12. Juli 2005

"Hip Hop braucht Typen wie Sido"

Interview geführt von

Sie sind entspannt, sie sind gut gelaunt. Genauso wie man sich Fettes Brot vorstellt. Ein aufregender Moment, wenn man den Helden der eigenen Jugend gegenüber steht. Im norddeutschen Flachland, wo außer einer Änderung der Windstärke selten mal was passiert, war "Nordisch By Nature" wesentlich wichtiger als beispielsweise "Die Da". Wie weit die Herren Vandreier, Lauterbach und Warns seitdem gekommen sind, zeigt sich, als das Thema Alter auf den Tisch kommt. Doch zuerst zeigen sie sich von ihrer betont unernsten Seite. Doktor Renz (die drei werden im Interview mit ihren wohl geläufigsten Namensvariationen Doktor Renz, Schiffmeister und König Boris angesprochen) horcht beim Nennen des Mediums laut.de auf und meint: "Da hab ich heute morgen die Plattenkritik zu 'Am Wasser Gebaut' gelesen. Da hat einer was von 'Buena Vista Brote Club' oder so geschrieben. Hat das was mit der Musik zu tun?" Ein guter Einstieg, den ich so ähnlich auch vorgesehen hatte. Wir einigen uns darauf, dass ich diese wunderschöne Anfangsfrage übernehmen darf. Danke, Herr Rektor!

Mein Kollege Benjamin Fuchs, der eure Platte besprochen hat, schrieb im Hinblick auf eure Salsa- oder Merengue-Einflüsse vom "Buena Vista Brote Club". Ist der Original-Social Club ein Einfluss für euch?

Schiffmeister: Das ist mir völlig unerklärlich! Ich finde, dass an Fettes-Brot-Musik deutlich zu hören ist, was ihre musikalischen Inspirationen sind. Bei manchen Liedern führt das zu so einer wahnsinnigen Vermengung verschiedener Musikstile, wie bei "Emanuela" beispielsweise, wo man am Ende dann gar nicht mehr weiß, was für Musik das ist oder woher das kommt. Woher allerdings die lateinamerikanischen Einflüsse kommen, ist mir ein Rätsel. Ich weiß es nicht. Ich selbst habe ja den Song "Kuba" gemacht, dabei habe ich mich, glaube ich, an die Idee der kubanischen Musik geklammert. Oder daran orientiert. Darum ist das dann so geworden. Aber lateinamerikanische Musik hören wir privat nicht oft .

(König Boris gähnt demonstrativ herzhaft.)

Diese Buena-Vista-Geschichte ist ja schon ein paar Jährchen her, der Hype kann euch also kaum allzu sehr beeinflusst haben ...

Doktor Renz: Ich finde jetzt auch nicht, dass das so sehr nach Buena Vista klingt.

Aber die exotischen Einflüsse sind ja nicht von der Hand zu weisen. Hat das vielleicht was mit dem subtropischen Klima Hamburgs zu tun?

König Boris: Vielleicht liegt das an unserer Suche nach Wärme und Sonne, die wir in Hamburg nicht bekommen.

Die Musik als Flucht aus der Realität also.

DR: Ich hab zum Beispiel einen Nachtspeicherofen bei mir in der Wohnung, und der fällt manchmal aus. Dann wird es bitterkalt.

Und in so einer Situation schreibt man dann solche Songs.

DR: Vielleicht.

Wie läuft denn die Tour bis jetzt? So lange seid ihr ja noch nicht unterwegs.

DR: Wir waren bis jetzt in Lüneburg, Kiel und Bremen, und es waren alle drei ziemlich atemberaubende Konzerte.

KB: Es läuft sehr gut, wir spielen große Hallen, die Leute wollen uns sehen. Das freut uns sehr.

"Emanuela" hat euch sicher dabei geholfen, die Tour so gut losgehen zu lassen, oder?

DR: Ich habe schon das Gefühl, dass sehr viele Fans uns schon lange kennen. Es ist eine sehr angenehme Mischung von Leuten, einige die noch nicht so lange Fans sein können, und auch Menschen, die teilweise älter sind als wir. Kaum vorstellbar.

Es fällt ja schon auf, dass ihr das letzte Mal nebenan im kleineren Columbia-Fritz gespielt habt und dieses Mal seid ihr wieder in der Columbiahalle.

KB: Aber auf dem zweiten Teil der "Demotape"-Tour haben wir auch hier gespielt.

DR: Das Problem in Berlin ist, dass es größenmäßig zwischen dem Columbia-Fritz und dem Huxleys nix gibt. Und damals war das Huxleys sogar noch geschlossen.

KB: Aber anstatt eine neue Halle zu bauen, haben wir uns gedacht, nehmen wir halt die Columbiahalle.

Dann habt ihr wahrscheinlich das Paket mit dem Flughafen gemietet, oder?

SM: Das ist natürlich der Vorteil von der Columbiahalle. Nach der Show steht gleich gegenüber der Hubschrauber mit drehenden Rotoren.

Der Erfolg von "Emanuela" ist doch schon ein wenig überraschend. Wann kam der Zeitpunkt, an dem ihr gemerkt habt, dass das doch eine Nummer größer wird?

SM: Beim Bundesvision-Songcontest habe ich mich schon ganz schön gewundert. Ich wusste ja auch, dass es in Deutschland ganz viele tolle Fans der Band Fettes Brot gibt, aber ich habe einfach gedacht, dass der Song so sperrig daherkommt, dass man eine Weile braucht, um zu verstehen: Was ist das denn wieder für ein Wesen? Dieses "Emanuela"? Auf ner Party, einer Fettes-Brot-Party, haben wir den Song schon mal getestet, und da war die Reaktion auch eher so: riesengroße Verwirrung! Beim Bundesvision-Songcontest war das ähnlich. Die Leute kannten den Song gar nicht, das Video lief vielleicht eine Woche vorher ...

DR: ... und auf ein paar Radiostationen ...

KB: ... aber nicht viel ...

SM: ... aber es fing gerade erst an, sich ein bisschen rumzusprechen, dass wir wieder eine neue Single haben. Da war ich dann schon erstaunt, dass wir auf Platz Zwei gelandet sind. Da müssen ja schon viele Leute für uns angerufen haben.

DR: Auch in der Halle, wie die Leute abgegangen sind. Das ist eine große Halle da in Oberhausen.

KB: Da hatten wir dann schon eine leise Ahnung, das könnte eventuell ganz gut laufen, aber das wir die achte Woche Top Five sind mit "Emanuela" und Nummer Eins in Österreich, und auch in der Schweiz ganz gut dabei, das ist schön und überraschend.

Aber erwartet man das von euch nicht auch? Das ihr so was Ungewöhnliches macht? "Schwule Mädchen" war doch in der Hinsicht eine ganz ähnliche Nummer, die ganz ordentlich in den Charts war.

DR: War bis dato auf jeden Fall unser größter Hit. Hat nicht ganz so viel verkauft wie "Jein", war aber höher platziert. Da gibt es schon ein paar Parallelen. Auch dass man nicht weiß, welche Musikrichtung das jetzt gerade ist. Dieses bastardmäßige. Der Straßenköter "Schwule Mädchen" hat sich dann in eine Straßenköterin namens "Emanuela" verliebt. Die beiden gehören schon zusammen.

SM: Wobei ich schon finde, dass "Schwule Mädchen" noch zerstörerischer ist, mehr Punk in sich birgt als "Emanuela". Ich empfinde bei "Emanuela" eher romantische Gefühle.

DR: Ich finde, soundmäßig ist "Emanuela" schon ziemlich dreckig.

Bei "Schwule Mädchen" hat es aber noch länger gedauert, bis sich daraus ein Ohrwurm entwickelt hat.

DR: Das hätte ich bei "Emanuela" eben auch erwartet. Weil es mir selber so ging, und in unserem engsten Umfeld war das auch so. Wir haben dann da noch rumarrangiert. Und dann war das so: wo fängt da die Strophe an, wo hört der Refrain auf?

SM: Aber das war auch schon ein bisschen Absicht. Dass das Arrangement-mäßig ein bisschen drunter und drüber geht, das war in dem Moment klar, in dem Daniel und ich den Loop gemacht haben, und den nicht vier Durchgänge laufen ließen, sondern nach dem dritten schon aufgehört haben. Das war schon klar, dass das kein typisches Pop-Arrangement hat, wie zum Beispiel "Jein". Das war schon immer ein bisschen anders.

Wir müssen jetzt mal von "Emanuela" loskommen ...

DR: Stimmt, da reden wir schon viel zu lange drüber.

Bei einigen anderen Songs auf dem Album hört man durch, dass ihr erwachsener geworden seid. Ihr seid ja zum Teil auch schon Väter, wirkt das auf das Songwriting ein?

DR: Wir sind Väter (zeigt auf sich und Schiff) von verschiedenen Frauen. - Aber man muss ja auch sehen, dass Boris jetzt nicht total kindisch geblieben ist. Insofern würde ich nicht sagen, dass man unbedingt Vater werden muss, um sich mit ernsthaften Themen zu befassen. Das hat Fettes Brot ja auch immer schon gemacht. Ich weiß nicht, ob wir so doll drauf hingewiesen haben, dass wir ernster geworden sind oder ob es wirklich so ist. Ich fand auf "Demotape" waren auch schon ernste Sachen und ernst gemeinte Sachen drauf. Was stimmt, ist, dass wir die Idee hatten, ein Soul-Album zu machen. Nicht so wie Marvin Gaye, aber ein Album über große Gefühle. Bei dem wir unser Innerstes nach Außen kehren. Das sieht nicht immer lecker aus, hat aber manchmal auch sehr schöne Ergebnisse. Deswegen war das uns vielleicht auch eine Herzensangelegenheit, über Sachen zu reden, die uns auf der Seele lagen. Dass das auch mal ernstere Sachen waren, haben wir in Kauf genommen. Haben dann aber auch gesagt: keine ironische Brechung, keinen Witz noch am Ende, der das Ganze der Kitsch-Gefahr entzieht. Oft ist Ironie ja auch der Notausgang, um nicht darauf festgenagelt zu werden, was man da gesagt hat. Wir haben ein paar Stücke gemacht, die sehr ironiefrei sind.

SM: So was bleibt auch nicht aus, nach zwölf, dreizehn Jahren Bandgeschichte. Wir haben auch schon eine ganze Menge Songs geschrieben. Wir wollen ja selber auch immer wieder mal was Neues entdecken, musikalisch, aber auch thematisch. Vielleicht war das auch eine Herausforderung, der wir uns stellen wollten, ob wir das Können. Einen Song zu schreiben, der 100 % ernst gemeint ist. Der so einfach gehalten ist wie möglich.

Ihr redet von Soul, ein bisschen Funk hat das Album ja auch: seid ihr durch mit dem Hip Hop? Im Booklet findet sich ja so eine Art Essay, in dem ihr eure persönliche Beziehung zu Hip Hop, und zum deutschen Hip Hop beschreibt, und "Die Meisten Meiner Feinde" thematisiert das auch. Ist es euch manchmal peinlich, Hip Hopper zu sein?

DR: Ne, das gar nicht. Wir haben eher das Gefühl, wir müssen die Fahne des Hip Hop, der uns gut gefällt hoch halten. Das ist keine schlimme Verpflichtung, der wir uns ausgesetzt fühlen, das machen wir gerne. Ich habe der Idee Hip Hop viel zu verdanken, einfach bei dem Spiel mitmachen zu können. Jede andere Musikrichtung hätte mir erst mal gesagt, ich müsse ein Instrument lernen und Fähigkeiten entwickeln, die ich bei mir nicht gesehen hab, und die hat Hip Hop bei mir wach geküsst. Diesen Traum hatten wir glaub ich alle, Musik zu machen, aber ohne Hip Hop hätten wir uns das gar nicht getraut. Boris hat früher in ner Punkband gespielt, das ist ja ein ganz ähnlicher Ansatz. Da gibt es ja auch den Glauben: drei Akkorde und das reicht erst mal. Und beim Rappen brauchst du ein Mikro und ein Mitteilungsbedürfnis. Alles weitere ergibt sich dann. Ich liebe Hip Hop nach wie vor sehr. Wir haben Fiva MC, die ich sehr schätze, als Gastrapperin im Vorprogramm, die jeden Abend wildfremde Leute, die sie noch nie gesehen haben, davon überzeugt, für sie die Hände zu heben und mitzugehen, und den Texten zuzuhören. Die hat ihren DJ Redrum dabei, da ist Hip Hop lebendig!

Gibt es denn auch außerhalb des Hip Hop Sachen aus Deutschland, die ihr interessant findet?

SM: Ich glaube, man kommt in Interviews nicht umher, früher oder später auch über Sido zu sprechen. Das ist aus der letzten Zeit eine der interessanten und hörenswerten Platten. Nicht, dass ich immer alles richtig und toll finde, was er so macht, und ich würde das auch ganz anders anpacken als er, aber es ist eine interessante Platte und ein interessanter Typ, als Darsteller so.

DR: Sehr erfrischend auf jeden Fall.

SM: Und das braucht Hip Hop auch. Es ist natürlich auf eine Art auch sehr konservativ, weil es das als Hip Hop schon gibt, aber in Deutschland halt noch nicht.

DR: Generell gibt es noch so Bands wie Beginner oder Blumentopf, bei denen man sich drauf verlassen kann, dass da immer wieder eine gute Platte kommt. Aber man lechzt natürlich auch nach den neuen Leuten, die vierzehn Jahre alt sind und einem einen neuen Style um den Kopf hauen. Da wird garantiert was kommen. Zur Not unsere Kinder!

Was verbirgt sich hinter 'Fettes Brot Schallplatten'? Wollt ihr einfach nur unabhängig sein, oder steckt da mehr dahinter, wie zum Beispiel bei Four Music? Wollt ihr darüber auch Hip Hop promoten?

KB: Four Music ist nicht unser Vorbild. Wir haben das hauptsächlich für uns gegründet. Was da in Zukunft passiert, weiß man nicht. Kann sein, dass vielleicht mal ein richtiges Plattenlabel daraus wird. Eigentlich ist die Intention, unsere Platten selber rauszubringen. Unsere Verträge waren ausgelaufen, und dann haben wir überlegt: wieder Major-Deal? Und dann haben wir gedacht, das können wir mittlerweile alles selber. Außer Geld können uns große Plattenfirmen nichts mehr bieten.

Hättet ihr denn einen Vertrag bekommen?

DR und KB: Ja. Klar.

KB: So schlecht war es um uns ja nicht bestellt. Alle unsere Alben waren Top Ten-Alben, und mit so einer Bio kriegt man schon nen ordentlichen Vertrag bei einem Major. Aber wir wollten es selbst machen. Ich finde das auch moderner, eine kleine eigene Firma zu haben, mit der man flexibel reagieren kann. Es ist super, dass es so großartig läuft mit unseren Partnern. Aber wir haben auch ein Jahr gebraucht, das ganze Ding auf die Beine zu stellen. Wir sind nach wie vor mehr Musiker als Geschäftsleute. Wir machen das nicht allein. Zwei Menschen kümmern sich um das daily business, und wir gehen auf Tour.

Wessen Idee war das Bahnhofs-Konzert in Hamburg am 01.04.?

DR: Das war Radio NRJs Idee. Die Props müssen leider an die Leute da raus. Ich hab das erst mal für eine Schnapsidee gehalten. Unser Manager Jens hat sich das mit denen ausgedacht. Und als ich dann morgens um sieben da am Bahnhof stand und diese Leute da gesehen habe ... Die sind aus Düsseldorf und Bremen angereist. Auf dem Weg nach Bremen hab ich noch Leute von da getroffen. Die sind um vier Uhr morgens losgefahren!

Aber war doch praktisch, die mussten in Hamburg nur aus dem Zug fallen.

DR: Das war gigantisch. Ein Riesenspaß.

Haben sich keine Pendler beschwert?

DR: Keine Ahnung. War das so? Ich würde es mir wünschen!

SM: Wir hatten gehofft, wir würden den Nahverkehr zum Erliegen bringen.

KB: Das war echt ganz toll. Stranger Tag natürlich, morgens um acht auf der Bühne zu stehen. Hinterher hab ich mich noch mal schlafen gelegt.

Ist sicher auch ganz schön laut, so ein komplett gefliester Bahnhof

DR: Ne, das war viel zu leise. Die Anlage war für die Riesenhalle nicht groß genug, glaube ich.

SM: Und der Boden hat gebebt. Einige Freunde meinten, das sei regelrecht furchteinflößend gewesen. Dann überlegt man sich: Wir sind ja noch gar nicht auf dem Boden, da drunter sind ja noch Gleise.

KB: Ich glaube, die Konstruktion hatte an dem Tag ihren größten Härtetest. Vielleicht könnnte man berechnen, dass ein Mensch mehr das Gebäude zum Einsturz gebracht hätte.

SM: Lieber nicht. Dann ist meine Mutter Schuld daran, dass wir nicht abgestürzt sind. Denn die ist gegangen, weil es ihr zu laut war.

DR: Björns Mutter. Sie hat 4.000 Menschen das Leben gerettet.

Seid ihr noch beim SUS Waldenau involviert?

DR: Nein. Wir kannten da mal einen ambitionierten Spieler. Der ist aber mittlerweile nach Ottensen gewechselt. Dem gucke ich ab und zu noch mal sonntags beim Spielen zu, aber sonst ...

Und, steigt St.Pauli auf?

KB: Schön wärs, aber realistisch betrachtet, nein.

DR: Boris ist der einzige, der noch regelmäßig zu Heimspielen geht. Wir Opportunisten gehen lieber zu Erstligaspielen.

Das Interview führte Mathias Möller

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