen vor mir, der durch eine Wüste reitet. Dazu kommen noch verrückte Ideen, wie orientalische Streicher und ein Violinesolo. Wie schafft ihr es, all dieses Versatzstücke zusammenzuhalten, damit es homogen klingt?

Jemand hatte mich kürzlich gefragt, was mein Lieblingssong wäre - und genau das ist er auch. Es ist ein bisschen kurios, weil all diese Ideen zu verschiedenen Zeiten und Orten entstanden sind, und wir es trotzdem irgendwie geschafft haben, sie zu verbinden. Wir hatten diese Vision eines Reiters in unseren Köpfen, genau wie du meintest, aber ich muss hier kurz etwas ausholen. (lacht)

Wir stellten das Credo auf 'jeden Tag einen Song', und das Grundgerüst war innerhalb eines Tages fertig. Am Anfang war es ein komplett anderes Stück, eher eine Art House-Track, wir hatten den Beat, trotzdem spürten wir, dass es nicht passt. Dave gefiel der Refrain und sagte nur 'macht etwas anderes'. Also haben Jimmy und ich eine Strophe geschrieben, und die Stimmung veränderte sich stark. Am Ende spielten wir eine Art russische Melodie ein, die Streicher hatten den osteuropäischen, orientalischen Touch, und wir sind der Meinung, es hat einen schönen Crescendo-Effekt. Danach kam der Geiger Raven Bush ins Studio, der Neffe von Kate Bush. Er spielte eine Melodie ein, und sie ließen den Computer drüber laufen, was zu diesem seltsamen Lick auf der Violine führte.

Der ist mir auch aufgefallen, dieser hallende, metallische Effekt.

Exakt! Wir dachten alle, dass es sich speziell anhört, und Dave fragte, was ist das denn Cooles? Raven erwiderte nur 'Ich habe es einfach getan', und Dave wollte, dass er es noc hmal macht und es an den Rest des Songs angleicht. Es war etwas sehr Spontanes von Raven, er spielte es ad hoc ein. Wir waren alle begeistert und fügten es hinzu. Zudem fungiert es auch wieder als wunderbarer Übergang zum nächsten Track. Wir haben immer solche kleinen Momente, in denen wir Songs eine andere Stimmung verpassen.

Im Endstück "Asking For More" sprichst du im Refrain aus meiner Sicht etwas Politisches an. Prangerst du hier unsere Gesellschaft an, die nie zufrieden ist, mit dem was sie hat und nicht den Moment genießt?

So in der Art, auf jeden Fall. Gemäß dem Motto 'Was man nicht hat, möchte man und sobald man es hat, will man es nicht mehr' oder 'der Garten des Nachbarn ist immer grüner', als Menschen sind wir eben so gestrickt. Es gibt natürlich Leute, die sehr glücklich sind mit dem, was sie haben, und es gibt Menschen, die ständig über den Zaun schauen und sich fragen 'Oh, was gibt es dort zu sehen?'. Auf uns bezogen: Wenn wir auf Tour sind, wollen wir im Studio sein, und wenn wir im Studio sind, wollen wir auf Tour gehen. Es ist diese Zerrissenheit, mit der jeder tagtäglich kämpft. Von dem her war deine Interpretation sehr treffend.

Die Lyrics für diesen Song habe ich extrem schnell geschrieben, innerhalb von zehn Minuten. Ich habe das Demotape einfach nur kurz an meine Kollegen geschickt, weil ich in Urlaub fahren wollte. Über den Text habe ich nicht lange nachgedacht und habe ihn einfach aufs Papier geballert. Aber manchmal gibt es auch diese mühevollen Songtexte, über an denen man wochenlang arbeitet, dadurch geht Spontanität verloren. Wenn man Texte wirklich schnell und im Moment aus sich herausholt, dann kommt viel mehr über dich selbst zum Vorschein, weil es roh und ehrlich ist. Wir haben dann den Großteil der Lyrics übernommen und nur im Detail etwas verändert.

Was sind eure Zukunftspläne? Ich nehme an, ihr möchtet liebend gerne auf der Bühne stehen, oder?

Definitiv, das wäre in vielerlei Hinsicht hilfreich. (lacht) Es ist eigenartig, ein Album zu veröffentlichen und dann einfach im Studio zu sitzen. Man feiert vielleicht ein bisschen im engen Kreis und geht dann zurück an die Arbeit. Wir haben hier auf unserer Pinnwand einige Tracks (dreht die Kamera und zeigt darauf), circa 30 unfertige Songs. Wir haben viel Material in der Hinterhand. Manche davon sind echt schwer fertigzustellen, die lassen wir dann liegen und fangen neue Songs an. Wir sind furchtbar darin. Aber manchmal zwingen wir uns dazu, niemand verlässt den Raum, bis wir klare Entscheidungen getroffen haben.

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