28. März 2008

"Der Rummel ist beängstigend!"

Interview geführt von

Konstantin Gropper ist Get Well Soon. Get Well Soon hat eines der herausragenden Indie-Folkpop-Alben 2008 abgeliefert. Es ist sein Jahr. England, Frankreich, ja ganz Europa wartet auf den Mittzwanziger aus Oberschwaben. Dort verabreichte man ihm von Kleinauf die Boden-
haftung, die jetzt im medialen Getöse Oberwasser sichert.
Wenn die Welt um einen herum immer schneller rotiert; wenn Vermarktungs-Strategien und Erlöser-Hoffnung an die Rettung des Pop den eigenen Mittelpunkt bedrängen: Wie behält das Individuum die Kontrolle? So gelassen wie möglich abwarten?

"Gelassen nicht – ich warte ab. Ich finde es schrecklich, wenn ich das Radio anmache und mich selber reden höre." Konstantin Gropper sitzt in einer hochgelegenen Betonkanzel in Wien. Abgeschottet vom Festivalgeschehen in der Arena einige Meter unter ihm, stellt sich der Get Well Soon-Kopf heute den Fragen der Schlange stehenden Journalisten. Wie gestern, wie vorgestern, und wie seit einigen Wochen quasi jeden Tag.

Sein Aufstieg in die Kanzel respektive das Rampenlicht deutschsprachiger Medien beginnt Mitte vergangenen Jahres. Nach der MySpace-Überhymne passieren Open Airs in Britannien und heimischen Indie-Spielwiesen. Ein paar Monate später kommt der musikinteressierte Mensch nicht mehr um das Phänomen Get Well Soon herum. Ob Musikzeitschriften, Feuilletons, Radio oder Fernsehen – Groppers Musik und Stimme ist plötzlich omnipräsent.

"Das ist beängstigend, ja", kommentiert der Künstler unverhohlen. "Fast schon skurril. Ich weiß auch nicht recht, was ich von dem Rummel halten soll. Ich kriege das alles gerade gar nicht so mit. Ich glaube, ich muss das hinterher mal ein bisschen aufarbeiten. Es ist so viel derzeit, ich hake viele Dinge einfach mechanisch ab ... Ich habe eine Rezension auf bild.de gelesen. bild.de. meint: 'Melancholie kann so schön sein'. Oder so ähnlich. Da war auch so ein auszeichnendes Smiley dahinter." Der 25-Jährige zuckt mit den Schultern.

Sein Mittel im Umgang mit den rasenden Ereignissen: Offenheit. Er betrachtet die für ihn ohnehin ungreifbaren Momente aus schützender Distanz, während er hier vorort jeder Frage mit erschöpfender Detailfülle begegnet, sehr persönlich und ehrlich erzählt. Solche Gesprächspartner wünscht man sich öfter. Ob da die Ausbildung in der Mannheimer Popakademie geholfen hat? "Ich hatte zwar Interview-Training, aber eigentlich fühle ich mich auf die Situation jetzt gar nicht vorbereitet." Glaubt man ihm sofort. Wie auch?

Gropper ist kein abgebrühter Medien-Profi, der auf jede Frage eine passende Antwort aus dem Katalog faltet. Hier spricht ein überdurchschnittlich talentierter, klassisch geschulter Songwriter, der in Eigenregie (und keineswegs zufällig) eines der wichtigsten Alben 2008 aufgenommen hat. Wie sieht er rückblickend seine Zeit an der Popakademie? Die Aussage "Pop nach Normen funktioniert nicht" klang in den Ohren der Verantwortlichen zweifellos nach harscher Kritik.

"Ich rede nicht so wahnsinnig gern darüber, weil ich nicht nur Gutes sagen kann. Im Nachhinein war es aber eine echt wichtige Zeit. Allein, weil ich dort drei Jahre lang Musik machen und mich damit auseinandersetzen konnte. Ich habe mit dem Studiengang Produktion angefangen, dann zu Gesang gewechselt.

Weiter gebracht hat mich aber vor allem die Theorie. Wir konnten uns Wissen um das Drumherum des Geschäfts aneignen, haben kennengelernt, wie die Branche funktioniert. Xavier Naidoo war übrigens nur einmal ganz kurz da. Er hielt einen Vortrag über Texten auf Deutsch. Das war ein bisschen komisch: Es ging darum, Textarbeit zu routinisieren, zu lernen, schnell und spontan texten zu können."

Pop-Moment sticht E-Musik

Du bist nicht unbedingt der Typ Battle-Rapper, oder?

"Nee, ich denke mir die Lyrics schon immer in Ruhe aus. Es hieß: 'Schreibt mal einen Text über euch selbst und stellt euch damit vor.' Ich kann den Naidoo allerdings nicht wirklich beurteilen, habe ihn wie gesagt nur einmal ganz kurz gesehen. Der Name steht immer nur in den Pop-Akademie-Schlagzeilen ..." Gropper lächelt etwas verlegen.

Cello-Unterricht mit fünf, klassische Gitarre und Schlagzeug gelernt, in Chören gesungen und im Orchester gespielt. Hast du das ganze Album komplett in Eigenregie aufgenommen?

"Fast, ja. Geige und Trompete haben meine Schwester und mein Cousin gemacht. Den Rest hab ich selbst eingespielt bzw. programmiert. Das Schlagzeug etwa habe ich erst programmiert und anschließend versucht, möglichst viel davon durch mein eigenes Spiel zu ersetzen.

Die Songs sind teilweise schon bis zu vier Jahre alt. Konkret am Album gearbeitet habe ich ein halbes Jahr. Das hat aber nur deswegen so lange gedauert, weil das Zuhause und neben Studium und Leben passiert ist."

Auf die Grungeband Your Garden folgen experimentelle Ausflüge wie das Elektro-Projekt Grande Mirage mit Sängerin Meike Rosa Vogel. Als es mit der Albumproduktion ernst wird, friert Gropper diese Nebenschauplätze bis auf Weiteres ein. Zwischendurch beginnt er ein Philosophie-Studium in Heidelberg, um schließlich in die Rhein-Neckar-Region zu wechseln. Das alles passt unter einen Hut, weil Musik für Konschte, wie Gropper in seiner Heimat gerufen wird, schon immer einziges Hobby gewesen ist. Eine einsame Freizeitbeschäftigung: Get Well Soon sind und bleiben Solo-Plattform.

"Allein arbeite ich schneller, als wenn ich andere Musiker noch ständig anweisen muss. Ich habe große Probleme damit, Ungefähres zu präsentieren. Darum mache ich das Songschreiben lieber allein. Ich habe immer schon im Kopf, wie ein Stück klingen soll."

Entspricht das Endergebnis immer auch deiner anfänglichen Vorstellung?

"Mittlerweile schon. Zunächst hatte ich gewisse handwerkliche, produktionstechnische Probleme damit. Inzwischen habe ich meine Arbeitsweise ganz gut daraufhin ausgerichtet. Die alten Songs sind ja schon teilweise vier Jahre alt, die klingen heute natürlich ganz anders. Ich habe richtig Singer-Songwriter-mäßig angefangen. Mittlerweile beginne ich einen Song immer schon am Laptop, selten an der Gitarre. Weil ich prinzipiell weniger von einer Melodie ausgehe als vom Gesamtklangbild, ist der Laptop mein Mittel der Wahl."

Ausschlaggebend für die Klangbild, das "Rest Now, Weary Head" zeichnet, seien Tom Waits und Leonard Cohen gewesen. Sie hätten ihn vom klassischen Folksound weggeholt. Erst einige Zeit später addierten sich erneut Folklore-Eindrücke dazu. Den viel verwendeten Vergleich mit Ex-Wunderkind Conor Oberst kann der 25-Jährige zwar durchaus nachvollziehen. Recht teilen mag er ihn aber nicht.

"Ich weiß nicht. Die Parallele bietet sich natürlich an, weil das auch ein Quasi-Ein-Mann-Projekt ist. Den LoFi-Anfang von "Christmas In Adventure Parks" hab ich drin gelassen, weil das sozusagen noch das Rudiment aus meinen frühen Tagen darstellt. Das ist der älteste Song auf dem Album. Eine Original-Aufnahme von vor vier Jahren. Tendenziell ist mir aber vor allem wichtig, dass ein Song gut klingt."

Gab es je die Absicht, in die Klassik gehen?

"Zuhause bin ich gar nicht drumrum gekommen. Es lief sowieso immer klassische Musik. Mit 13 habe ich dann, wie so viele andere auch, Rock gehört. Nirvana, Sonic Youth. Damals habe ich auch die erste Noise/Punk-Band gegründet. Klassik höre ich heute aber immer noch gern und viel. Meine Verhältnis zur Klassik ist also gut, würde ich sagen."

Du wolltest aber eigentlich schon immer zum Pop.

"Ja, denn letztendlich geht es mir beim Songwriting darum, emotional etwas zu erreichen. In unserer Zeit Klassik zu komponieren, wäre schon sehr sehr intellektuell. Ist klar, dass ich das sage, weil ich ja an der Popakademie war, aber: Dieses Klassische ist einfach schon extrem verschult. Das war nicht meins. Und ich glaube, der Klassikbetrieb ist nicht besonders kreativ heutzutage."

Kannst du bestimmte Komponisten besonders empfehlen? Dein Vater hat Stockhausen gespielt, um euch Angst zu machen ...

"Werke zu empfehlen fällt mir schwer, weil mir diese Musik quasi schon in die Wiege gelegt wurde. Ich musste da nie rangeführt werden. Von Beethoven-Sinfonien bin ich schon beeindruckt. Wenn es um moderne Klassik geht: Lässt man beim Film "Shining" von Stanley Kubrick den Horrorkontext mal außen vor, entfaltet die Musik allein eine enorme Wucht.

Krzysztof Penderecki oder György Ligeti - wenn man das hört, haut einen das um. Das allerdings, was ich persönlich an moderner Klassik interessant finde, ist, dass ich es nicht richtig verstehe. Wenn ich aktiv Musik höre, dann lieber etwas, woran ich mir die Zähne ausbeiße als etwas, was ich nach drei Takten verstanden habe."

Gesunder Pessimismus

Du sagst, du zielst klar auf die Emotionen des Hörers. Wie viel von dir steckt in deiner Musik?

"Konkret im Text relativ wenig. Es gibt keine autobiografischen Geschichten. Es geht mir in emotionaler Hinsicht um eine generelle Geste. Wie schon der Bandname sagt, soll das Ganze schon etwas Erbauendes haben. Der Titel "Get Well Soon" richtet sich allerdings nicht ausschließlich an die Hörer, sondern auch an mich selber. Musik ist mein Ventil. Wenn ich sie nicht hätte, wäre ich nicht wirklich ausgeglichen."

Die Biberacher Landluft ist bestimmt auf nicht schlecht für die Gesundheit.

"Ich stehe auf jeden Fall zu meiner dörflichen Herkunft. Mir gefällt es immer noch sehr gut auf dem Land, und früher oder später werde ich wohl auch wieder hinziehen. Die Herkunft prägt einen natürlich schon."

In der Spex war neulich ein Artikel über Blood Red Shoes und Jolly Goods zu lesen. Darin drehte sich alles um ein neuerliches Aufbegehren gegen rurale Langeweile, um das Popphänomen der Rebellion ...

"Jolly Goods stammen lustigerweise aus einem Nachbardorf unseres Bassisten, aus dem Odenwald. Ich selbst wollte aber nie gegen mein Umfeld rebellieren. Klar, Oberschwaben ist schon ein jugendkulturelles Brachland. Wir waren Gottseidank noch im FM4-Sendegebiet.

Was an Jugendkultur auf dem Land so geht, ist Fußball und Blasmusik. Ich war lediglich in diversen Chören. Ich bin immer wieder gerne zuhause, aber wenn ich eine Woche da war, weiß ich auch wieder, warum ich da weggezogen bin ... Insgesamt finde ich eine Jugend auf dem Land allerdings durchaus positiv. Meinen Kindern soll es ähnlich gehen.

In Berlin wohne ich jetzt zwar, und ich fühl mich wohl dort. Aber Zuhause ist immer noch Biberach für mich. Gestern wurde ich gefragt, ob das Dorfleben meine musikalisches Ich gefördert hätte, weil es wenig Alternativen gab. In meinem Fall war es möglicherweise wirklich so, weil ich mit dem sonstigen ländlichen Vereinsleben nichts anfangen konnte. Ein Außenseiter war ich trotzdem nie."

Vom Dorf ins internationale Musikgeschäft: Wie gut gehen Get Well Soon eigentlich in England?

"Mein Standing ist gar nicht so besonders großartig dort. Maximilian Schenkel, mein Manager und Gitarrist, hat übrigens auch mal für laut.de geschrieben. Er lebt jetzt in London. Gemeinsam haben wir es hingekriegt, aus Get Well Soon so etwas wie einen Geheimtipp in der Londoner Szene und ganz England zu machen.

Die Welle hat bis zu den Machern vom Glastonbury gereicht. Die wiederum hatten keine Probleme damit, dass es noch keine Platte gab und wir aus Deutschland stammen. Wir hatten Glück, dass unser Ruf schnell von Leuten mit einem gewissen Einfluss erhört wurde und wir dort auf diversen Festivals spielen durften.

Dass heißt aber nicht, dass man mich dort gut kennt – die Platte erscheint dort erst im Mai. Im Sommer folgen voraussichtlich weitere Auftritte dort und in weiteren Ländern. Es hieß zumindest, dass die Franzosen schon warten. Das Album soll in ganz Europa veröffentlicht werden."

Hast du manchmal Angst aufzuwachen und alles ist schon wieder vorbei?

"Erst einmal muss ich jetzt verarbeiten, dass es angefangen hat. Ich bin ja Pessimist aus Überzeugung. Ich habe aber auch nicht vor, noch mal so lange zu warten, bis mein Album erscheint. Ich finde es eher reizvoll jetzt zu sagen: Ich mache die nächste Platte in kürzerer Zeit. Ich werde mir dann einfach die Freiheit nehmen und es machen."

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LAUT.DE-PORTRÄT Get Well Soon

Konstantin Gropper ist auf der Flucht vor seiner Vergangenheit. Insbesondere sein Herkunftsort Biberach scheint dem 82er-Jahrgang ungenehm bis peinlich.

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