laut.de-Biographie
Hannah Diamond
Es ist schon immer gang und gäbe, einen Musiker, wenn man keine große Label-Maschinerie an seiner Seite weiß, mit unorthodoxen Mitteln ins Gespräch zu bringen. Tausend mal passiert, mal in Form eines blödes Gimmicks, mal eine tatsächlich subversive Auseinandersetzung mit Öffentlichkeitskultur. Wie sehr letzteres auch positiv zum Image und Kontext eines Musikers beitragen kann, zeigt das Projekt Hannah Diamond. Deren auf den ersten Blick sehr konventionell geschriebene Popsongs versah man mit dem Mythos, dass es sich bei ihr um gar keinen realen Mensch handeln könne.
Ein Mythos, der 2019 zwar lange revidiert ist, aber trotzdem noch um die Kunstfigur und Persona von Diamond schwelt. Die reale Hannah Diamond ist eine einigermaßen gewöhnliche Szene-Gängerin von Londons viraler Clubkultur, die irgendwann am Anfang der 2010er in Kontakt mit ein paar Produzenten speziellerer Interessen gerät. Der Mythos um die Kunstfigur Hannah Diamond wird zu einem Blueprint futuristischer Popmusik, von Großbritannien in die Welt.
Besagte Produzenten nennen sich A.G. Cook, Danny L Harle oder SOPHIE. Ersterer arbeitet zu dieser Zeit mit der Freundin Diamonds zusammen, die sie dem Kollektiv vorstellt. GFOTY bringt sie mit, zuerst mit der Vorstellung, dass ihr Interesse und ihre Fähigkeiten in Photographie und visuellem Design eine sinnvolle Erweiterung für die Fähigkeiten des Camps sein könnten.
Doch es kommt eben oft nicht so, wie man denkt und Diamond wird durch einen glücklichen Zufall in den A-Kader des PC Music-Labels befördert. In einer Studiosession von Cook fällt eine Sängerin aus und damit die gebuchte Zeit nicht ins Wasser fällt springt spontan Diamond ein und singt ein paar Spuren ein. Es braucht nicht lange, und den anderen Artists des Camps fällt auf: Hanna Diamond hat etwas, was andere Musiker der Umgebung wie QT, Mozart's Sister oder EASYFUN nicht haben: Starpotential.
Hier beginnt die eigenwillige Vermarktung des "Popstars der Zukunft" Form anzunehmen. Man nimmt einige Singles auf, darunter "Attachment" oder "Pink And Blue", die ganz konkret mit Motiven der Liebe im digitalen Zeitalter spielen, bewusst im Spannungsfeld von Hannahs vermeintlicher Nichtmenschlichkeit. Einen ersten Peak erreicht sie 2015 mit dem eindringlichen "Hi", das nach SOPHIEs "PRODUCT" erstmals auch internationale Aufmerksamkeit auf das Weirdo-Kollektiv lenkt.
2016 tritt Hannah dann sogar als Gastmusikerin auf Charli XCXs Karriere-definierender "Vroom Vroom"-EP auf, die nach "True Romance" und "Sucker" einen Weg weg von den Chart-Platzierungen, dafür aber hin zum Kritikerruhm markieren. Und gerade, als der PC Music-Sound die Welt zu erobern scheint, löst das Label sich halb auf, treibt in Versatzstücken im musikalischen Zeitgeist umher und materialisiert sich nur in der Arbeit verschiedener Einzelkünstler, die alle klaren Einfluss aus der Grundarbeit von Cook und Diamond ziehen.
"Reflections" speist sich 2019 dann eher aus einer Zusammensetzung der letzten erschienenen Singles. Fans und Kritiker reagieren erwartungsgemäß positiv, aber an diesem Punkt ist der Traum vom "Popstar der Zukunft" ausgeträumt. Diamond und PC Music sind nun avantgardistische Spartenmusik und verhalten sich dementsprechend. Ihr Brot verdient sie ohnehin vor allem mit Modefotographie. Aber den Einfluss, den sie bis dahin bereits auf Popmusik ausgeübt haben, spürt man noch Jahre später.
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