17. März 2014

"Alles ist irgendwie wie Sex"

Interview geführt von

Dilated Peoples-MC Evidence und Produzenten-Legende The Alchemist kennen sich seit der Schulzeit und nahmen zusammen bereits unzählige Tracks auf. Ein gemeinsames Album veröffentlichten die beiden Kalifornier aber erst Anfang 2014. Dabei gings vor allem um eines: Spaß.

Ich treffe Evidence und Alchemist in der Lobby eines Frankfurter Hotels. Auf die Minute pünktlich holen sie mich ab: "Lass uns hoch gehen, da können wir rauchen". Gestärkt von Tee und Joints albern die beiden Step Brothers herum und zeigen sich kurz nach dem Release von "Lord Steppington" bestens gelaunt.

Ihr seid viel unterwegs im Moment. Wie läuft die Tour bislang?

Evidence: Es war krass. Elf Gigs in elf Tagen. Aber was meinst du, wie die Beatles das gemacht haben. Aber bislang ist es wahnsinnig cool. Nur meine Stimme macht nicht mehr lange mit. Ich höre mich mittlerweile echt abgefuckt an.

Ihr tourt unter dem Motto "Rap Mayhem" mit Madchild von den Swollen Members, DJ Revolution und Termanology erst durch Mitteleuropa und bei ein paar USA-Gigs sind sie auch dabei.

Evidence: Wir sind zwar dabei, sind aber nicht wirklich Teil davon. Wir sind nämlich viel besser als die anderen. Die sollen zuerst ihr Ding machen, und zum Schluss treten wir dann auf. Ich meine, ich respektiere Madchild und so, aber ... nein, wir sind einfach viel besser (lacht). Nicht, dass das falsch rüberkommt. Also schreib auf jeden Fall, dass ich gelacht habe.

Hängt ihr mit Madchild und Co. denn auch zwischen den Shows rum?

Evidence: Nein, alles komplette Vollärsche, diese amerikanischen Zwerge (lacht).

Alchemist: Du musst wissen, jeder auf dieser Tour, also im Line-Up, ist ziemlich klein. Nur Evidence nicht, der Penner. Wir sind alle kleine Kerle. Sieht aus wie Evidence mit seinen Kindern, wenn wir irgendwo rumlaufen.

Wo ihr gerade von klein und groß redet: In den USA seid ihr wesentlich bekannter als hier. Merkt ihr da einen krassen Unterschied? Beispielsweise, dass ihr hier viel kleinere Gigs spielt?

Evidence: Das ist unterschiedlich. Auch in den USA spielen wir kleinere Konzerte. Was zählt: Überall, wo wir hinkommen, geben uns die Leute Liebe. Mal haben wir Bock auf größere Sachen, mal auf kleinere. Das ist wie Sex. Mal will man eine eher dünnere Frau, mal eine schön Fette (lacht). Ist beides nett, auf seine eigene Art und Weise.

Lasst uns über euer Album "Lord Steppington" reden. Glückwunsch zunächst, echt eine sehr coole Platte. Beim ersten Hören dachte ich aber anders. Es klingt teilweise total beliebig, etwas merkwürdig und nicht gerade leicht zugänglich.

Alchemist: Ja, viele Sounds, viel Lärm. Merkwürdig, das dachten wir irgendwie auch darüber. Aber cool, dass du es dir noch mehrmals angehört hast, obwohl es dir beim ersten Mal nicht so gefallen hat. Ich glaube nämlich, dass viele Leute sich dieses Album einmal anhören werden - und danach nie wieder.

Zunächst hattet ihr ja nicht vor, ein Album zu machen, habt euch einfach auf ein paar Sessions getroffen und Zeug aufgenommen. War das der große Unterschied zu einem Album mit den Dilated Peoples?

Evidence: Wenn wir ein Album mit den Dilated Peoples machen, dann ist das gründlich konzipiert und durchdacht. Diesmal haben wir uns einfach getroffen, um Zeug aufzunehmen. Ohne die Absicht auf ein Album.

Alchemist ist der Produzent des Albums. Ich habe ja nur einen Track produziert. Al ist also der Pilot, der sagt, wos lang geht. Er hat ein paar richtig krasse Dinger rausgehauen, hat ein paar normale Beats gemacht, mal längere, mal kürzere Tracks. Und ich saß einfach daneben und hab dem Piloten vertraut, dass er das Flugzeug sicher landet (lacht). Gerade, weil es nicht so durchdacht war, hat es eine Menge Spaß gemacht. Al hat in letzter Zeit wirklich total krasse Sachen gemacht mit Prodigy und zig anderen. Komplette Alben eben. Alles mit einem Plan. Ich aber wollte einfach nur auf diese total kranken Beats von ihm rappen, einfach dabei sein, wenn er diese magischen Dinge tut. Und ich glaube, dass jeder Track für sich schon cool ist. Aber wenn sich die Leute das Ding wirklich komplett anhören, können sie es richtig fühlen.

Alchemist: Stimmt, die Leute hören es das erste Mal und ihnen fällt vor allem diese Beliebigkeit, diese Zufälligkeit auf. Aber wenn du all diese Zufälligkeit zusammenpackst, wird daraus eine Art Collage. Wir wollten vor allem Musik machen, die wir mögen, über die wir lachen können. Auf der Platte gibt es einige Lines, bei denen wir vor lachen gestorben sind. Aber niemand sonst wird das verstehen. Das sind Insider.

Klar, ich weiß, wie man Hits macht, wie man kommerziellere Tracks produziert. Aber wir hatten halt Bock auf so was wie "Lord Steppington". Die Leute haben natürlich hohe Ansprüche an unser Zeug. Sie erwarten einfach einen bestimmten Sound, eine bestimme Qualität. Sie wollen, dass meine Beats so klingen und Evs Reime so. Aber wenn sie das abstellen, zeigen wir ihnen eine neue Dimension unseres Schaffens. Vielleicht sagen sie beim nächsten Album wieder: "Wir wollen aber wieder so etwas wie 'Lord Steppington'". So ist das eben.

"Wir erwarten nicht, dass das jeder versteht"

Lord Steppington selbst kommt immer nur in den Skits vor und gibt sich da als ziemlich elitärer und dekadenter Unsympath. Aber wofür steht er eigentlich?

Alchemist: Eigentlich ist er nur eine Metapher für die Beliebigkeit des Albums. Der Name des Albums macht also genauso wenig Sinn wie sein Inhalt (lacht).

Wenn man das nicht weiß und nicht jede der unzähligen Anspielungen auf der Platte nicht auf Anhieb versteht, kann man "Lord Steppington" als Hörer dann überhaupt so wahrnehmen, wie ihr das wollt?

Evidence: Das Album besteht zu einem großen Teil aus echt zusammenhangslosem Kram. Wir wollten einfach kleine Parabeln und Metaphern in die Songs einbauen. Coole Lines, die nicht unbedingt in einem Gesamtzusammenhang stehen. Ich bin an einem Punkt in meinem Leben und in meiner Karriere ankommen, wo ich sage: "Wenn die Leute sich nicht damit auseinandersetzten wollen, ist mir das scheißegal". Aber wenn sie danach fragen und sich dafür interessieren, erkläre ich ihnen alles.

Aber darum geht es ja eigentlich auch gar nicht. Die Leute können sich stundenlang den Kopf zerbrechen, was wir wohl mit dieser oder jener Line meinen. Aber das ist nicht der Sinn der Sache. Das ist einfach Musik, die soll bei dir ein bestimmtes Gefühl auslösen. Und das Gefühl bei "Lord Steppington" soll sein: Diese Typen machen Spaß, die albern herum. Und ich erwarte nicht, dass das jeder versteht. Ich hoffe einfach nur, dass man es cool findet und respektiert.

Also ist man nicht dumm, wenn man nicht versteht, warum ihr das Dire Straits-Zitat: "We got to move these refrigerators, we got to move these color TVs" in den Song "Dr. Kimble" reingepackt habt?

Alchemist: Nein, auf keinen Fall.

Evidence: Al hatte auch keinen Plan, was ich damit meine.

Alchemist: Ich weiß ehrlich gesagt immer noch nicht, was du damit meinst.

Schreibt ihr eure Texte also getrennt voneinander, wenn ihr Songs aufnehmt? Oder setzt ihr euch zusammen und schreibt gemeinsam?

Alchemist: Eigentlich hängen wir beim Schreiben gemeinsamer Tracks meist zusammen rum und schmeißen dann manchmal auch ein paar Lines zusammen. Wir kennen uns so lange, wir finden das Zeug vom jeweils anderen eigentlich immer cool. Manche sind einfach völlig besessen und gezwungen, wenn sie schreiben. Wir sind da anders, wenn wir zusammenarbeiten.

Um noch mal auf die Wirkung eurer Musik auf den Hörer zurückzukommen: Al, du hast mal gesagt, eure Musik sei wie eine Droge.

Alchemist: Wenn Musik eine Droge ist, eine Pflanze, dann schneiden wir uns das Beste ab. Das, wovon man am meisten high wird. Den Rest lassen wir für die Hörer. Denn wir haben das Album selbst gemacht. Kennst du das Gefühl, wenn du ein Lied hörst, und es fühlt sich an, als wärst du high? Wir beide erleben dieses Gefühl am krassesten. Und zwar beim Aufnehmen des Tracks. Alle, die das Lied hören, werden immer noch high, aber nicht ansatzweise so krass wie wir. Deshalb hören wir uns unsere Musik auch nicht mehr an, sobald sie draußen ist. Wir würden nicht mehr dasselbe fühlen wie beim Aufnehmen.

Evidence: Wir machst das Ding und tragen es raus in die Welt. Es ist jetzt nicht mehr für uns, sondern für die Leute da draußen. Das ist genau wie Sex. Wenn du eine Frau nicht gerade heiratest, sondern nur einmal etwas mit ihr hast, ist es doch so: Sobald du sie rauslässt zu den Wölfen, kannst du nichts mehr für sie tun (lacht). Du merkst: Alles ist irgendwie wie Sex. Ich kann alle Sachverhalte entweder mit einem Foto oder mit Sex symbolisieren.

Alchemist: Und ein Foto von Sex ist noch viel besser. Alles ist wie Sex, das ist die Message.

Evidence: Wenn du noch nie in einem Land, in dem du die Sprache nicht kannst, einer Frau mit Google Translator gesagt hast, dass du Sex mit ihr haben willst, hast du nicht gelebt (lacht).

"Will Ferrell ist eine Nummer zu groß"

Was nicht nur bei eurem neuesten Werk, sondern generell auffällt: Ihr arbeitet sehr oft mit einem Rapper mehrmals zusammen. Mit Action Bronson und Roc Mariano beispielweise schon auf Rocs "Marci Beaucoup" und nun auch auf "Lord Steppington". Sagt ihr dann: "Wo ihr schon mal da seid, lasst und noch mehr Zeug aufnehmen."?

Evidence: So läuft das immer. So habe ich mit Kanye West zusammengearbeitet, mit Domo Genesis, mit Roc Marciano. Man ruft an und die Leute kommen vorbei oder man trifft sich irgendwo im Studio, die Energie stimmt und bam! Verdammt, auch das ist wie Sex. Wie gesagt, alles ist wie Sex (lacht). Bei Capitol Records damals haben das die Label-Verantwortlichen geklärt. Man hatte ein bestimmtes Budget und hat sich dann umgesehen, wen man dafür auf sein Album kriegt. Auf die Alte-Leute-Art also: Anrufen und die Artists später bezahlen, wenn sie ihren Part abgeliefert haben. Aber jetzt würde sich das nicht mehr richtig anfühlen. Wir machen nur noch was mit Jungs, die wir kennen, auf die wir Bock haben. Das kommt von Herzen.

Wenn sämtliche Rap-Größen bei euch im Studio vorbeikommen, wenn ihr anruft und etwas mit ihnen aufnehmen wollt – ist das jedes Mal der Punkt, an dem ihr merkt, dass ihr es wirklich geschafft habt?

Evidence: Eigentlich habe ich das schon 2004 gemerkt. Bis dahin hatte ich mit den Alkoholiks, B-Real und so vielen anderen Rappern und Produzenten, von denen ich immer geträumt habe, Tracks aufgenommen. Das war es, was ich immer erreichen wollte. Mein großer Traum. Da hatte ich es geschafft. Mittlerweile ist es mehr Spaß und man kennt sich untereinander und macht zusammen Musik, wann immer man Lust darauf hat.

Alchemist: Natürlich ist das ein großes Ding, immer von so talentierten Künstlern umgeben zu sein. Wie beim Sport gegen einen guten Gegner – er macht dich besser. Ich glaube nicht, dass wir da stehen würden, wo wir heute stehen, wenn wir nicht mit all diesen großartigen Leuten gearbeitet hätten. Ich achte allerdings immer darauf, dass die Produzenten, mit denen ich arbeite, zwar gut sind, aber nicht so gut wie ich. Das lässt mich noch besser aussehen (lacht). Nein, Spaß. Aber es stimmt: Wenn du Millionär werden willst, musst du mit Millionären rumhängen.

Gibt es denn überhaupt noch jemanden, mit dem ihr auf jeden Fall noch etwas aufnehmen wollt?

Evidence: Auf jeden Fall. Ich habe Kendrick Lamar getroffen. Der war richtig cool drauf. Es stimmt nicht, dass der total abgehoben ist, weil er jetzt eine Art Popstar ist. Ein wirklich durchgedrehter Motherfucker. Mit ihm würde ich gerne mal arbeiten, wenn es sich ergibt. Oder A$AP Rocky. Den habe ich aber noch nicht getroffen. Zumindest kenne ich ihn noch nicht. Aber bei manchen Leuten ist es auch cool, einfach nur ihre Nummer zu haben, ohne dass man gleich mit ihnen rappt. Mos Def fällt mir noch ein. Ein paar Tracks oder ein ganzes Album mit ihm, das wäre krass. Und Alchemist soll auf jeden Fall ein Album mit 50 Cent aufnehmen. Also, alle hergehört: Al nimmt ein Album mit Fiddy auf! Ist mir egal, was er dazu sagt.

Alchemist: Wenn du das sagst. Ich wähle Justin Bieber. Das ist mein voller Ernst. Mit Reggae-Thema auf leichten Electro-Beats. Ja, Alter, Justin Bieber. Das Ding würde abgehen!

Die Aufnahmen von "Lord Steppington" scheinen also eine Menge Spaß gemacht zu haben. Das Video zu "Step Masters" unterstreicht das. Darin liefert ihr euch mehrere alberne Wettbewerbe, wie z.B. eure Hände so lange wie möglich in Eiswasser zu halten.

Evidence: Das Beste daran ist, dass es so wenig Sinn macht und deshalb auch auf jeden anderen Song passen würde. "Step Masters" hat einen total mächtigen und düsteren Beat. Eigentlich würde dazu ein Video im M.O.P.-Style passen. Kleiner Club, eine Crowd, die voll abgeht und das Ganze im Schwarz-Weiß-Look.

Alchemist: Stattdessen werfen wir Eier, trinken Bier und spielen Jenga.

Habt ihr das denn alles wirklich gespielt oder war das nur für die Kamera?

Evidence: "Dance Dance Revolution" haben wir wirklich gespielt. Da war Al besser, in allen anderen Disziplinen aber habe ich ihn abgezogen.

Beim Air Hockey spielt ihr im Video nur so lange, bis das erste Tor fällt. Aber ihr werft doch keinen Dollar in die Maschine, um nur "First Goal Wins" zu spielen, oder?

Evidence: (lacht) Stimmt, das haben wir noch bis zum Ende ausgetragen. Da habe ich ihn auch fertig gemacht. Al wurde dann ein bisschen motzig und hat sich in die Ecke gesetzt.

Abschließende Frage: Ihr nennt euch Step Brothers, seid ihr den Dilated Peoples-Track "Live On Stage" für den Film "Step Brothers" mit Will Ferrell und John C. Reilly aufgenommen habt. Nun heißt ihr also so, habt ein Spaßalbum und ein Spaßvideo veröffentlicht. Wird es irgendwann auch mal einen Film mit euch geben? Evidence, Alchemist, John C. Reilly und Will Ferrell?

Evidence: Ich glaube nicht, dass die mit uns abhängen würden. Das sind Idole. Deren Zeug ist Next Level Shit. Die Typen sind einfach großartig. Allerdings gibt es ein paar Funvideos von uns. Beispielsweise als Skateboard-Kommentatoren mit dämlichen Perücken. Dabei reden wir nur dummes Zeug und haben Spaß. Wie gesagt, Will Ferrell ist eine Nummer zu groß. Aber wir sind für jeden Scheiß zu haben. Ach ja, vergiss auf keinen Fall, zu schreiben, dass das mit Madchild und DJ Revolution ein Spaß war. Das gibt sonst Ärger (lacht).

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